Ménage à quatre – na und?

Katharina Geiser greift im Roman „Vierfleck oder Das Glück“ eine wahre Geschichte auf

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Flotter Vierer“: Mit diesem reißerischen Titel kündigte der Berner „Bund“ Mitte Juni die Rezension zu Katharina Geisers Roman „Vierfleck oder Das Glück“ an. Auch wenn der Titel dem Roman in keiner Weise gerecht zu werden vermag, dürfte er doch auf eine Schwierigkeit hinweisen, die sich schon bald nach Beginn der Lektüre einstellt: Es geht um die Frage, warum wir uns für dieses Buch interessieren sollen, für diese vier Menschen, die anscheinend so problemlos eine Beziehungskonstellation meistern, vor der wohl auch heute noch die meisten Menschen zurückschrecken würden.

Doch beginnen wir von vorn. In ihrem vierten Roman wendet sich die Schweizer Autorin Katharina Geiser vier Personen zu, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland gelebt und überlebt haben, obwohl das insbesondere für Eugen Esslinger eher an ein Wunder grenzt. Er ist Jude und auch noch homosexuell, Sohn eines vermögenden Miederwarenfabrikanten. Esslinger ist geprägt von der schockartigen Erfahrung, dass sein Neffe ertrank, während er eigentlich auf ihn hätte aufpassen sollen, stattdessen aber in seine Lektüre vertieft war – das Einzige eigentlich, das ihn wirklich interessiert. Der Verlust der ökonomischen Grundlagen zwingt ihn, nach Verdienstmöglichkeiten aller Art zu suchen, insbesondere nachdem seine Frau Mila insgesamt drei Kinder zur Welt gebracht hat, wenn er auch nicht der Vater ist (was er weiß, aber er hätte nie eine Vaterschaftsaberkennung in Betracht ziehen wollen). Mila will nicht verzichten und geht eine leidenschaftliche Beziehung mit dem Indologen Heinrich Zimmer ein, die über Jahrzehnte andauert, was den Mann seinerseits aber nicht daran hindert, zu heiraten – und zwar Hugo von Hofmannsthals Tochter Christine, mit der er weitere Kinder hat. Es sind nicht Beziehungsprobleme, die diese vier Personen auseinanderreißen, vielmehr dann doch die Zeitumstände: Heinrich Zimmer geht in die USA, Eugen Esslinger in die Schweiz, Mila bleibt in Deutschland.

Katharina Geiser stützte sich – wie sie in ihrem kurzen Nachwort ausführt – auf einen umfangreichen Briefnachlass, der rund 1700 Briefe von Heinrich Zimmer an Mila Esslinger umfasst. Hinzu kamen wenige Antwortbriefe von Mila aus den 1920er-Jahren sowie zahlreiche weitere Dokumente wie Manuskriptseiten, Fotos, Urkunden et cetera. Die Autorin kam über ihre einstige Deutschlehrerin zu diesem Material: Maya Rauch war die Tochter von Heinrich Zimmer und Mila Esslinger, ihr begegnete sie Jahre nach der Schulzeit erneut und lernte so die verwirrende Familiengeschichte kennen. Es gelang Geiser, Maya Rauchs Vertrauen zu gewinnen – dem Romanprojekt „Vierfleck oder Das Glück“ stand von Familienseite nichts im Wege.

Es besteht kein Zweifel: Da liegt eine ausgesprochen interessante Quellen- und Materiallage vor. Trotzdem mag das Resultat, der Roman, nicht so recht zu überzeugen. Dies dürfte vor allem an dessen Struktur und an der Sprache liegen. Katharina Geiser erzählt nicht linear chronologisch, sie hüpft vielmehr in den Zeiten herum. Mal befinden wir uns im Jahr 1929, dann geht es zurück ins Jahr 1904, um gleich wieder nach vorne zu springen. Dabei bleibt offen, was diese permanenten zeitlichen Sprünge sollen. Die mit Jahrzahlen überschriebenen Kapitel folgen zumindest für die Rezensentin keiner erkennbaren Ordnung. Sie unterscheiden sich auch nicht sprachlich. Der Ton – eher beschaulich, still, zurückhaltend – bleibt derselbe, unabhängig davon, wie sehr es draußen auch brodelt oder in welchem Jahr wir uns gerade befinden. Und so stellt sich dann auch bald eine gewisse Langeweile ein: Diese Ménage à quatre scheint prima zu funktionieren, weshalb sollte man sich also noch dafür interessieren?

Titelbild

Katharina Geiser: Vierfleck oder Das Glück. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2015.
263 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783990270653

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