„I ain’t no Houellebecq girl“

Michel Houellebecq schreibt eine kleine Zukunftsvision mit großem Aufschrei

Von Nils KoopmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nils Koopmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unterwerfung. Islamischer Staat. Terrorismus. #jesuischarlie. Trauermarsch. Was müssen das für Wochen gewesen sein für Michel Houellebecq, für diesen „Dandy mit Obdachlosenattitüde“, wie wir zuletzt in der Welt lesen durften. Da schreibt er einen Roman, in dem eine muslimische Partei in Frankreich die Mehrheit erhält und zwei Tage nach der Veröffentlichung greifen Terroristen mitten in Paris die Pressefreiheit mit Sturmgewehren an. Augenblicklich wurde Unterwerfung mit dem Terroranschlag in Verbindung gebracht und der Roman rückte schlagartig ins Zentrum der massenmedialen Aufmerksamkeit. Houellebecq floh daraufhin aus Paris, wie der Protagonist seines Romans.

Nach 272 Seiten folgt auf den mediengemachten Aufreger die Ernüchterung: Der Islamstaat Frankreich spielt in diesem Roman über weite Strecken nur eine Nebenrolle. Unterwerfung ist weder eine große Utopie noch eine Dystopie. Wir verfolgen den in die Jahre gekommenen Literaturwissenschaftler François, der mit seinem Leben nicht mehr im Reinen ist. Dieser hat sich Zeit seines Lebens nur mit dem Autor Joris-Karl Huysmans beschäftigt und lehrt nun an einer mittelmäßigen Universität in Paris. Die vielen jungen Studentinnen, die er verführt hat, haben seinem Sexualleben den Spaß genommen. François denkt über Familie nach, sieht aber keinen Reiz in einer festen Bindung. Seine einzige Liebe gesteht er sich selbst erst ein, als diese für immer nach Israel flieht. Myriam ist – wie all die anderen Geliebten – zwar auch noch recht jung, wusste ihn aber zu befriedigen.

Der Mittelteil des Romans befasst sich mit den anstehenden Wahlen in Frankreich. Marine Le Pen hat mit ihrer Front National die etablierten Parteien verdrängt. Überraschend tritt Mohammed Ben Abbes mit seiner Muslimischen Partei in der Stichwahl gegen sie an, welche die Muslime mit einem breiten Parteienbündnis gewinnen. Schnell folgen Reformen, die das traditionelle Familienbild wieder einführen, das Bildungssystem dem Islam anpassen und Polygamie vor dem Gesetz erlauben. François, der zunächst vor den Unruhen während der Wahlen in die französische Provinz geflohen war, wird der Vorruhestand angeboten. Er passe nicht in das neue Hochschulsystem mit den arabischen Geldgebern und werde darum von eben diesen gut bezahlt in Rente geschickt. Er stürzt daraufhin in eine noch tiefere Sinnkrise und trauert weiterhin Myriam nach. Diese Verluste kann der Literaturwissenschaftler weder mit Alkohol, noch mit seinem Idol Huysmans oder diversen Escortdamen kompensieren.

Nach einiger Zeit wird François ins soziale Leben und in die Wissenschaft zurückgeholt. Er, als größter Huysmans-Forscher, soll dessen Werke kommentiert herausgeben und auch wieder an der Universität lehren. Dafür wird er persönlich vom Dekan eingeladen, der opportunistisch zum Islam konvertiert ist. Dieser überzeugt ihn, gemeinsam mit seiner hübschen, sehr jungen Zweitfrau und bei Baklava, nicht nur dazu, wieder an die Universität zu kommen, sondern auch einen Glaubenswechsel zum Islam zu erwägen – wenn auch nur aus sexuellen Motiven. Der Islam wird im letzten Teil des Romans fast gänzlich auf die Polygamie reduziert. François’ finale Konversion findet aber nur noch im Konjunktiv statt, was Unterwerfung etwas fad enden lässt. So schreibt Houellebecq: „Dann würde ich mit ruhiger Stimme die folgende Formel sprechen […]: ,Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Gesandter.‘ Und das wäre schon alles; fortan wäre ich ein Muslim.“

Im großen Ganzen lässt der Roman ein gemischtes Gefühl zurück. Die politischen Vorgänge in Frankreich und die Hochschulpolitik werden von Houellebecq sehr detailliert und realistisch erzählt, auch wenn er „an keiner Universität studiert“ hat, wie er in der Dankesbekundung am Ende des Buchs anmerkt. In Zeiten von PEGIDA und erstarkenden radikalen Parteien in Europa sind diese Zukunftsaussichten nicht allzu abwegig. Der chauvinistische und introvertierte Fachidiot als Hauptperson ist ebenso sympathisch wie abstoßend. Nur ungern erkennt man sich selbst in ihm wieder, wenn er sich mit Alkohol und Büchern zurückzieht oder sich weigert, mit Mediävisten zu sprechen. Die ständigen intertextuellen Huysmans-Verweise und Bezüge wird man bei der Lektüre schnell leid. Michel Houellebecq hätte sich stärker mit dem Alltagsleben im islamischen Frankreich widmen können, statt dieses lediglich auf verdeckte Frauenhintern zu beschränken. Im Gespräch über mögliche Erst-, Zweit- und Drittfrauen stellt François fest, dass der Gesichtsschleier bei der Brautsuche stört: „Wenn man nun in der Situation ist, aussuchen zu müssen, kann das einige Probleme hervorrufen…“ Die vom Feuilleton angesprochenen „Albträume Westeuropas vor dem Islam“ werden in Unterwerfung nicht geschürt. Ben Abbes wird als ebenso charismatischer wie erfolgreicher Präsident dargestellt und besonders seine Außenpolitik scheint lobenswert. Die EU-Erweiterung verlagert sich in den Süden und einige nordafrikanische Länder werden zu Beitrittskandidaten. Die Bildungseliten in Frankreich arrangieren sich mit der muslimischen Lebensweise und vor allem die Männer scheinen Gefallen daran zu finden. Das ‚Experiment muslimischer Staat’ könnte also gelingen.

Abschließend muss festgehalten werden, dass dieser handwerklich solide Roman die Kontroverse nicht verdient hat. Der Islam wird aus einer frauenfeindlichen Perspektive in den Blick genommen, welche zwar zum schwarzen Humor Houellebecqs passt, jedoch nicht den Erwartungen standhält. Michel Houellebecq muss nicht fürchten, von Terroristen mit blanken Gewehren in seinem Arbeitszimmer überrascht zu werden. Er sollte sich vor Femen-Aktivistinnen mit nackten Brüsten in Acht nehmen. Er potenziert seine eigenen misogynen Männerphantasien auf ein unerträgliches Maß, wenn er westliche Patriarchen zu polygamen Konvertiten mutieren lässt. Gwen Stefani wird sich gezwungen sehen, in ihrem Girlpower-Popsong „Hollaback Girl“ fortan die Zeile „I ain’t no Houellebecq girl“ zu singen.

Hinweis: Diese Rezension ist im Rahmen eines Seminars über „Literarische Neuerscheinungen“ an der Universität Duisburg-Essen geschrieben worden.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Michel Houellebecq: Unterwerfung.
Aus dem Französischen übersetzt von Norma Cassau und Bernd Wilczek.
DuMont Buchverlag, Köln 2015.
300 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783832197957

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