Nach dem Bachmann-Preis: As time goes by…

Ein Rückblick auf die Tage der deutschsprachigen Literatur 2014

Von Lisa-Marie GeorgeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa-Marie George und Katharina GraefRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Graef

Ob in der FAZ, im Tagesspiegel oder in der Welt: Alle waren sich in diesem Jahr einig, dass der 38. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb einen „besonders schwachen Jahrgang“ (Gregor Dotzauer für den Tagesspiegel) an Autoren, Texten und Jurydiskussionen hervorgebracht habe. Wer sich darüber ein eigenes Bild machen möchte, dem sei der Blick in die Wettbewerbstexte und Lesungen auf bachmannpreis.eu empfohlen.

Für die anwesende Presse stand fest: Die Jury sei „wenig souverän“ gewesen (Roman Bucheli für die NZZ) und die Diskussionen über die Texte einigermaßen „dröge“ (Christoph Schröder für die ZEIT). Einzig und allein Fatma Aydemir sprach in der taz von einem Wettbewerb, der „literarisch auf der Höhe“ sei.

Ebenso wichtig wie der Wettbewerb ist für die Autorinnen und Autoren genauso wie für ihre Verleger und Agenten aber auch der aus ihm resultierende ‚Langzeiteffekt‘. Wie sind die Reaktionen der Presse und der übrigen Fachwelt, aber auch der Leser nach dem Wettbewerb? Sowohl positive als auch negative Beispiele sind aus der Geschichte des Bachmann-Preises bekannt – man denke an die Debatte um den Text „Kinderficker“ von Urs Allemann, den er 1991 beim Wettbewerb präsentierte. Obwohl er den Preis des Landes Kärnten erhielt, bescherten ihm die negativen Schlagzeilen einen Karriereknick. Häufiger sind zum Glück die positiven Beispiele. Preis oder kein Preis: Nicht immer bedeutet eine Auszeichnung Ruhm oder harsche Kritik von der Jury ein vorzeitiges Karriere-Ende.

Jenseits der Preisträger blieben einige der Autoren vom diesjährigen Wettbewerb in den vergangenen Monaten im Gespräch – überraschenderweise gerade diejenigen, die mit ihren Texten anscheinend nicht gehört oder verstanden wurden und sich nun im Nachhinein durchsetzen.

Die Berliner Autorin und Journalistin Anne-Kathrin Heier sorgte mit ihrem Text „Ichthys“ für einen kontroversen Meinungsaustausch in der Jury. Da reichte die Diskussion vom höchsten Lob (Burkhard Spinnen: „So spricht das 21. Jahrhundert.“) bis zum vernichtenden Urteil (Hildegard E. Keller: „Das ist keine Literatur.“). Bei der Preisverleihung schaffte Heier es schließlich auf die Liste der sieben Preisanwärter, ging jedoch nach der Juryabstimmung leer aus. Aber bereits nach ihrer Lesung lobte die ZEIT das „literarische Wagnis“ der Autorin, die den Wettbewerb um einen „latent größenwahnsinnigen“ Text bereichert habe. Zwei Monate später wird man auf Anne-Kathrin Heier aufmerksam und bezeichnet sie als die „heimliche Gewinnerin des diesjährigen Bachmannpreises“ (Interview.de). Es ist zu erwarten, dass ihr in Arbeit befindlicher Roman „Intempesta“ bei seinem Erscheinen Aufmerksamkeit und positive Resonanz erhalten wird.

Ein weiterer Name, um den man in diesen Tagen nicht herum kommt, ist der von Karen Köhler. Am 25. August ist ihr Erstling „Wir haben Raketen geangelt“ erschienen, und Print- und Online-Feuilletons singen seither Lobeshymnen. Und das obwohl – oder gerade weil – Köhler aufgrund von Windpocken kurzfristig ihre Lesung absagen musste und nicht nach Klagenfurt kam. Sie erhielt aber gerade dadurch größeren Raum in der Berichterstattung. Ursula März beendet ihre Rezension von Köhlers Debüt mit dem starken Satz „Da ist Meisterschaft am Werk.“ Klaus Irler lobt ihren klaren Blick auf die Welt und das „Spannungsverhältnis“ zwischen Gegenwart und Vergangenheit in ihren Erzählungen, und Marc Reichwein freut sich über die Einladung „zu tollen Roadtrips“.

Dagegen ist vom aktuellen Preisträger Tex Rubinowitz nach einem kurzen Hype im Juli zurzeit nur noch wenig zu hören und zu lesen. Unmittelbar nach dem Klagenfurter „Bewerb“ war er gemeinsam mit Josef Winkler zu Gast beim Bachmann-Preis-Special der ORF-Sendung les.art. Dort berichtete er über seine Erfahrungen mit Literatur im Allgemeinen (Karl May: langweilig; Knut Hamsun: super) und dem Bachmann-Preis im Besonderen. Für ein Short Story Special der Welt hat er eine Liebes-Lieder-Geschichte über seine Neu-Definition von Fahrstuhlmusik geschrieben. Sein Siegertext Wir waren niemals hier soll Teil eines Romans werden.

Wieder einmal zeigt das Feuilleton: Auf lange Sicht entscheidet immer die Qualität des Autors und seiner Texte über Erfolg oder Misserfolg beim Publikum. Gerade hat Lutz Seiler – nicht gerade überraschend, jedoch verdient – den Deutschen Buchpreis 2014 erhalten. Sein erster Roman Kruso, der das letzte Jahr vor der Wende auf der Ostseeinsel Hiddensee beschreibt, ist pünktlich zum 25-jährigen Jahrestag des Mauerfalls erschienen und wird in den Rezensionen hoch gelobt. Der Ingeborg-Bachmann-Preisträger von 2007 ist ein gutes Beispiel dafür, dass es für jeden Autor auch ein Leben nach dem Wettbewerb gibt – egal, ob man gewinnt oder nicht.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen