Ein süffisanter Beobachter

Franz Hohler entfacht mit 52 Kurzerzählungen „ein Feuer im Garten“

Von Erhard JöstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erhard Jöst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er unternimmt viele Reisen in alle Länder der Welt, wohin man ihn eben zu Lesungen einlädt. Aber er erkundet auch immer wieder aufs Neue seine Heimat, die Schweiz. Und da er seine Erlebnisse und Beobachtungen in einem ironischen Schreibstil festhält, entstehen Reiseberichte der besonderen Art. Denn Franz Hohler ist nicht nur ein versierter Erzähler, sondern auch ein hervorragender Kabarettist, der es versteht, Pointen zu setzen.

Die Erzählung „Die Magie des kleinen Rechtecks“ beginnt mit dem Bekenntnis: „Seit ich lesen kann, habe ich auch geschrieben. Kleine Geschichten, kleine Gedichte, und vor allem Briefe.“ Man merkt es seinen Texten an, dass das Erzählen seine Leidenschaft ist, die ihn als Kind erfasst und bis ins Alter begleitet hat. Jetzt legt Hohler erneut ein Buch vor, dessen Erzählungen alle Leser erfreuen, die ein Faible für Geschichten haben, die nonchalant Wissenswertes in leichter Form vermitteln und amüsante Unterhaltung bieten.

Der Band enthält 52 Erzählungen von unterschiedlicher Länge. Der kürzeste Text besteht aus einem Satz und lässt dem Leser viel Platz, selbst über die Aussage nachzudenken und seine Schlussfolgerungen zu ziehen: „‘Mir macht das Verlieren gar nichts aus‘, sagte der Gewinner.“ Auch der mit „Frauen“ überschriebene Text lässt viel Raum zum Grübeln. „Frauen sind ein Rätsel“, liest man links oben unter der Überschrift, dann bleibt die Seite leer bis zum unteren Rand, auf dem man dann rechts lesen kann: „Männer auch.“

Freilich sind diese Kürzest-Texte die Ausnahmen. Die meisten Geschichten umfassen eine Seite (21) oder zwei Seiten (14), sieben Texte sind drei Seiten, vier sind vier Seiten lang, jeweils zwei Geschichten nehmen fünf, sechs bzw. sieben Seiten in Anspruch.

Hohler erzählt lebhaft und variantenreich. Er versteht es wie die Dichterin in der Erzählung „Ein Feuer im Garten“, seine Leser in den Bann zu schlagen. In dieser Kurzgeschichte, die dem Buch den Titel gibt, steht ein dreijähriger Junge aus dem Publikum an der Stelle begeistert auf, als die Autorin von einem Kind erzählt, das „nachts voller Angst ans Fenster rennt, weil es glaubt, es sei ein Feuer im Garten“. Der Junge „läuft weg, weg von der Erzählerin und den andern Kindern. Die Fortsetzung, welche erst die eigentliche Geschichte ist, die Fortsetzung braucht er nicht, denn man hat ihm soeben etwas Wichtiges mitgeteilt, etwas, das er sich vorstellen kann, etwas, das nun seinen ganzen Kopf und sein ganzes Herz, wahrscheinlich auch seine Beine und Arme ausfüllt, eine große, eine mächtige, eine wärmende Geschichte: ein Feuer im Garten.“

Zu den umfangreicheren Erzählungen gehört der Bericht über die Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate. Mit sanfter Ironie werden die Sehenswürdigkeiten erfasst, in denen sich der moderne Größenwahn manifestiert. „The biggest shopping center of the world“ wird ebenso erwähnt wie das neueste Hotel der Welt „mit dem vielsagenden Namen Atlantis“, gelegen „auf der künstlich ins Meer gebauten Insel“. Hohler kommentiert süffisant: „Als Tourist ist man gewohnt, immer zuerst das Alte gezeigt zu bekommen. Hier ist das Sehenswerte das Neue.“

