Schlechte Eigenschaften? Keine

Alfred Polgars Biografie über Marlene Dietrich ist von Ulrich Weinzierl erstmals herausgegeben worden

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Sie schoss von einer Treppe herab, die im Hintergrund sich wendelte, sie blieb dort stehen, als die Tat getan war, und sah auf das Opfer mit einem Blick, in dem Uninteressiertheit, kindliche Neugier, Müdigkeit und Gefühle schicksalhaften Unvermögens zu verstehen (wie es aus dem Tier-Auge trauert) sich mengten.“ Und schon damals, Mitte der zwanziger Jahre, als diese Schauspielerin, die 1927 als „zweites Broadway-Girl von links“ in einem unbedeutenden Stück auftrat, schon damals gab es einen Fanclub, „ihr Präsident war der bedeutende Psychoanalytiker und Sprachforscher A. J. Storfer und ihr Mitglied ich“.

Bücher haben ebenso ihr Schicksal wie Menschen. Wie der ehemals berühmte Wiener Theaterkritiker und Feuilletonist Alfred Polgar, der wie so viele Juden und kritische Geister vor den Nazis fliehen musste. Von Berlin erst über Prag nach Wien, 1938 dann nach Frankreich, über Spanien und Portugal in die USA. In seinem Gepäck: ein Buchmanuskript über das ehemalige zweite Girl von links, die inzwischen, vor allem nach dem Film „Der blaue Engel“, weltberühmt geworden war: Marlene Dietrich. In Berlin, wo Polgar lange lebte, trafen sie sich häufiger, sie schrieben sich Briefe, und Marlene Dietrich schätzte seine Kritiken und Bücher.

Als er von allen Einnahmequellen in Deutschland abgeschnitten war, sich ab 1938 in Frankreich durchschlagen musste und sie als reiche Diva in Hollywood residierte, begann sie ihn zu unterstützen: über einen Schweizer Freund, Carl Seelig, schickte sie sofort einen Scheck über 500 Dollar, eine enorme Summe. Polgar bedankte sich auf seine Weise: Er begann eine Marlene-Biografie. Sie ist nie erschienen, aber zum Glück erhalten geblieben. 1984 wurde sie wiederentdeckt, aber nicht in die Polgar-Werkausgabe aufgenommen, weil man nicht wusste, wie und wo sie entstanden ist. Und Dietrich lebte zu der Zeit noch, die Materialien waren noch nicht frei.

Natürlich ist der Text, der Ende der 30er-Jahre aufhört, eine idealisierende Hommage an den Star, stellt ihre positiven Seiten heraus, beschreibt die Faszination, denen damals so viele erlegen sind: „Marlene filmt. Sie filmt die elegante Verführerin, deren Lieblingsspaziergang der über Leichen ist, den Vampir, abgekürzt: Vamp, auf schwellende Kissen hingeschlängelt à la serpent, der Gentlemen das Blut oder zumindest das Geld aussaugt, kurz die so unwiderstehliche wie kalte und böse Frau, bei deren Anblick das Männerherz an das Frackhemd klopft wie das Schicksal an die Pforte.“ Nur Polgars Ironie, die mal mehr, mal weniger herausblitzt, mildert die quasi kniende Perspektive, aus der er schrieb, ein wenig ab. So wenn er bei einem Interview auch gleich seine „dummen Fragen“ mit reflektiert und die Dietrich dabei als „sanft, erkältet und auf manches gefasst“ charakterisiert, als sie überlegt, welche schlechten Eigenschaften sie hat. Sie antwortet: „Keine.“ Und dann kommt ihr Mann „ins Zimmer und bekräftigt nachdrücklichst die Auskunft seiner Frau“.

In einem brillanten, oft schwebenden Stil, in dem er noch in den widrigsten Umständen zu schreiben fähig war, folgt Polgar ihrem Lebenslauf und der steilen Karriere, schreibt über die Philosophie des „Sex Appeal“, beschreibt ihr Gesicht, den verschleierten Blick, ihre berühmten Beine und ihre tief hauchige Stimme. Immer auf der Suche nach dem passenden Wort, dem fließenden Rhythmus: Es ist noch heute eine Freude, diesen Text zu lesen. Diese neue Ausgabe zu genießen, denn den 70 Seiten Biografie sind ein 50seitiges, sehr sachkundiges Nachwort des Herausgebers Ulrich Weinzierl beigegeben und 30 Seiten Anmerkungen. Und das ist ein Glück, denn Weinzierl erklärt die vielen biografischen Verästelungen und Wirren in allen Einzelheiten, nicht unkritisch, aber immer sachlich.

Titelbild

Alfred Polgar: Marlene. Bild einer berühmten Zeitgenossin.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Ulrich Weinzierl.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2015.
160 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783552057210

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