Repräsentieren und Verbergen

Beatrice Mindas Fotobuch „Iran. Interrupted“ liefert eine Soziologie der dortigen Lebens- und Wohnkultur

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Blick aus der Zentralperspektive in ein iranisches Wohnzimmer: Zwei große rötliche, kunstvoll gemusterte Teppiche bedecken den Fußboden. Auf dem zweiten Teppich, im hinteren Teil des Raums, steht ein kleiner, rechteckiger Tisch mit geschwungenen Beinen aus Holz. Auf dem Tisch sind Schalen mit Bananen und klein geschnittenen Stücken von Wassermelonen sowie Obstteller und Gläser mit Scherbet zu erkennen. Um den Tisch steht eine mit dicken Polstern ausgestattete Möbelgruppe, ebenfalls aus geschwungenem, verziertem Holz. Es scheint, als warte man auf Gäste.

Dieses Ensemble ist typisch für die iranische Lebens- und Wohnkultur. Empfängt man Gäste, so tut man dies im repräsentativen, öffentlichen Bereich des Hauses, auf Persisch „Biruni“ genannt. Der private Bereich bleibt der eigenen Familie vorbehalten und heißt „Andaruni“. Im vorliegenden Fall ist der Raum europäisch eingerichtet – allerdings nur fast: Auf dem vorderen Teppich ist eine einfache Decke, persisch „Sofra“, ausgebreitet, auf der Teller, Schälchen und geteilte Fladenbrote liegen. Etwa in der Mitte der Decke steht zudem ein krugartiges Gefäß, in dem sich anscheinend ein Eintopf befindet, der in Kürze gegessen werden soll. Suppenkelle und Löffel deuten darauf hin.

Auch wenn die beiden Arten, das Wohnzimmer zu nutzen, konträr zueinander stehen, ist es doch gerade diese Vermischung eigener, nomadischer und fremder, städtischer Lebens- und Wohnkultur, die beispielhaft für den modernen Iran ist. Das auf empathische Art und Weise zu zeigen und eine kleine Soziologie der dortigen Lebens- und Wohnkultur zu liefern, ist der 1968 in München geborenen Fotografin Beatrice Minda mit ihrem 2014 erschienenen Fotoband „Iran. Interrupted“ gelungen.

Minda hat ihr Buch in drei Abschnitte geteilt, die einen Querschnitt durch die heutige iranische Gesellschaft darstellen und gleichzeitig eine Reise in die Vergangenheit des Landes bieten. Im ersten Teil, der ebenfalls „Iran. Interrupted“ heißt, blicken wir in Wohnzimmer und Gärten wohlhabender Iraner. Zu sehen sind die erwähnten Gästebereiche mit opulenten Möbelgruppen und schönen Teppichen, aber auch verwilderte, verlassene Gärten mit Swimming-Pools, die – weil von Nachbarn einsehbar – seit der Islamischen Revolution 1979 nicht mehr genutzt werden können.

Wie stark das Politische ins Private eindringt und die Raumgestaltung mitbestimmt, ist beispielhaft an der Architektur im Iran erkennbar: Wurde in der Schahzeit der westliche Einfluss auf die Lebens- und Wohnkultur der Bevölkerung geduldet und gefördert, weil die despotisch regierende Pahlawi-Dynastie die Modernisierung des Landes kompromisslos und mit hohem Tempo antrieb, so erlebten die Iraner infolge der Revolution eine Kehrtwende: Da den neuen Machthabern das Westliche als dekadent galt, sollte sich die Bevölkerung auf das Traditionelle und Islamische zurückbesinnen. 

Ob Monarchie oder Theokratie: Da die meisten Machthaber im modernen Iran nicht demokratisch legitimiert waren, führte ihre repressive Herrschaftsweise oft zu einem Rückzug der Menschen in die innere Emigration und zur Abschottung. Einige Aufnahmen von Minda zeigen hohe Mauern, auf die zusätzlich Gitter angebracht worden sind – zum Schutz vor der Außenwelt. Andererseits gibt es Fotos von Fenstern, die wiederum an Gefängnisse denken lassen, weil sie ebenfalls vergittert sind.

Der zweite Abschnitt „Tea Time in Teheran“ erzählt die neuere iranische Geschichte beispielhaft an einer einsamen Villa mit einem verwilderten Garten. Der Legende nach soll der Urgroßvater das Anwesen dem österreichischen Konsul abgekauft haben. Seine Nachfahren haben sich jedoch nicht vertragen. Der Alleinerbe wird, so der Text zum Foto, das Haus verkaufen und nach Kalifornien ziehen. Immer wieder weisen die Bilder auf das Aus-der-Zeit-gefallen-Sein des Hauses und seiner Räume hin: Ungenutzte Polstersessel, die in einem Badezimmer abgestellt sind, ein fleischfarbenes Telefon mit Wählscheibe, ein eingerahmter, sehr alt wirkender Stadtplan an der Wand, Risse an Decken und Stuck. Vielleicht spielt Minda mit ihrem Buchtitel auch auf den Zustand des Eingeschlafenseins, der Stille und Leere an, der für sie im Iran vorherrschend ist.

Im dritten Abschnitt „Interrupted. Iran“ gewährt Minda Einblicke in Zelte von Nomaden, aber auch in Häuser, die ebenfalls einen Übergang in der Bauweise zeigen: ein einfacher, rechteckiger Raum, auf der Insel Qeshm in der Straße von Hormus, bedeckt mit einem Teppich und einem Kelim. Auf dem Teppich steht links ein Fernseher. Ihm gegenüber deuten drei dicke Kissen die Sitzplätze der Hausbewohner an. Auffällig ist die traditionell konstruierte Holzbalkendecke, an der ein Ventilator hängt. Sie ruht auf drei Betonwänden, die dem Raum einen kalten, unterirdischen Charakter geben.

West-östlicher Stilmix, Verlassenheit, Stillstand – diesen Eindruck erwecken die insgesamt 86 Aufnahmen von Beatrice Minda. Auch wenn die im US-Exil lebende iranische Schriftstellerin Shahrnush Parsipur angesichts der Fotos in ihrem Vorwort für Mindas Buch schreibt, dass der Iran „ganz allmählich sein historisches Gedächtnis“ verliere, so lässt der Buchtitel, den die Münchnerin gewählt hat, darauf schließen, dass der derzeitige Zustand für sie eine Unterbrechung darstellt. Das Atomabkommen vom Juli 2015 zwischen der Islamischen Republik und westlichen Staaten, insbesondere den USA, erlaubt tatsächlich einen vorsichtig optimistischen Blick in die Zukunft: die schrittweise Öffnung des Iran und die allmähliche Demokratisierung seiner Öffentlichkeit.

Was im Buch nur angedeutet wird, für das Verständnis des Iran jedoch von großer Wichtigkeit ist, sind seine verschiedenen Ethnien. Es leben Perser, Aserbaidschaner, Kurden, Belutschen und andere Völker im Iran und pflegen durchaus Unterschiede in ihrer Lebens- und Wohnkultur. Das zu zeigen, wäre für die Fortsetzung eines Projekts, wie es Beatrice Minda in Angriff genommen hat, geboten.

Abgesehen von dieser Einschränkung ist „Iran. Interrupted“ all denen zu empfehlen, die einen unaufgeregten und zugleich ungewöhnlichen Blick in dieses hierzulande unbekannte Land werfen wollen. Vorworte von Asghar Farhadi, Regisseur des preisgekrönten Films „Nader und Simin“ (2011), und von Sharnush Parsipur, Autorin von „Frauen ohne Männer“ (1990), kontextualisieren die Aufnahmen genauso wie die Notizen zu den meisten Fotos, die aus Gesprächen von Beatrice Minda mit dem iranischen Architekten und Mobilitätsforscher Pooya Ghoddousi hervorgegangen sind. Sie liefern soziologisch ungeheuer spannende Hintergrundinformationen zu den Motiven und lassen damit auf eine – freilich vollständigere – Fortsetzung des Projekts hoffen.

Titelbild

Beatrice Minda: Iran. Interrupted.
Mit Texten von Asghar Farhadi und Shahrnush Parsipur.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2014.
160 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783775736121

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