In der Regel sind es alltägliche Vorgänge, die ins Blickfeld geraten. Sie dienen als Aufhänger für Reflexionen über Leben und Tod. Mal ist es das Mobiltelefon oder gar das Buch, das der Autor vergessen hat, für eine Lesung mitzunehmen, mal ist es ein „verlogenes Sandwich“, das „die Finger klebrig“ macht „mit einer Mischung aus Senf und Mayonnaise“, mal ist es die Suche nach der Straße, in der das Goethe-Institut in Minsk liegt, mal sind es die Personen in einer S-Bahn bei der Fahrt „von Zürich nach Zürich“, mal sind es Begegnungen auf dem großen Friedhof in Zürich, die in den Mittelpunkt der Geschichte gestellt werden. Permanent „huschen Gedanken wie Schatten durch eine Nebelwand“. In Bremen werden drei Tauben beobachtet, die neben dem Erotik-Shop „an den Pizzaresten“ picken, „die auf einem großflächigen Karton liegen, hastig und gierig, in ständiger Erwartung feindlicher Krähen.“ Ein Spaziergang durch Berlin führt zu der Erkenntnis: „In einer Stadt, einer richtigen Stadt, werden Glück und Unglück, Leben und Tod, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft so stark zusammengepresst, dass sie jederzeit explodieren könnte.“ Über Teheran erfahren wir, dass die Internationale Buchmesse in einer Moschee stattfindet. Die Menschen verhalten sich entsprechend: „Es ist zwar durchaus üblich, dass sich Männer bei der Begrüßung küssen, aber es ist nicht sittsam, dass sie den Frauen zum Gruß die Hand geben, ein Leiter einer Institution kreuzt sogar die Arme über der Brust, um sich vor einem Händedruck meiner Frau zu schützen.“ In der Erzählung „Fern im Osten“ wird die Unterdrückung der Meinungsfreiheit aufgezeigt und in einer anderen liebevoll der Oltner Musikdirektor Ernst Kurz porträtiert, dessen selten gespielte Werke „die Sehnsucht eines Menschen nach Schönheit“ offenbaren.

Amüsante Unterhaltung bieten die Geschichten über die Sicherung der Urheberrechte, über das Konzert im Hallenbad und über die Theateraufführung von einem Stück, bei dem der Titel „eher eine Drohung als eine Einladung“ ist: „Faust 1&2“. In den Kurzgeschichten „Morgengruß“ und „Schalter aus!“ beschäftigt sich Hohler mit dem Irrsinn der digitalen Computer-Welt und kommt zu dem Schluss: Wir werden „uns wohl nie ganz verstehen“, der Computer und ich.

Mit hintergründigem Humor geht Hohler in Bezug auf seine Schweizer Heimat der Frage nach: „Wer sind wir?“ Zwar kann er keine Antwort auf diese Frage geben, aber immerhin konstatieren: „Wir können gut unterscheiden zwischen Flüchtlingen und Steuerflüchtlingen. Auch über den Einlass von Flüchtlingen und Asylbewerbern haben wir in diesem Jahrzehnt abgestimmt, zweimal sogar, und haben daher die Türen unseres Hauses noch besser verschlossen.“

„Eigentlich wachse ich immer noch auf,“ ist an anderer Stelle zu lesen. Ein erstaunliches Bekenntnis für einen Mann, der inzwischen 72 Jahre alt ist. Sicherlich hängt es auch damit zusammen, dass er immer noch lernen möchte und dass er bereit ist, seine Einstellungen immer wieder zu überprüfen. Im Laufe seines Lebens hat er vieles erfahren, was sein naives Bild von der heilen Schweizer Gesellschaft zum Einsturz brachte. Dies führt zu der lapidaren Bilanz: „Ich hatte eine schöne Jugend. Ich. Andere nicht.“

Franz Hohler vermittelt die Gewissheit: „Was immer der heutige Tag bringen wird, er wird Zukunft in Vergangenheit verwandeln.“ Sein lesenswertes Buch liefert bestens gewürzt leichte Kost, die hintersinnig serviert wird. Es ist ein Genuss für jeden, der es schätzt, wenn man ihm Wissenswertes mit spielerischer Leichtigkeit und mit viel Ironie vorlegt.

Titelbild

Franz Hohler: Ein Feuer im Garten.
Luchterhand Literaturverlag, München 2015.
126 Seiten, 17,99 EUR.
ISBN-13: 9783630874524

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