Unter Glücksverdacht

Matthias Zschokke in Venedig

Von Niels PenkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Niels Penke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es scheint sich eine Regelmäßigkeit einzustellen, mit der Matthias Zschokke im beständigen Wechsel Romane und Autobiografisches veröffentlicht. Bereits 2008 waren mit Auf Reisen Berichte zu lesen, die den Ausgangspunkt von Zschokkes Schreiben, Berlin, mit mal mehr, mal weniger entlegenen Orten kontrastierten. Nun, nach Lieber Niels und Der Mann mit den zwei Augen also Venedig, wo Zschokke sieben Monate als poet in residence verbrachte und ausgiebig korrespondierte. Aus dem Fundus seiner E-Mails sind Die strengen Frauen von Rosa Salva als eine Art Tagebuch hervorgegangen.

Doch anders als beim diarischen Schreiben, sind die venezianischen Aufzeichnungen von einer auflockernden Polyphonie gekennzeichnet. Obwohl sie alle von einer Hand stammen, sind nicht nur die Wechsel der Themen, sondern vor allem auch die der Töne bemerkenswert. Vertraulichkeit und Distanz changieren so angesichts verschiedenster Empfängerinnen und Empfänger – an den Freund in Köln, dem bereits schon der gesamte Lieber Niels e-postalisch zugegangen war, an einen Jugendfreund, der Germanistikprofessor wurde, den Lektor, die Tante und Stiftungsangehörige. Dabei wird im meist munteren Plauderton eine weite Themenpalette von Architektur und Klima, Kaffee und Schwimmengehen, Fußball und Literaturbetrieb abgedeckt, und das ohne in der Wiederholung ermüdend zu werden. Insgesamt sind es gewiss eher „Krümelchen statt großer Sensationen“, die Zschokkes Aufenthaltsbeschreibungen ausmachen, aber auch diese zeigen Wirkung, wenn sie sich zu einem ungeahnt gehaltvollen Ganzen verdichten.

Manches davon ist bekannt – die beständigen, weiterhin vorsichtig vorgetragenen Klagen über die existenziellen Unsicherheiten des Schriftstellerdaseins und die darauf gegründeten Zweifel, die sich im permanenten Ringen mit der logisch doch so naheliegenden Resignation befinden. Aber weiter geht es trotzdem jedes Mal. „Etwas besseres als den Tod“ werde man in Venedig schon finden, heißt es zu Beginn. Und wie viel besser sich dieses warme, farbige Leben ausnimmt! Zunächst wirkt die Stadt als Droge, in der das „zerebrale Spazierengehen“ zum rauschhaften Ereignis wird.

Venedig zu bewohnen, sei Arbeit, heißt es, da dessen Fülle es einem wie Stendhal ergehen lasse. Faszination und Erschöpfung gehen Hand in Hand, mit dem Resultat, dass das sofortige Vergessen des Gesehenen immer neue Aufbrüche provoziert. Dazwischen äußert sich der immer wiederkehrende Zweifel, doch vielleicht unverdientermaßen an diesen Ort geraten zu sein und argwöhnisch unter „Glücksverdacht“ zu stehen. Doch nur so lange, bis die Ahnung aufkommt, dass vielleicht die böse Hexe, die Stiftung, ihn doch nur mäste, um es ihm bis zur Schlachtreife möglichst gut gehen zu lassen. Denn auch im Glück nisten sich immer wieder Zweifel in Zschokkes Gedankenwelt ein, die das Wohlergehen rasch in „schattenhafte Melancholie“ umschwingen. Besonders die als enttäuschend empfundene Aufnahme des 2012 veröffentlichten Romans Der Mann mit den zwei Augen trägt hierzu bei. Als „Schwermetallbaron“ fühlt er sich, der zum wiederholten Male wie Blei im Regal liege. Eine mögliche Reaktion, die daraufhin immer wieder erwogen wird, ist das Verstummen; oder sich der Literatur überhaupt zu entsagen und auch auf das Lesen gleich mit zu verzichten. Und so durchzieht ein Paradox beinahe das gesamte Buch: es mit dem Schreiben sein zu lassen, ja, eigentlich schon längst damit aufgehört zu haben, weil seit Wochen keine Zeile aufs Papier gekommen sei – und dabei doch Tag für Tag Seite um Seite zu füllen. Am Ende wurde „nichts“ geschrieben und das Buch hat 400 Seiten.

Denn Venedig kann offensichtlich mehr als nur überfordern, und so weichen die Zweifel einer aus scheuem Optimismus wachsenden Genügsamkeit, die sich aus der allgegenwärtigen und damit bald alltäglichen Schönheit speist, die gerade deshalb so schön ist, weil sie vom deutschen Gewohnheitsalltag auf prachtvollste Weise verschieden ist. Wie auch den schreibenden Zschokke das erlebte Venedig versöhnte, so besänftigt auch das Buch beim Lesen mit seinen Stimmungen – die Schönheiten des Klimas, des Meeres, der Küchen und der Architektur verzaubern – ob man sie nun aus eigener Anschauung kennt oder nicht – und machen letztlich erträglich, was eigentlich so kaum zu ertragen ist. Eine ebenso raffinierte wie gefährliche Literatur, die sich auf dem schmalen Grad bewegt, das verwindbar zu machen, was der eigentliche Grund ihrer Schwierigkeit und ihres prekären Status’ ist. Darauf beharrlich hinzuweisen und dennoch ausreichend Kontrapunkte zu setzen, um Die strengen Frauen von Rosa Salva zu einer insgesamt ungemein angenehmen, bezaubernden, mitunter sogar erbaulichen Lektüre zu machen, darin besteht die große Kunst von Matthias Zschokkes Erzählen.

Titelbild

Matthias Zschokke: Die strengen Frauen von Rosa Salva.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014.
414 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783835315112

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