Mittelalterrezeptionen und mehr
Eine Festschrift zu Joachim Behrs 65. Geburtstag berichtet von Heiligen, Rittern und Narren
Von Claudia Schumacher
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Von Heiligen, Rittern und Narren“, herausgegeben von Ingrid Bennewitz und Wiebke Ohlendorf, ist im Reichert Verlag erschienen und wurde zu Ehren von Hans-Joachim Behrs 65. Geburtstag aufgelegt. Der Band ist 210 Seiten stark und in rotes Leinen gebunden. Das Buch beginnt mit einem Foto des Jubilars und einer Tafel der Gratulanten. Dann folgen Inhaltsverzeichnis, Vorwort und die Beiträge, die zu Ehren Behrs für die Festschrift verfasst worden sind. In diesen Aufsätzen stellen Behrs Schüler und Weggefährten Forschungsarbeiten vor, die sie im weitesten oder engeren Sinne mit Behr verbinden. Das Themenspektrum der Aufsätze ist breit gefächert. Insgesamt bietet der Band ein thematisches Potpourri aus unterschiedlichsten Bereichen der mediävistischen Forschung. Die Beiträge sind chronologisch geordnet und nach Genres bzw. Themen gegliedert. Insgesamt widmet sich die Festschrift, bis auf die Beiträge von Christoph Huber und Horst Brunner, hauptsächlich der (Mittelalter-)Rezeption.
Dieter Merzbacher gibt den Auftakt mit seinem Aufsatz „Ritus und Text“. Der Artikel befasst sich mit dem Vergleich des Evangeliars Heinrichs des Löwen und der „Evangelischen Kirchen-Harmonie“ Augusts d.J. Zuerst wird das Evangeliar vorgestellt, dann die Kirchen-Harmonie. Am Schluss stehen der Vergleich der beiden Werke in Wort und Darstellung. Im Anschluss an Merzbachers Untersuchung beginnt ein größerer Abschnitt des Sammelbandes, den man mit „Betrachtungen zum Minnesang“ überschreiben könnte. Den ersten Beitrag dieses Teils steuert Christoph Huber bei: „Liebesfiktion und Lehre. Zum didaktischen Potential des Minneliedes“. Hier werden Heinrich von Morungen, Reinmar und Konrad von Würzburg anhand exemplarischer Strophen miteinander in Verbindung gesetzt und verglichen. Im darauf folgenden Aufsatz Johannes Rettelbachs wird das volkssprachige religiöse Liedgut des Mittelalters in Augenschein genommen. Rettelbach zeigt anhand einer exemplarischen Liederauswahl, wie volkssprachige Lieder immer wieder auf den lateinischen Hymnus und Antiphone zurückgreifen und weist auf Stellen hin, an denen dies offenbar wird. Der anschließende Beitrag von Horst Brunner befasst sich mit den Tönen Neidharts und der Beschreibung ihrer Formen. Die Töne und Formen der Sommer- wie auch der Winterlieder aus der pergamenthandschriftlichen Überlieferung zu Neidharts Werk werden hier eingehend besprochen. Die Betrachtungen zum Minnesang enden mit Wolfgang Beutins Aufsatz „Jan Hus und die hussitische Reformation in Oswalds Lied Kl 27 sowie Muskatplüts Lied Man zelt virtzen hondert jar“. Hier wird die Hus-Rezeption anhand von Liedbeispielen in den Blick genommen.
Darauf folgen zwei Beiträge, die sich mit dem mittelalterlichen Hof beschäftigen, auch wenn der erste der beiden Texte im engeren Sinne eher ein religiöses Grundthema hat. Václav Boks Aufsatz, „Zum Kult der Bamberger Heiligen Heinrich und Kunigunde in den böhmischen Ländern“, thematisiert die Verehrung dieses mittelalterlichen Herrscherpaares in Böhmen. Zur näheren Betrachtung der Verehrungsweisen werden Legendenaufzeichnungen, Kirchen-Patrozinien und weitere Zeugnisse, wie beispielsweise Bauernregeln, in Augenschein genommen. Im darauf folgenden Beitrag widmet sich Jan-Dirk Müller dem spätmittelhochdeutschen Minne- und Aventiure-Roman „Friedrich von Schwaben“. Müller beschreibt die unkreativen Reime, das vorhersehbare Versmaterial und die häufigen Füllverse, die sich hierin vereinen, aber auch den höfischen Ton, der versucht wurde, nachzuahmen. Der „Friedrich von Schwaben“ wird als Werk mehrfacher Rezeption hervorgehoben, denn nicht nur der Text als solcher ist mit vielen Entlehnungen gespickt, sondern auch das Personal des Romans wird als Anzitierung mittelalterlicher Romane herausgestellt.
