Das Wachsfigurenkabinett des Wolfgang W.
Mit „Fischsuppe“ erweitert W. Welt seine Ruhrpott-Autobiographie um 80 Seiten
Von Emily Jeuckens
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Bild einer alten Dame auf Rathausstufen, die Tauben füttert und verhalten mit sich selbst spricht, kann als Symbol schrulliger Einsamkeit in der Großstadt gesehen werden. Unter den dramatis personae des urbanen Alltags im Ruhrgebiet ist diese Rolle jemand anderem auf den Leib geschrieben: Wolfgang Welt. Seit er seine journalistische Karriere als polemischer Musikkritiker wegen einer psychischen Erkrankung beendet hat, arbeitet Welt als Nachtwächter des Bochumer Schauspielhauses. Diese schicksalhafte Verwicklung von Tragik, Tristesse und lokalem Schwank sorgte für überregionales Interesse an seiner Person und seinen Texten, die, durchweg autobiographisch, schnoddrig und schlicht, bis zum jüngsten Buch im Suhrkamp Verlag erschienen. Ob er sich nun als Autor, Nachtwächter oder Psychiatrie-Patient inszeniert, Wolfgang Welts literarische Ambitionen liegen stets auf dem Gebiet der Mythenspinnerei um die eigene Biographie. Seine kürzlich erschienene sechste Veröffentlichung Fischsuppe,diesmal im Peter Engstler Verlag, setzt diese Tradition fort.
Auf radikal kurzen 80 Seiten schreibt Welt seinen autobiographischen Slalomlauf durch das Ruhrgebiet und seine Popkultur dort weiter, wo er mit Doris hilft, dem Vorgänger, endete. Anfang der Neunziger Jahre, zurück aus der Psychiatrie, zieht der Protagonist wieder ins Haus seiner Eltern. Kumpelhaft begrüßt („Kann doch mal passieren“, so die Reaktion des Arbeitgebers auf seinen Zusammenbruch, infolge dessen er nackt durch die Kölner Innenstadt rannte), nimmt er seine Arbeit an der Nachtpforte des Schauspielhauses wieder auf. Über eine erzählte Zeitspanne von fünfzehn Jahren spinnt Welt seinen Faden aus Anekdoten, London-Reisen und Gesprächen; eine Zäsur ist der Tod des Vaters, der länger thematisiert, aber umso knapper resümiert wird: „Ich kriegte mich wieder ein und schlief“.
Das zentrale Element des Textes sind die lakonisch eingeführten Figuren, die der Autor nacheinander über die urbane Bühne spazieren lässt. Ob sie nun dem persönlichen Umfeld des Autors, dem Bochumer Stadtbild oder der überregionalen Presse entsprungen sind, Welt skizziert trocken, zuweilen böse den gemeinsamen Weg. So entsteht ein schmuckloses Diorama der Bochumer Königsallee rund um die Intendanz von Leander Haußmann – einer weiteren Wachsfigur in Welts Kabinett: Große Erfolge habe jener nicht gehabt, dafür aber gerne so laut gefeiert, dass die Polizei kam.
In einem (dem Ruhrgebiet als Stilzug zugeschriebenen) einsilbigen Duktus erinnert sich der Protagonist an ehemalige Beziehungen, spricht über seine kranke Mutter, Exfreundinnen und die Schauspielerin Tana Schanzara. Dabei unterscheidet er nicht zwischen Prominenz oder persönlicher Nähe, zwischen alten Freunden und flüchtigen Begegnungen, sie alle werden in zwei bis drei Sätzen lakonisch präsentiert: „Der Neue machte schon, als er kam, einen schläfrigen Eindruck. Er erzählte, dass er keine Meinung mehr hätte, seine Frau war gerade gestorben. Dafür hatte er ein paar Flaschen mit“. Oder, vulgärer: „Diese Frau, Ingrid, gefiel mir und vielleicht gefiel mir die andere noch besser. Wird Zeit wieder zu ficken“. Brutale Kürze, trockener Humor und schonungslose Drastik prägten Welts Prosa von Beginn an – doch dass er in Fischsuppe nun völlig auf Distanz zu seinen Figuren und deren Zusammenleben in der rauen und doch warmen Ruhrmetropole geht, ist zu bedauern. So wird der Leser um die Erkenntnis reicher, dass man im Bochumer Schauspielhaus als Nachtwächter kostenfrei kopieren kann, dass man in London besser eine Kreditkarte dabei hat und dass Welt noch immer Buddy Holly verehrt. Doch der Protagonist und sein Wachsfigurenkabinett bleiben fremd und unnahbar.
Obendrein stellt sich die Frage, ob 80 Seiten, die ausschließlich durch drei scheinbar wahllos gesetzte Fettdrucke strukturiert werden, überhaupt als Roman klassifiziert werden können. Einer Einordnung als Novelle widersprechen deren traditionelle Gattungskriterien; so wird keine singuläre Neuigkeit beschrieben, es finden sich beim besten Willen weder Handlungsstringenz noch Symbolik in Welts Werken. Und doch wirkt die Einordnung als Roman angesichts der Kürze und des Mangels an thematischer Breite unzutreffend. Es liegt näher, Fischsuppe als Fortsetzung der von Martin Willems herausgegebenen Kurzschriften Ich schrieb mich verrückt: Texte von Wolfgang Welt 1979-2011 zu betrachten, denn dieser durchaus amüsante literarische Touretteanfall straft alle gattungspoetologischen Kategorisierungsversuche Lügen.
Kaum einem anderen Autor der gegenwärtigen „Pop-Literatur“ würde man einen Text wie Fischsuppe klaglos verzeihen: Zu rotzig, trivial und blutleer werden Ereignisse und Bekanntschaften additiv gereiht. Doch gelten in der Beziehung zwischen Wolfgang Welt und seinem Publikum andere Spielregeln. Die Kumpelhaftigkeit, die von Bochum-Langendreer aus über die Republik hinweg mit dem talentierten, rüpelhaften und tragisch erkrankten Wolfgang Welt herrscht, ist nicht zu unterschätzen. Seine tiefe Verankerung im lokalen Kulturleben, im kleinen Fußballverein und in der überregionalen Musikpresse sorgen für eine ungebrochene Solidarität mit dem Nachtwächter, der manchmal große Romane wie Peggy Sue oder zweifelhafte wie Fischsuppe schreibt und der, wie die taubenfütternde Dame auf den Rathausstufen, zur kleinen Ruhrgebietsikone geworden ist.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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