Rächer, Gerechtigkeit

Carlo Lucarelli lässt die „Bestie“ los, diesmal auf Seiten der Gerechtigkeit

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Recht und Gerechtigkeit sind nicht immer eins, auch nicht dann, wenn der Gerechte auf der Seite des Rechts agiert, falls er dabei Recht und Gesetz missachtet. Carlo Lucarelli inszeniert einen solchen Fall, der allerdings ein wenig arg auf die Bedeutungstrommel haut, weil er partout dem ständigen Spiel des Krimis mit beiden Themen eine neue Note hinzufügen will. Das verstößt gegen alle Regeln der Roman- und Krimikunst – das Ganze muss möglich und hinreichend plausibel sein. Aber es ist dennoch ansehnlich zu lesen.

Die ermittelnde Kommissarin Grazia Negro (was für ein Name) wird zu einem Tatort gerufen, der einigermaßen grässlich ist. Das Opfer, ein junger Mann, ist geradezu zerfleischt worden. Weiter ist an dem Ganzen unschön, dass das Verbrechen (obwohl in Bologna geschehen) an einem randständigen Mitglied der Mafia verübt wurde. Der junge Mann hat zwar anscheinend nichts mit deren Machenschaften zu tun, aber die Familie.

Aus diesem Grund richten sich die Ermittlungen, an der verschiedene Institutionen der italienischen Polizei beteiligt sind, zuerst auf ein Motiv, das mit der Mafia zusammenhängt. Ein Racheakt, der Auftakt einer Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Familien: Nichts davon lässt Gutes erahnen, und entsprechend nervös gehen die Ermittler vor.

Ihre Aufgabe wird auch dann nicht einfacher, als der rasende Mörder – denn es ist ein Mensch und kein Wolf oder ein anderes Raubtier, das hier zur Tat schreitet – weitere Opfer findet, die nichts mit dem ersten Opfer verbindet. Außer, dass sie am Rande mit irgendwelchen Verbrechen zu tun haben, oder mit Aktivitäten, die am Rande der Legalität geschehen.

Kein Mafiamord also, keine Familienkriege, aber auch keine Opfer aus dem engeren Kreis krimineller oder semikrimineller Aktivitäten – es fehlt also so etwas wie der gemeinsame Nenner, das Muster, nach dem die Ermittler suchen können. Problematischer wird die Ermittlung auch dadurch, dass ein erster Verdächtiger, der in Haft genommen wird, weil er sich mit den Taten gebrüstet hat, im Gefängnis von Mafia-Schergen ermordet wird. Die Familie richtet gerne selbst, meint man daraus lesen zu können. Nur dass der Mann ein Idiot und unschuldig war, wie Grazia Negro erfahren muss. Denn es gibt weitere Taten.

Unangenehm ist auch, dass der Täter anscheinend sehr viel von den Ermittlungen weiß. Er attackiert Grazia Negro, er ermordet einen der ermittelnden Kollegen, der ihm zu nahe kommt. Es muss also jemand sein, der ganz in der Nähe ist. Entweder einer der Ermittler selbst oder jemand, der Zugang zu ihren Ergebnissen hat.

Die Ermittlungsgeschichte wird durch die private Story Negros unterfüttert, die junge Frau will ein Kind. Ihr blinder Lebensgefährte muss dafür den Samen spenden, die Beziehung geht jedoch in die Brüche, Grazia Negro beginnt eine Liaison mit einem der Carabinieri-Kollegen, der nicht minder intensiv ermittelt als die Kriminalpolizistin Grazia Negro.

Die Kollegen kommen sich also über die Ermittlung immer näher, was naheliegenderweise zu Komplikationen führen muss, allerdings in einem anderen Maße, als man erwarten würde. Denn Lucarelli inszeniert in seinem Roman eine wenig wahrscheinliche Variante des Musters, dass der Täter zerstört, was er täglich sieht und liebt. In diesem Fall muss Grazia Negro in ihrer allergrößten Nähe suchen, um fündig zu werden. Und sie findet statt einem mehrere Täter, allerdings in einer Person. Was dann zu einigen psychiatrischen Exkursen Anlass gibt. Wir haben es hier also mit einer multiplen Persönlichkeit zu tun.

Weil jedoch niemand davon ausgeht, dass so etwas Ursache von solchen Taten sein wird, braucht es eine Weile, bis alle Plausibilitäten ausgeräumt sind und dann die einfachen Tatsachen sprechen können, die nach und nach hervortreten. Das aber erinnert ein wenig an die Gedankenspielerei, die Edgar Allen Poe im „Doppelmord in der Rue Morgue“ inszenierte (und die seinerzeit schon wenig wahrscheinlich war, aber die einzig denkbare Möglichkeit). Ein Affe als Mörder oder ein Schizophrener, ein Schinken als Waffe oder ein Eiszapfen – da lobt man sich doch einfach ausgetickte Leute, die einfach mal jemanden erwürgen oder eine Mafia-Bande, die alles niedermäht, was sich ihr in den Weg stellt. Einfach gemacht, einfach begründet, keine Spirenzien.

Dass man Lucarellis Thriller dennoch ganz gern liest, liegt vielleicht daran, dass er erfolgreich darum bemüht ist, den Ruhm des italienischen Krimi-Genres gegen die touristisch inspirierten Exponate der Externen zu mehren. Und das auch noch am ungewohnten Ort, in Bologna statt in Venedig, Siena oder Florenz – das hat doch was.

Titelbild

Carlo Lucarelli: Bestie. Thriller.
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl.
Folio Verlag, Wien 2014.
271 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783852566474

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