Mit dem Aufsatz von Gerhild Scholz-Williams wird, wie bereits der Titel „Ver- und Enthüllen: (Körper)geheimnisse und Crossdressing in der Frühen Neuzeit“ verdeutlicht, das Mittelalter nun endgültig verlassen. Scholz-Williams widmet sich in ihrem Text dem Lesen von Körperzeichen in bestimmten frühneuzeitlichen Texten: der Mélusine und den Romanen E.W. Happels. Hier werden Körpergeheimnisse und deren Zusammenhang mit Magie und Crossdressing in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt, mit dem Fazit, dass die Sinne trügerisch sind.
In seinem Beitrag „Die Gottlosen“ befasst sich Winfried Frey mit der Zeit der Glaubensspaltung, der altjüdischen Tradition und dem innerchristlichen Wortkampf. Es geht um Bibelauslegung durch Lesen der hebräischen Bibel, um die lateinische Vulgata, um impii und um Hass und Verleumdung von Katholiken durch Protestanten und umgekehrt, wobei Juden Opfer beider christlichen Gruppierungen wurden. Der Text endet mit einem Apell Grimmelshausens an die beiden christlichen Religionen, sich zuerst wieder zu versöhnen, bevor sie auf andere [die Juden] schauen. Im nachfolgenden Aufsatz befasst sich Pamela Männel mit der „Germanistik als Kulturwissenschaft“ und stellt die Frage, welche Möglichkeiten sich hier für die Historische Sprachwissenschaft ergeben. Der Artikel beschäftigt sich mit Herrmann Paul und dessen Sicht auf die Sprachwissenschaft, mit Sprachwandel und systemtheoretischen Modellen in der Linguistik.
In Claudia Märtls Beitrag steht die Piccolomini-Rezeption des 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Zu Beginn wird Gustav Pfizer vorgestellt und sein Œuvre kurz umrissen. Anschließend geht Märtl auf die Texte Pfizers ein, die sich mit Piccolomini, also Papst Pius II., auseinandersetzen, beschreibt deren Aufbau und geht kurz auf den Inhalt ein, um daraufhin zu resümieren, was das Besondere an Pfizers Pius-Darstellung ist.
In ihrem Beitrag „Zwischen Krieger, Held und Vorbild“ beschreibt Wiebke Ohlendorf, wie das mittelalterliche Ritterbild im zeitgenössischen Film dargestellt wird. Hierzu greift sie einige prominente Filmbeispiele heraus (unter anderem die Indiana Jones-Reihe) und zeigt, dass sich ritterliche Aufgaben und Verhaltensmuster in einer Reihe moderner Erzählstoffe finden. Sie weist weiter nach, dass die Geschichten über die, meist männlichen, Protagonisten häufig in einem historischen Setting spielen und dass auch Superheldenfilme mit ritterlichen Elementen aufwarten.
Als weitere Gruppe widmen sich zwei Aufsätze Till Eulenspiegel und präsentieren verschiedene Varianten der Rezeption dieser Figur. Vera Heinrich, Charlotte Papendorf und Alexander Schwarz beschreiben Eulenspiegel-Ausstellungsvarianten. Im konkreten Fall: „Gründe für die Neugestaltung eines Eulenspiegel-Museums.“ Es ist spannend, den kulturwissenschaftlichen Fragestellungen, die zu einer Ausstellungsvariante führen, zu folgen. Ingrid Bennewitz befasst sich mit einer anderen Spielart der Eulenspiegelrezeption, nämlich der Aufführungsvariante von Till Eulenspiegel als Kinder- und/oder Familienmusical an verschiedenen Bühnen-Standorten.
Den Hauptteil des Buches beendet Claus-Arthur Scheier mit seinen Überlegungen zu „Die Epoche des Wunders“. In neun nummerierten Absätzen subsummiert Scheier vieles Wissenswerte aus der Philosophie zum Thema Wunder, wobei auch Johann Wolfgang von Goethe und Martin Luther zu Wort kommen.
Nach jedem Beitrag findet sich ein Literaturverzeichnis sowie zum Teil Zusatzmaterial, das der Verdeutlichung der Inhalte dient. Abschließend präsentieren die Herausgeber ein Schriftenverzeichnis Behrs. Somit kann sich der interessierte Leser über die Themen informieren, mit denen Behr sich in seinen langjährigen Forschungen auseinandergesetzt hat. Insgesamt handelt es sich bei der Festschrift „Von Heiligen, Rittern und Narren“ um einen Sammelband aus dem Bereich der germanistischen und mediävistischen Fachliteratur. Die Herausgeber reihen in sehr gelungener Weise die Aufsätze aneinander, sodass sie thematisch nah beieinander stehen. Die Texte setzen ein gewisses Vorwissen voraus, welches ein Laienpublikum eventuell abschrecken könnte. Der Band zielt demnach auf eine Leserschaft aus Fachwissenschaftskreisen ab. Die Aufsätze sind durchweg gelungen und repräsentieren sehr viele Bereiche germanistischer Forschungen. Hier werden Wissenschaftler und Studenten aus allen germanistischen Fachbereichen angesprochen. Das Niveau der Aufsätze ist hoch, aber nicht überfordernd – ein versierter Leser wird gefordert, Neues zu lernen und erfreut, Bekanntes wiederzuentdecken.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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