Mehr Brecht als Recht

Der Dreigroschenprozess als Gerichtsbühne

Von Monika DommannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Dommann

Es war nicht Bertolt Brechts Idee, The Beggars Opera von John Gay aus dem 18. Jahrhundert zu bearbeiten. Seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann wies Brecht 1927 auf den Stoff hin und übersetzte ihn. Elisabeth Hauptmanns, Bertolt Brechts und Kurt Weills Oper war Kollektivwerk und Bricolage. Ein Geniestreich oder dreister geistiger Diebstahl? Darüber wurde gestritten.

Die Dreigroschenoper, im August 1928 in Berlin uraufgeführt, handelt von Bettlern und von Banditen. Brecht notierte in seinen Anmerkungen zur Dreigroschenoper, dass „die Vorliebe des Bürgertums für Räuber“ sich aus dem Irrtum erkläre, „ein Räuber sei kein Bürger“: „Dieser Irrtum hat als Vater einen anderen Irrtum: ein Bürger sei kein Räuber“. Brechts Banditen sind bürgerliche Erscheinungen, die den Bürger entlarven sollen. Die wahren Gauner sind die Bürger: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Einstellung eines Mannes?“

Obwohl Brecht in der Dreigroschenoper den Bürger als Schurken vorführte und seine literarische Methode ein lockeres Verhältnis zu Rechtsnormen des geistigen Eigentums pflegte, pochte er bei der Verfilmung der Dreigroschenoper auf sein geistiges Eigentum. Er stritt vor Gericht um sein Recht und kommentierte den verlorenen Gerichtsprozess in einem zum Klassiker der linken Kulturkritik avancierten Text – Der Dreigroschenprozess. Ein soziologisches Experiment. Wie erklären sich diese paradoxen Handlungen? Wollte Brecht Recht bekommen oder als Theatermann das Recht vorführen, so wie er in der Oper die Bürger als die eigentlichen Schurken vorgeführt hatte? Im Folgenden sollen mittels einer historischen Lektüre von Presseartikeln, des Gerichtsurteils und der Kommentare zum Dreigroschenprozess einige Konfliktlagen freigelegt werden.

Frei nach Brecht

Nachdem Bertolt Brechts Verlag im Mai 1929 einen Vertrag mit der Nero-Film AG über die kinematographischen Verwertungsrechte der Dreigroschenoper abgeschlossen hatte, klagte Brecht (und später auch Weill) nach Beginn der Dreharbeiten vor dem Berliner Landgericht gegen die Filmproduktionsfirma. Es ging um die Frage, ob das vertraglich festgehaltene Mitbestimmungsrecht von Brecht und Weill bei der Bearbeitung des Stoffes durch die Filmproduktionsfirma verletzt wurde. Die Nero-Film AG hatte mit den Dreharbeiten begonnen und sich auf den Standpunkt gestellt, dass Brecht sein Manuskript nicht wie vereinbart geliefert habe und sich geweigert hätte, gegen Bezahlung des vereinbarten Honorars auf seine Mitarbeit zu verzichten.

Der Fall wurde in der Presse zum grossen Medienereignis. Der Filmkurier berichtete am 12. Oktober 1930, dass der Ansturm der Presse und Zuhörer im Landgericht so gross sei, dass die Rechtsanwälte um mehr Bewegungsfreiheit baten und daher ein Strick gespannt wurde, um die Zuschauer und die am Prozess Beteiligten zu trennen.

Brecht verlor den Prozess und musste die Kosten des Rechtsstreits übernehmen. Das schriftliche Urteil vom 4. November 1930 formulierte eine juristische Begründung für die Abweisung von Brechts Klage. Weil Brecht im Vertrag mit der Nero-Film AG das Recht der Verfilmung an die Firma übertragen habe, müsse er auch „weitgehende Änderungen seines Werkes gestatten“. Die Nero-Film AG drehte den Film „frei nach Brecht“, mit Recht. Die Kläger gingen in Berufung, im Dezember 1930 kam es zu einem Vergleich zwischen der Nero-Film AG und Brecht, im Februar 1931 auch mit Weill, der in erster Instanz gewonnen hatte. Brecht und Weill erhielten die Filmrechte an der Dreigroschenoper und auch die Gerichtskosten zurückerstattet.

Gerichtsprozess als Gesellschaftsexperiment

Doch mit dem aussergerichtlichen Vergleich war der Fall noch nicht zu Ende. Der Rechtsfall ist berühmt geworden, weil der berühmte Bertolt Brecht geklagt und über den Rechtsfall 1931 einen 31 Seiten langen Text verfasst hat, 24 Seiten länger als das Gerichtsurteil. Brecht mischte sich in den Rechtsdiskurs ein und übertrumpfte ihn, zumindest im Textlängenvergleich. Er sprach dem Recht das Recht ab, indem er zwischen Rechtspflege und Gerechtigkeit unterschied. Der Gerichtsprozess wurde zur Bühne von Brechts Gesellschaftskritik: „Unsere Stellung in diesem Prozess zeigte von Anfang an grosse Widersprüche; Wir waren gezwungen, vor einem Gericht, das wir, indem wir es anriefen, keineswegs als Stätte des Rechts anzuerkennen wünschten, unser Recht zu suchen, das uns nur als Recht auf Privateigentum zur Verfügung stand. (…) Wir hatten uns vollkommen frei zu machen von dem Wunsch hier Recht zu bekommen. Wir hatten das vorhandene, eben zur Ausgabe gelangende Recht festzustellen (käuflich zu erwerben) und es genau so lange in Anspruch zu nehmen, bis es sich gerechtfertigt oder kompromittiert hatte, der Prozess musste ein Abbild der Wirklichkeit werden, etwas über sie aussagen. Die Wirklichkeit war im Prozess zu konstruieren.“

Brecht inszeniert den Prozess ex-post als gesellschaftliches Experiment. Es ging ihm darum zu demonstrieren, dass das bürgerliche Recht (in Form des Immaterialgüterrechts) durch die kapitalistische Filmproduktion hinweggefegt würde. Anders als ein naturwissenschaftliches Experiment war sein soziologisches Experiment nicht von der Vorstellung eines objektiven, uninteressierten Standpunktes, sondern vom Primat der Mitbeteiligung geleitet. Er stilisierte den Dreigroschenprozess zum Lehrstück. Gerichtsprozesse sollten dazu verwendet werden, um die tieferen, unmerklicheren sozialen Prozesse ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu ziehen. Brecht wollte die Schnur, die die Zuhörer von den am Prozess Beteiligten am Landgericht in Berlin getrennt hatte, beseitigen. Das Format der Bühne sollte gesprengt und die Rollenverteilung in Zuschauer und Schauspieler aufgelöst werden.

Brechts medienwirksamer Coup des Gerichtsprozesses wurde als Schaubühne eschatologischer Revolutionssehnsucht inszeniert. Medien und Recht sollten vereinnahmt werden, um den öffentlichen Zustand in Entwicklung vorzuführen.

Klauen mit Genie

Nicht bloss Brecht führte die Paradoxien des Rechts vor, auch ihm wurden die Widersprüche seines Rechtsgebrauchs entgegengehalten. „Brecht spannt aus“ – diesen Vorwurf hatte Brecht bereits 1929 jovial gekontert: „Ich erkläre also wahrheitsgemäss, dass ich die Erwähnung des Namens Ammers leider vergessen habe. Das wiederum erkläre ich mit meiner grundsätzlichen Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“. Brecht nahm sich sein Recht. Die Sängerin und Schauspielerin Lotte Lenya-Weill erinnerte sich 1955 an das Bonmot eines gemeinsamen Freundes, dass Brecht selbstverständlich klaue, aber er klaue „mit Genie“, und darauf komme es an: „Seine Bewunderer sprachen von Adaption und Bearbeitung, seine Gegner nannten diese Methode Plagiat, Piraterie, schamlosen Diebstahl. Er holte sich seine Vorlagen, wo er sie fand. Es kam ihm nicht darauf an, ob es sich um Grössen der Vergangenheit oder um Zeitgenossen handelte, um Villon, Marlowe, Shakespeare – oder um Kipling, Gorki und Klabund.“

