Thema nur tangiert

Tommy Wieringas Kurzroman „Eine schöne junge Frau“ hat große erzählerische Schwächen

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tommy Wieringa hat sich mit seinem neuen Roman „Eine schöne junge Frau“ eines alten Themas angenommen: den Konflikten, die sich aus Beziehungen mit großen Altersunterschieden ergeben. Wieringas Protagonist Edward ist ein erfolgreicher Virologe mit einer fünfzehn Jahre jüngeren Frau, Ruth, einer attraktiven blonden Soziologiestudentin ohne Abschluss. Sie verlieben sich, sie heiraten, sie bekommen ein Kind. Von Routine und Gewohnheit gelangweilt beginnt Edward jedoch bald eine Affäre mit einer noch Jüngeren.

Unzählige Male ist die Geschichte des älteren Mannes, der soziale Vorteile und materielle Sicherheit verspricht und sich in eine jüngere Frau verliebt, bereits erzählt worden. Außerdem wird sie in der Realität von Prominenten wie Silvio Berlusconi und Oskar Lafontaine öffentlich ausgelebt. Die Frau gibt sich dem älteren Partner hin und erfährt im Gegenzug einen sozialen Aufstieg. Wenn der Mann jedoch mehrere Jahre mit seiner nun auch reifer werdenden Frau verheiratet ist, fühlt er sich – wie Edward von Ruth – von gesellschaftlichen Konventionen und moralischen Ansprüchen eingeengt und sucht sich eine noch jüngere Affäre. Dass der Amsterdamer Tommy Wieringa eine solche geradezu klassische Figurenkonstellation wählte, weckte die skeptische Neugierde vieler Leser in den Niederlanden. Der Kurzroman „Eine schöne junge Frau“ wurde außerdem im Rahmen der „Nationalen Boekenweek“ als Gratisroman verschenkt, was der schnellen Verbreitung zweifellos zuträglich war. Die Leser stellten sich zurecht die Fragen: Welche Wendung würde die Geschichte nehmen, welche neuen Aspekte könnte Wieringa dem altbekannten Thema hinzufügen?

Die Meinungen von Philosophen und Psychotherapeuten gehen darüber, ob eine väterliche Beziehung der Erotik, der Persönlichkeitsentwicklung und letztlich der Seele schadet oder nicht, bis heute auseinander. Immer wieder wird behauptet, dass die Jugend der Partnerin den Mann belebt und das Alter des Mannes die Sehnsucht der Frau nach Verlässlichkeit und Geborgenheit befriedigt. Doch in Wieringas Roman ist es anders. Sein Alter sieht Edward als permanente Kränkung. Und schließlich erkennt Edward: „Der Besitz einer schönen jungen Frau wurde erst dann erträglich, wenn man sich eine noch jüngere Geliebte nahm.“ Edward glaubt, dass seine Frau ihn nicht jünger, sondern er seine Frau älter macht. „Zusammen mit Gleichaltrigen nahm sie ihr wahres Alter wieder an, leicht und sprühend, während er leise in seinen Bart murmelnd auf seiner Insel in der fernen Zukunft zurückblieb.“ Sie steigert seine Angst vor der Vergänglichkeit noch.

Statt tief in die Seele des Protagonisten einzudringen und diesen Konflikt weiterzuverfolgen, bleibt Wieringa aber stets an der Oberfläche. Die Angst wird nur gestreift, als beispielsweise für Edwards „nachlassendes sexuelles Verlangen“ in einem Nebensatz das Trinken als Grund vermutet wird. Mit diesem Nebensatz endet ein Kapitel, in dem Ruth und Edward auf den Sohn von Ruths Bruder aufpassen und erstmals in Erwägung ziehen, ein eigenes Kind zu bekommen. Als Edward sie fragt, ob sie sich „auch so eins zulegen“ sollten, ist Ruth „so besinnungslos in ihn verliebt, dass ihr Tränen in die Augen stiegen“. Wieringa fasst eine solch zentrale Diskussion auf einer Seite zusammen, während er für den Fortgang der Handlung unwichtigen Ereignissen viel Raum gibt. Großes Potenzial bietet außerdem die Wendung, dass zunächst Edward der die Beziehung dominierende Teil ist und allmählich Ruth Stärke gewinnt, indem sie zunächst das Sexleben rationalisiert und eine Form der Pflichterfüllung wegen der Suche nach dem richtigen Fruchtbarkeitszeitpunkt wichtiger wird als sinnliche Erotik, bis Ruth ihn aus dem eigenen Schlafzimmer und hernach sogar aus der Wohnung verbannt. Die Schwächung von der Vaterposition Edwards bis zum Beziehungsbruch tritt im Vergleich zu den ausführlichen Schilderungen der Aids- und Vogelgrippeforschung Edwards in den Hintergrund.

Ein Teil seiner Forschungen bedarf Versuchen an Frettchen und Hühnern. Edward führt Tierversuche durch, weil er weiß, dass er mit ihnen Fortschritte bei der Entwicklung von Medikamenten machen wird. Jahrelang war er überzeugt, dass seine Versuchstiere zwar Schmerzen empfinden, sie aber nicht leiden können. Plötzlich hinterfragt er seine Forschung. „Noch immer hatte man kein Instrument, um Schmerzen objektiv zu messen. Menschen ließ man die Intensität ihrer Schmerzen selbst angeben“, sinniert Edward. Während seines schnellen beruflichen Aufstiegs hat Edward die Fähigkeit zum Mitgefühl verloren. Ruth führt ihm vor Augen, was ihm fehlt, indem sie auf der Toilette Tierschutz-Aussagen aufhängt. Aber auch dieser Konflikt wird nicht intensiviert, das Thema wird mehrmals nur tangiert.

Es gibt im Arbeitsleben wie auch im privaten Leben Edwards zu viele Nebenfiguren, die ohne Bedeutung für die Handlung bleiben. So wird der Fokus auf Unwichtiges gelegt, zugleich gibt es zu wenige intensive Dialoge zwischen Edward und Ruth; Wichtiges bleibt unscharf. Die erzählerische Schwerpunktsetzung liegt abseits der eigentlichen Höhepunkte. Damit bleibt „Eine schöne junge Frau“ lediglich ein kleiner, dünner Roman – und dies nicht nur wegen des geringen Umfangs, sondern auch wegen des allzu oberflächlichen Inhaltes. Das Interesse am Roman in den Niederlanden verwundert, obwohl er dort verschenkt wurde.

Titelbild

Tommy Wieringa: Eine schöne junge Frau. Roman.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Bettina Bach.
Carl Hanser Verlag, München 2015.
128 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783446247888

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