Poetische Verdichtung der Wirklichkeit

In „Der Wörterschmuggler“ durchbricht die unbändige Sprache der Lyrik die Spirale der Einsamkeit

Von Jana FuchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Fuchs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens; deswegen schadet´s dem Dichter nicht, abergläubisch zu sein“, so Johann Wolfgang von Goethe. Dieses Prinzip scheint die Geschichten dieses Erstlingsromans von Natalio Grueso zu unterlaufen, da der eigentliche Regisseur seine Figuren entdecken und leben lässt, dass auch eine Welt, die von Einsamkeit und Ungerechtigkeit durchdrungen ist, auf poetische Weise gelesen werden kann beziehungsweise selbst poetische Momente an die Oberfläche bringt. Die Geschichten lassen sich als Glaubensbekenntnisse an einen metaphysischen Sinn, der sich nicht bloß aus egoistischen Interessen und Begieren ableiten lässt, lesen, in denen kein Gegensatz zwischen poetischer und realer Wirklichkeit aufgemacht wird, sondern dieser zu einer Symbiose verschmilzt. Poetische Schönheit und Sinnhaftigkeit scheinen für Grueso nicht nur innerhalb poetischer Fiktion zu existieren, sondern zuweilen in die Wirklichkeit einzubrechen, wenn beispielsweise in der Geschichte Der Traumjäger der Protagonist selbst zum Mythos wird.

Das Realitätsbild, das Grueso in Der Wörterschmuggler skizziert, lässt an Houllebecqs Roman Die Möglichkeit einer Insel erinnern, denn während Houllebecq die Figur Daniel in einer Wirklichkeit einbettet, in der „Grausamkeit und Mitleid […] zwei Gefühle [sind], die natürlich unter den Bedingungen absoluter Einsamkeit, unter denen sich unser Leben abspielt, kaum noch Sinn haben“, wird bei Grueso die Einsamkeit zum alles dominierenden Prinzip, das „dein Gesicht in das eines Clowns verwandelt, der nicht aufhören kann zu weinen, mit Tränen, die zu Eis werden“.

Zum gegen den Strich laufenden Prinzip stilisiert Grueso eine junge Japanerin mit honigfarbenen Augen, die „einen Hauch Rebellion in dieses starre Dasein“ bringt, indem sie demjenigen, der ihr den schönsten Vers oder die schönste Geschichte zukommen lässt, für eine Nacht aus seiner Isolation befreit: „Für sie zählten einzig und allein die Worte, der geschriebene Vers, das zu Papier gebrachte Gefühl. Das waren die Regeln des Universums der jungen Japanerin“. Ihre eigene Einsamkeit erzeugt sich jedoch ebenfalls in einer selbst geschaffenen Spirale ständig neu, da sie sich keinem Mann mehrmals hingibt.

Während in Houllebecqs Roman Worte keine Welten mehr zu schaffen vermögen und die Poesie als nicht kontextuelle Sprache die Welt der Menschen endgültig verlassen hat, wird in Gruesos Roman gerade „das klarste Wort, die unbändigste Lyrik, die schönste Leidenschaft“ zur Instanz, die die Isolation der Menschen durchbrechen kann.

Dass nicht nur für die junge Japanerin, sondern auch für Grueso selbst die poetische Sprache eine seiner Leidenschaften ist, wird deutlich, wenn man sich der Sprache des Romans zuwendet: Er scheint es sich gerade zur Aufgabe gemacht zu haben, besondere Sätze in seine Geschichten einzupflanzen, die sich – würde man sie isolieren – wie Aphorismen lesen lassen, ganz à la Paulo Coelho. Andere Bilder wirken hingegen abgenutzt und scheinen Ihre Wirkkraft schon verbraucht zu haben. Zwar erzeugt auch ein Vergleich des Ausziehens mit dem Schälen einer Zwiebel eine bildliche Vorstellung beim Leser, doch ist zum Vergleich hierzu das Bild einer sich schließenden Tür, hinter der der Straßenlärm zurückbleibt, „wie Freundschaften, in die man nicht investiert hat, wie ein fernes Echo, das schließlich verlöscht, wie ein stummes Geräusch“ ein Bild, das eine Stimmung erzeugt und nicht nur als leere Replikation eines häufig verwendeten Vergleichs gelesen wird. Dass man die Routine aufgrund einer Wiederholungsstruktur Routine nennt, ist jedoch so redundant, dass Grueso in dem Satz „Die Routine, denn genau deshalb nennt man sie so, hatte ihre Wiederholung gefunden“ auf das hier kursiv Gesetzte besser verzichtet hätte.

Wenn er sich auf die Metaebene begibt und schreibt „Und hier wird die Erzählung noch konfuser und unzusammenhängender“, so ruft er nicht nur beim Leser eine Distanzierung zum erzählten Geschehen hervor, sondern wirft außerdem auch die Fragestellung auf, ob denn seine eigenen Geschichten nicht vielleicht unzusammenhängend und konfus sind. Dies kann jedoch verneint werden, da die Geschichten Gruesos, auch wenn sie zum Teil für sich stehen, erst in ihrem Zusammenspiel erkennen lassen, wie eng verzahnt die Dichte lyrischer Texte und die Wirkmechanismen des realen Lebens für den Autor sind. Während in der Lyrik durch die Dominanz der poetischen Funktion Äquivalenzrelationen entstehen, die dem Text einen Überschuss an Bedeutung verleihen, können bestimmte Momente im Leben an Intensität gewinnen, insofern sie vom Subjekt als sinnstiftendes Ereignis gelesen werden.

Grueso lässt seine Figuren eine solch poetische Lesweise des Lebens für sich entdecken, wenn sich zum Beispiel die Stimme des argentinischen Fussballs auf dem Höhepunkt seiner Karriere freiwillig für die Liebe opfert, oder der Traumjäger-Suchende selbst zum Traumjäger wird.

Auch wenn die Geschichten in Der Wörterschmuggler manchmal gefährlich nah in den Bereich der Sentimentalität und der kitischigen Lebensweisheiten kippen, müssen sie doch letztendlich als liebevolle Hommage an die Poesie der Sprache und das Leben gelesen werden. Gerade die Lektüre von Der Traumjäger und Die Stimme Argentiniens, aber auch Momente anderer Geschichten, die einen zum schmunzeln bringen, lassen einen über so manche Plattitüde des Textes hinwegsehen. 

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Natalio Grueso: Der Wörterschmuggler. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Marianne Gareis.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
253 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783455600193

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch