Elektrische Poesie
Jan Skudlareks erster Lyrikband als unkonventionelle Sichtweise auf die Welt des 21. Jahrhunderts
Von Isabel Steinmetz
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseElektrosmog – darunter versteht man eine Gesamtheit an elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Feldern, die möglicherweise gesundheitsschädliche Auswirkungen auf die Natur und ihre lebenden Organismen wie Mensch und Tier haben. Mit großen Befürchtungen konnotiert und immer wieder im öffentlichen Diskurs auftauchend, ist der Elektrosmog auch in die Poesie eingegangen: Elektrosmog ist der Titel des 2013 bei luxbooks erschienenen Lyrikbandes von Jan Skudlarek. Als Endzwanziger ist er ein Vertreter derjenigen Generation, die in ihrer Jugend die rapiden Entwicklungen der Technik in allen Lebensbereichen hautnah miterlebt hat, insbesondere die Entwicklung von Computern, Internet und Mobiltelefonen. Seine Lyrik bedient sich der Sprache dieser hochtechnisierten Welt und elektronischer Geräte: ‚Laptop’, ‚Systemneustart’, ‚High Definition’ – das sind Worte, auf die man sonst in Gedichten eher selten stößt. Die technischen Bezeichnungen, die unseren Alltag in intensiver Weise begleiten, bergen eine unerwartete und höchst produktive Art von Bildlichkeit. Skudlarek verknüpft sie mit subjektiven Erfahrungen oder Naturphänomenen, und zeigt hierdurch, wie sehr nicht nur unsere Lebensweise, sondern auch unsere Sicht auf die Welt von der Technik der letzten zwanzig Jahre beeinflusst wird. Seine Sprache ist dabei nicht nur von Anglizismen und Fremdwörtern aus dem technischen Bereich durchdrungen, sondern auch von Termini aus anderen Fachsprachen, die nicht immer allgemein geläufig sind. Als „semiotische[r] / singsang“ beschreibt er beispielsweise das Zwitschern der Vögel, ein Bild, dessen Tragweite wohl nicht jeder Leser ohne weiteres erfassen kann. Da die fachsprachlichen Termini allerdings hauptsächlich einzelne Bilder in den Gedichten verstärken, bleiben die Gedichte dennoch zugänglich, ohne etwa abgehoben zu wirken.
Wahrnehmungen, die jedem bekannt sind, setzt Skudlarek somit in neue, der Lyrik bisher noch unbekannte Bilder um – wie beispielsweise der Wechsel der Jahreszeiten in dem Gedicht „als karnivorer winter“: Hier klingt der Herbst „höchstens noch als schwache resonanz“, während „im november die erste testphase abgeschlossen“ ist. An anderer Stelle wird ein grauer Wintermorgen metaphorisch als „ein blue screen über der stadt“ eingefangen. Wer schon einmal solch einen Blue Screen nach einem kritischen Systemabsturz auf seinem Computerbildschirm erlebt hat, weiß sich in diese fatale Situation hineinzuversetzen. Die Metaphern hinken bei Skudlarek keinesfalls, sie treffen unmittelbar den Kern unserer Gegenwartserfahrung. Durch sie entsteht oft ein ernster Ton, warnend vor der Entmenschlichung und der Entfremdung von der Natur. Der Gegensatz Mensch-Maschine wird bei Skudlarek gänzlich aufgehoben und die Menschen werden zu hybriden Wesen. Bei Kälte schrauben die unbekannten Akteure eines Gedichtes ihre „körper / temperaturen“ herunter. Die Körper werden zu Maschinen, zu „karosserien aus fleisch / und kunstblut“. Das Cover und die Illustrationen, die von der Lyrikerin Simone Kornappel stammen, unterstreichen diesen Konflikt. Es sind hauptsächlich Collagen, die alte Schwarzweißfotographien von Männern und Frauen in verkabelte, skurrile, andersartige Umgebungen setzen. Die Körper sind teils verformt, tragen bizarre Auswüchse auf dem Kopf oder an den Beinen. An dieser Stelle kommt die existenzielle Frage auf, wer oder was die Menschen, was wir, eigentlich sind. Skudlareks Antwort darauf beschreibt das unendlich Komplexe unseres Inneren mit den einfachen, aber treffenden Worten „wir sind auch nur touristen in unseren körpern“.
‚Unkonventionell’, so könnte man die Art und Weise beschreiben, wie der junge Lyriker Wahrnehmungen poetisch festhält. Wenn er „im quellcode der kindheit“ liest und dabei sinnliche Erfahrungen – wie das Meeresrauschen, das man in einer Muschel hört – poetisch verfremdet, beweist er bildliche Treffsicherheit. Auch Wahrnehmungsveränderungen durch den Rausch beim ausgelassenen Feiern und Tanzen werden in den Gedichten thematisiert: In „magische pilze – sixtinische lamellen“ wird der Einfluss von chemischen Substanzen auf Psyche und Körper nachgebildet, und in „sex machine“ bildet die lyrische Verarbeitung des Liebesakts einen der elektrisierenden Höhepunkte des Gedichtbands.
Was die reimlosen Gedichte auflockert, sind (typographisch) sowohl die moderne und angenehm klare Schriftart als auch die luftigen Zeilenabstände, vor allem aber die humorvollen Wortspiele, denen eine konsequente Kleinschreibung enormen Spielraum ermöglicht. Wenn ein sich über den Himmel schiebender Mond beispielsweise „vollen körpereinsatz“ zeigt, mischt sich in den schweren, nachdenklichen Ton ein witzig-losgelöster. Übertrieben und ein wenig plump wirken die sich wiederholenden Vertechnisierungen allerdings spätestens, wenn die Sonne sich bei ihrem Untergang ‚ausloggt‘ oder hinter den Wolken „in der warte / schleife“ steht. Doch Skudlarek zieht seinen Stil bis zum Ende durch. Er fordert uns provokant heraus, nicht ohne seine Lyrik selbst zu reflektieren, und beweist, dass Poesie auch mit kantigen und unlyrischen Worten wie ‚offline‘ oder ‚gebootet‘ funktioniert.
Nach einem Zitat der US-amerikanischen Dichterin Anne Rich, das er seinem Band voranstellt, ist Poesie für Jan Skudlarek ein Austausch elektrischer Ströme. Seinen Beweis dafür hat der Lyriker mit Elektrosmog erbracht. Er lässt unsere Gedanken den Aggregatzustand ändern, wie er es selbst verbildlicht, und liefert mit diesem ersten Gedichtband einen nennenswerten Beitrag zur deutschen Gegenwartslyrik.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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