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Maik Brüggemeyer und sein Bob Dylan-Roman „Catfish“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Journalist und ausgewiesene Musikfachmann Maik Brüggemeyer, Mitglied der Redaktion des deutschsprachigen „Rolling Stone“, hat einen Roman geschrieben. Romane von Journalisten stimmen oftmals eher skeptisch als euphorisch. Eher ist die Lektüre zu vermeiden, als dass man sich begeistert auf sie freute. Diese Skepsis begleitet den Beginn von „Catfish“ und bestätigt sich auf den ersten Seiten auch zunächst. Brüggemeyer beginnt mit einer klassischen Einleitung und erläutert – zumindest indirekt – die Frage: „Warum braucht die Welt einen Roman über Bob Dylan?“ Diese Frage stellt sich der Leser natürlich ebenso, zumal wenn man die Flut an Dylan-Publikationen betrachtet. Warum also diesen Roman lesen? Brüggemeyer beantwortet die Frage für sich selbst: „Wenn man von Bob Dylan etwas über das gute und richtige Leben erfahren will, führt der direkte Weg nicht über das, was er über sich oder andere über ihn gesagt haben. Wir müssen einen anderen Weg gehen, und der führt, so mein Vorschlag, über ein Lagerfeuer.“ So greift er zu einem Trick, schafft eine andere – literarische – Situation und kann über diesen Kunstgriff auch das sich wandelnde, aber unter dem Namen „Catfish“ zusammengefasste Alter Ego Dylans einführen: „Da ist dieser Gauner, Catfish heißt der. So ein kleines Frettchen im weißen Anzug. Cooler Typ. Der weiß alles und kennt jeden. Und der schleicht so durch die Stadt.“

Und so macht sich der Ich-Erzähler in Brüggemeyers Roman auf die Suche nach verschiedenen „Inkarnationen“ Dylans, die wie Spiegelbilder des Meisters, aber auch wie Spiegelbilder des Erzählers erscheinen. Dass hier ein geschicktes literarisches Wechsel- und Verwechslungsspiel betrieben wird, ist zunächst nicht erkennbar. Nebenbei bemerkt kann es auch als Variation des Dylan-Films „I’m Not There“ (2007) verstanden werden. Bei seiner nordamerikanischen Odyssee durch einschlägige „Dylan-Orte“ sucht der Erzähler und Protagonist „Spuren“, erklärende Indizien – Orte, die Dylan in seinen Texten, seiner Musik, seinem Leben spiegeln. Immer wieder lässt sich der Erzähler verwirren, in die Irre führen und wird mit überraschenden Informationen beglückt. „Vielleicht, so dachte ich, hat er sich nur einen Spaß erlaubt, um den seltsamen Deutschen mit seiner Dylan-Obsession ein wenig in die Irre zu führen.“ Ironie und Humor machen die Lektüre dabei sehr unterhaltsam. Daher ist es auch möglich, widersprüchliche Erkenntnisse zusammenzubringen und Dylan immer wieder kontrovers und neu zu erfinden. Eine der Inkarnationen Dylans äußert im Roman lakonisch: „Wenn ich nicht Bob Dylan wäre, würde ich vermutlich selbst denken, dass Bob Dylan mir eine Menge Antworten geben kann.“

So thematisiert der Erzähler sogar die scheinbare Überheblichkeit – bei Dylan selbst als auch bei seinen Bewunderern – und schließt sich davon selbstverständlich nicht aus. Es wird immer hinterfragt und niemals eine fertige oder abschließende Antwort gegeben. Und so wie Dylan mit seinen neuen Alben immer widersprüchlich, aber auch immer neugierig und entdeckungsfreudig bleibt – man höre nur sein Album „Shadows In The Night“ (2014) mit den Variationen über Frank Sinatra –, so spielt der Roman von Brüggemeyer mit dem literarischen „Konzept der trickreichen Täuschung“. „Täuschung“ ist bei Dylan konstitutives kreatives Konzept und so blickt der Erzähler hinter die Masken der Inkarnationen Dylans, denen er auf seinem Roadtrip an den „biographischen“ Dylan-Orten begegnet. In dieser Hinsicht ist die Aussage einer der Romanfiguren mehr als nur eine Andeutung: „Alles, was die Leute über mich oder jemand anderen sagen, sagen sie letztlich über sich selbst.“ Dem Autor bleibt nach über zweihundert Seiten eine Erkenntnis, die man auch bei Dylan finden kann, wenn man genau hinschaut: „Und hinter allem, was er sagte, sang oder tat, stand die Frage, was es – völlig unabhängig von Zeit und Ort – bedeutet, ein Mensch zu sein, ein träumender, neugieriger, suchender, mysteriöser und sich selbst ergründen wollender Bewohner dieser Welt, der sein Leben lang die persönliche Apokalypse, den eigenen Tod, vor Augen hat.“

Was den Roman von anderen Lektüren zum Thema „Dylan“ unterscheidet, ist die hohe literarische Qualität. Der Autor findet eine eigene Sprache neben der Sprache Dylans, die letztendlich immer über allen Ausführungen über Leben und Werk des „Meisters“ schwebt. Die literarischen Figuren und Situationen, die Brüggemeyer entwirft, nähern sich fast beängstigend dem Untersuchungsgegenstand an. So ist dem Autor, der die Kenntnis seines Untersuchungsgegenstands bereits in zahlreichen Berichten und Essays bewiesen hat, ein vor allem literarisch bemerkenswertes Buch gelungen. Sollte ihm dieser großartige Wurf nicht so bewusst sein, hätte Dylan für Brüggemeyer wie auch für den Leser einen Rat zur Hand: „Something is happening but you don’t know what it is.“ Fazit: Wenn man gerade etwas zu Dylan lesen möchte, dann auf jeden Fall „Catfish“.

Titelbild

Maik Brüggemeyer: Catfish. Ein Bob Dylan Roman.
Metrolit Verlag, Berlin 2015.
252 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783849303631

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