Eine Klassiker-Lektüre als Klassiker
Christoph Hubers Einführung zu Gottfrieds „Tristan“ ist in dritter Auflage erschienen
Von Stefan Seeber
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Mediävistik ist eilig geworden – und der Markt für Einführungen ist größer denn je. Deshalb verwundert es nicht, dass der Schmidt Verlag den dritten Band seiner Reihe „Klassiker-Lektüren“ – unter dem unschönen Obertitel „ESVbasics“ – neu aufgelegt hat: Zwischen zweiter und dritter Auflage von Christoph Hubers Buch zu Gottfrieds „Tristan“ liegen zwölf Jahre und zwei Konkurrenzprodukte, Tomas Tomaseks umfangreicher Reclam-Band zu Gottfried von Straßburg (2007) und Rüdiger Brandts „Einführung in das Werk Gottfrieds von Straßburg“ in der WBG-Reihe (2012) – es gab also Handlungsbedarf. Hubers Buch hat seine Wurzeln noch vor der eiligen Zeit, nämlich im Jahr 1986, es wurde von ihm 2000 neu bearbeitet, 2001 noch einmal durchgesehen und 2013 wieder neu bearbeitet und erweitert. 27 Jahre persönliche Beschäftigung des Autors mit dem Gegenstand fließen in die Einführung ein, und das merkt man ihr an. Hier präsentiert sich ein Klassiker der Einführungsliteratur in neuer Aufmachung, wie sie alle Bände der Reihe inzwischen aufweisen (strukturierender Fettdruck, Tabellen, Infokästen an den Kapitelenden et cetera). Es ist Huber ganz hervorragend gelungen, die Tücken der Überarbeitung zu meistern und das sehr gute Einführungsbuch noch einmal zu verbessern, ohne ihm dabei den eigenen Charakter zu nehmen, der es auszeichnet.
Legt man die zweite und die dritte Auflage dieser Klassiker-Lektüre vergleichend nebeneinander, fällt die minutiöse Arbeit am Detail auf. Huber korrigiert nicht nur die (ohnehin nur wenigen) Tippfehler wie etwa die fehlende schließende Klammer auf S. 54 der zweiten Auflage, er optimiert auch Formulierungen, strukturiert verständlicher und macht den Text noch leichter lesbar. Huber hat sich aber natürlich nicht damit begnügt, das Vorhandene durchzusehen, er hat auch konsequent und umfangreich neu geschrieben, wo es notwendig war: Neu gestaltet wurde selbstverständlich das Kapitel zur Gottfried-Forschung, aber auch das Kapitel zur Prolog-Topik und vor allem Kapitel 7 – „Minne als Ehebruch“. Daneben finden sich in allen Kapiteln Aktualisierungen und neue Einsichten, es ist kaum ein Absatz so geblieben, wie er in der zweiten Auflage zu finden war. Alle Forschungsübersichten der Einzelkapitel sind à jour, aktuelle Forschungsaspekte hat Huber zusätzlich ergänzt.
Ganz neu sind schließlich zwei Kapitel am Ende des Buches hinzugekommen: Kapitel 11 zu den „Kontroversen der Forschung“ legt den Schwerpunkt vor allem auf Jan-Dirk Müllers These vom transgressiven Erzählen im „Tristan“ in „Transgressionen. Literatur als Ethnographie“, 2003 und auf Gert Hübners Fokalisierungs-Buch „Erzählformen im höfischen Roman“, 2003. Daneben geht Huber aber auch auf die Diskussionen zum empathischen Erzählen und neue Beiträge zur immer virulenten Minne-Thematik im Werk ein. Kapitel 12 sodann beleuchtet abschließend die „Perspektiven der Rezeption“. Nur in diesem letzten Kapitel würde man sich mehr Ausführlichkeit wünschen, geht doch der Trend der Forschung immer mehr dahin, den „Tristan“ Gottfrieds im größeren Zusammenhang der Stofftradition zu sehen und auch andere Bearbeitungen wie etwa die Fortsetzungen Heinrichs von Freiberg und Ulrichs von Türheim oder aber Bildzeugnisse einzubeziehen, wie sie im Sammelband „Visuality and Materiality in the Story of Tristan and Isolde“, den Jutta Eming, Ann Marie Rasmussen und Kathryn Starkey 2012 herausgegeben haben, vorgeführt werden. Huber nennt das Buch auch mehrfach, bleibt aber sehr kurz angebunden mit eigenen Ausführungen zum Thema.
Der Band ist mit seinen fast dreißig Jahren Geschichte schon selbst ein Klassiker. Huber hat seinem Buch mit der Neuauflage den Platz in den Bibliotheken zurückerobert, der der inzwischen ein wenig antiquierten zweiten Auflage nicht mehr zukam. Die sehr gut lesbare, kenntnisreiche und lohnenswerte Einführung von einem der besten Kenner der Materie ist wieder da und wird auch Studierende und Lehrende des nächsten Jahrzehnts gewinnbringend begleiten.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg