Elwis lebt

In einzlkinds drittem Roman „Billy“ geht es um einen eigenwilligen Auftragsmörder

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit neun Jahren entdeckte Billy seine große Liebe, die Musik. Und innerhalb eines Monats hörte er die gesamte Sammlung seiner Hippie-Eltern durch. „Billy“ ist also (auch) ein Musikroman. Doch sein Autor, einzlkind, Pseudonym einer Person, über die tatsächlich nichts bekannt ist, hatte weit mehr im Sinn, als seinen Lesern eine ausufernde iTunes-Wiedergabeliste in Form eines Romans zu präsentieren. Vielmehr erzählt er die Geschichte eines schottischen Jungen, der bereits früh Waise wurde, weil sich seine Eltern, genannt Birdy und Monkboy, mit einer krachenden Überdosis in die Umlaufbahn geschossen haben. Fortan lebte er bei seinem Onkel Seamus und seiner Tante Livi, seinen Halbgeschwistern Polly und Frankie.

Es muss eine tolle, eine beeindruckende Kindheit und Jugend gewesen sein, denn Onkel Seamus, ein kluger, vor allem ein lebenskluger Mann, lehrte alle drei Kinder die gesamte Philosophie. Billy ist also ein mit allen geistigen Wassern gewaschener junger Mann, dem seitens seines Erziehers auch grundlegende Werte wie Gerechtigkeit und Toleranz mit auf den Weg gegeben wurden. Dass er es später mit der Gerechtigkeit nicht immer so genau nehmen wird, ist eine andere Sache, die wiederum mit bestimmten Geschäften zu tun hat. Onkel Seamus nämlich hatte eines Tages aus eher familiären Gründen einen Auftrag angenommen, an dessen Ende ein Mann tot war. Und was einmal funktioniert hat, das kann man ja – zumal in der Familie ja genug helfende Hände vorhanden sind – perfektionieren. Gesagt, getan: Die „Firma“ wurde gegründet.

Zweck des Unternehmens ist es, Mörder aufzuspüren und diese zu ermorden. Nicht etwa Mörder, die im Affekt getötet haben, sondern Menschen, die bewusst und planvoll anderen das Leben genommen haben. Ganz billig ist das nicht, Billys Familie nimmt pro Auftrag 150.000 Pfund und nur zwei Aufträge im Jahr an. Klar, man will exklusiv bleiben. Außerdem soll alles aufʼs Sorgfältigste vorbereitet werden – für Planung und Logistik ist Schwester Polly zuständig –, damit die Ausführung von Erfolg gekrönt wird. Das Kuriose an dieser Konstruktion ist, dass Billy bis er 19 Jahre alt war, von den Tätigkeiten seiner Familie nichts wusste oder mitbekam – so seriös und im Hintergrund ist die „Firma“ tätig. Als Onkel Seamus ihn schließlich einweiht und ihm anbietet, ins Geschäft einzusteigen, beginnt für einzlkinds neuen Romanhelden eine neue Zeitrechnung.

Das Buch ist als Road Novel angelegt, der Leser lernt Billy kennen, als dieser gerade seinen zwölften Auftragsmord hinter sich gebracht hat, er ist mittlerweile 34 Jahre alt. Nun will er sich mit Whip, dem einzigen „Kollegen“, der nicht Teil der Familie ist, in Las Vegas treffen. Entspannen, Spaß haben, neue Pläne und Aufträge besprechen. Der Weg dorthin und der Tag in Vegas ist die tatsächliche Erzählzeit, alle anderen Informationen, Themen und Geschehnisse erfährt man in Rückblenden und aus Billys Erinnerungen.

Dieser dritte Roman des eigenwilligen und klugen Autors, dessen Identität nach wie vor unbekannt ist (im Gegensatz zu Autoren wie Jean-Luc Bannalec, Virginia Doyle oder Jan Seghers), lebt einerseits von dessen blitzgescheiten Einfällen, großartigen halbessayistischen Einschüben und unglaublich spannenden Szenen, andererseits aber überspannt einzlkind dann und wann den Bogen. Beispielsweise wenn er einen in der Wüste Nevadas lebenden deutschstämmigen Autohändler auf seine Erzählbühne zerrt, der ihm offenbar so gut gefällt, dass er ihm und seiner Geschichte zu viel Zeit schenkt. Das nervt beinahe. Und ebenso wird des Lesers Freude etwas getrübt, wenn Billy, mittlerweile im Spielerparadies angekommen, auf einen völlig irren Elvis-Imitator trifft, der sich – witzig oder blöd? – auf seiner Visitenkarte mit „w“ schreibt. Das Treffen mit Whip, die Fahrten durch Las Vegas, eine brillant geschilderte Pokerpartie und schließlich der Showdown versöhnen jedoch – „Billy“ bleibt nach einem furiosen Ende in sehr guter Erinnerung.

Nach „Harold“ (man assoziierte das damals natürlich mit „Harold and Maude“) und „Gretchen“ (man konnte durchaus an Goethes „Faust“ denken), ist „Billy“, einzlkinds dritter Streich, vielleicht eine Verbeugung vor oder ein Hinweis auf den Pistolero Billy the Kid, eventuell ein literarisches Augenzwinkern in Richtung des seit wenigen Jahren recht emsig bestellten Feldes der Westernliteratur (unter anderem Pete Dexter, James Carlos Blake, Céline Minard). Der Roman bestätigt, was seine Vorgänger angezeigt hatten: einzlkind ist ein verblüffender, intelligenter und sehr wandlungsfähiger Autor, auf dessen kommende Arbeiten man sehr gespannt sein kann.

Titelbild

einzlkind: Billy. Roman.
Insel Verlag, Berlin 2015.
202 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783458176473

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