Brecht sprach im Dreigroschenprozesstext nicht von Recht, sondern von Klarstellung. Und von Kalkulation. Er bediente sich einer Rhetorik der Umkehrung, so wie er nach einer Umkehrung der Verhältnisse trachtete. Seine Niederlage vor Gericht wendete er zum Zwischensieg: „Es war besser den ersten Prozess zu verlieren, als den dritten. (…) Wenn wir in der ersten Instanz gewonnen hätten (Weill passierte dies), dann hätte uns wahrscheinlich Geldmangel gehindert, den wirklichen Rechtszustand klarzustellen, der darin bestand, dass wir in der dritten Instanz verloren hätten.“ Brecht erblickte im Dreigroschenprozess einen Beweis für den Zerfall der Literatur. Indem der Autor bei der Produktion von Filmen eine Aktiengesellschaft bestimmen lassen müsse, welche Teile eines Manuskriptes ihr nicht verwendbar erscheinen, manifestiere sich die Zerlegbarkeit der Literatur im Kapitalismus.

Brecht klaute die Texte anderer und kassierte Tantiemen für seine Texte und Stücke. Und er erlangte nach dem Prozess in einem Vergleich seine Urheberrechte wieder zurück. Er betonte im Dreigroschenprozesstext, durch den Prozess nicht das private Eigentum zu verteidigen, sondern Kollektive zu schaffen, und er unterhielt mit den Lizenzgebühren seine Familie und seine revolutionäre wahlverwandtschaftliche Truppe auf der Flucht im Exil.

Korrumpierte Brecht das Recht? Man könnte diese Strategie der Konflikterzeugung durch den Rechtsgebrauch durchaus als ein Charakteristikum von Recht bezeichnen, zumindest wenn man Niklas Luhmann folgen würde, der auf die Verstetigung der Konflikte durch Recht hingewiesen hat: „Das Recht entwickelt sein spezifisches Instrumentarium aus Anlass von Streit über das Recht. Das Ergebnis ist, dass das Recht nicht nur Konflikte bereinigt, sondern auch Konflikte erzeugt; denn mit Berufung auf das Recht kann man dann auch Zumutungen ablehnen und sozialen Pressionen widerstehen.“

Für Luhmann ist das Recht Ausdruck eines Paradoxes. Es wird durch seine Verletzung und durch entsprechende Empörung überhaupt erst in Geltung gesetzt. Wenn Recht als Ergebnis von Verletzungen, Empörung und Streit verstanden wird, öffnet der Streit um Recht für eine historische Lektüre die Möglichkeit, die im Rechtsstreit produzierten Quellen gegen den Strich zu bürsten und als Seismographen für gesellschaftliche Risse unterhalb der in anderen Quellen artikulierten Oberfläche zu lesen. Deshalb sind Rechtsquellen hoch produktive Arbeitsinstrumente für die Geschichtsschreibung.

Dieser Essay erschien erstmals im Elfenbeintürmer (etü), der HistorikerInnen-Zeitschrift des Historischen Seminars der Universität Zürich 1 (2015), S. 28-31.

Quellen- und Literaturverzeichnis:

Bertolt Brecht, Notizbücher, Band 7, 1920-1930, Herausgegeben von Martin Kölbel und Peter Villwock, Berlin 2010.

Das Mitbestimmungsrecht des Urhebers des zur Verfilmung gelangenden Werkes am Drehbuch des Films. Urteil des Landgerichts I, Berlin, vom 4. November 1930 – 38.680.30/13 rechtskräftig, in: UFITA 4. S. 73–80.

Thomas Elsaesser, Transparent Duplicities. Pabst’s The Threepenny Opera, in: Ders., Weimar Cinema and after, Germany’s Historical Imaginary, London, New York, S. 311–329.

Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1995.

Stephen Parker, Bertolt Brecht. A Literary Life, London etc. 2014.

Siegfried Unseld (Hg.), Bertolt Brechts Dreigroschenbuch. Texte, Materialien, Dokumente, Frankfurt a. M. 1960.

Stiftung Deutsche Kinemathek, Photo: Casparius. Filmgeschichte in Bildern. Berlin um 1930. Auf Reisen, Berlin 1978.