Ein Mann, zwei Frauen und ein Unternehmen

Über Pierre Bosts Roman „Bankrott“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor zwei Jahren erschien im Dörlemann Verlag „Ein Sonntag auf dem Lande“ von Pierre Bost, die Beschreibung einer scheinbaren Idylle, deren Risse der Autor (1901–1975) fein dosiert hat, um ohne allzu deutliche Bosheit und Härte von der Brüchigkeit gelingenden Lebens zu erzählen. Ein gelungenes Buch, wie man es von diesem Zürcher Verlag gewohnt ist, doch beileibe kein nettes oder pittoreskes Buch, mit dem dieser Autor der deutschsprachigen Leserschaft vorgestellt wurde. Mit „Bankrott“ legt Dörlemann nun nach, einem etwas umfangreicheren Roman, der zudem deutlich vor dem vorgenannten entstanden ist, erstveröffentlicht bei Gallimard im Jahr 1928.

Hauptfigur in „Bankrott“ ist Brugnon, Sohn des Zuckerfabrikanten Brugnon, der sein Unternehmen in der Provinz zu einigem Erfolg geführt hat. Als der Patriarch überraschend stirbt, übernimmt der Sohn, dem Arbeit und Fleiß schon immer als das höchste Glück erschienen sind. Seine Maxime kann er nun als Inhaber und Chef bestmöglich umsetzen. Ein solcher Workaholic hat zum einen wenig Zeit für Müßiggang und Privatleben, weswegen Brugnon auch keine Familie hat. Zum anderen schätzt er den unbändigen Arbeitswillen auch bei anderen sehr hoch, da trifft es sich sehr gut, dass er in Simone eine Frau an seiner Seite hat, die als selbständige Buchhändlerin genau in sein Schema passt. Mit ihr geht er aus, sie amüsieren sich in Varietés, gehen essen und lassen die Abende meist sehr spät in einer Bar oder einem Tanzlokal ausklingen (obwohl sie beide nicht tanzen).

Doch Simone und Brugnon leben in getrennten Wohnungen, sie sind ein Liebespaar, das jedoch nicht das Bett teilt, Grund für ihn, seine Bedürfnisse immer mal wieder andernorts zu befriedigen. So könnte dieses Leben, das geprägt ist von viel Arbeit, geschäftlichem Erfolg und unbeschwertem Großstadtamüsement immer weitergehen. Tut es aber nicht, denn Brugnon sieht sich immer häufiger persönlichen und geschäftsschädigenden Attacken eines Zeitungskolumnisten ausgesetzt. Er wird jähzornig bei der Arbeit, schläft meist schlecht, was zur Folge hat, dass er seine nächtlichen Streifzüge – immer öfter nun mit seinem Sekretär Poussain – mehr und mehr ausdehnt, oft erst im Morgengrauen nach Hause kommt und dadurch labiler und reizbarer wird.

Und dann taucht Florence auf, eine neue Stenotypistin, die schon bald bei vielen Besprechungen als Sekretärin dabei ist (zum Leidwesen ihrer Kolleginnen, denen diese Gunst verwehrt bleibt). Dabei bleibt es jedoch nicht: Wegen Florence vernachlässigt er Simone und bald ist Brugnon ein von seinen Gefühlen und seinem inneren Chaos völlig verwirrter, beinahe willenloser Mann, ein Schatten seiner selbst, unfähig, klar zu denken und zu handeln. Sein gesamtes Umfeld leidet darunter, das Unternehmen kommt ins Schlingern, weil der Chef falsch oder gar nicht mehr entscheidet und verantwortungsbewusste Mitarbeiter abkanzelt. Es kommt zum Zusammenbruch, zur überstürzten Flucht mit Simone, die ihm Stütze und Hilfe ist, zur kurzzeitigen Besinnung aufgrund von Ruhe und Distanz. Doch kaum zurück in Paris, holen ihn alle Probleme wieder ein.

„Bankrott“ ist ein unentschlossenes Buch, das weder ein echter Liebesroman noch ein Wirtschaftsroman ist. So zerrissen wie sein Protagonist, stellt sich auch der Roman selbst dar, den man am ehesten als Psychogramm bezeichnen kann, entstanden in einer Zeit, als diese Gattung erst in den Kinderschuhen steckte. Motivisch setzt Bost, dessen „Ein Sonntag auf dem Lande“ deutlich konsequenter und formal entschlossener ist, immer wieder Schwerpunkte, die er dann scheinbar auslaufen lässt, um sie später eher halbherzig noch einmal aufzunehmen. Das kann man kompositorisch vorausschauend nennen, wirkt jedoch eher etwas fahrig. In sprachlicher Hinsicht ist „Bankrott“ in der Summe eher unauffällig, allerdings spürt man noch den Expressionismus, der sich in wilden Ausrufen, häufigen Wiederholungen prägnanter Aussagen und bildhaftem, an den Stummfilm oder frühen Tonfilm erinnerndem Gestus zeigt.

Überaus gut gelungen sind Pierre Bost und seinem hervorragenden Übersetzer Rainer Moritz, der ebenfalls ein erhellendes Nachwort verfasst hat, die Beschreibungen des Arbeitslebens in den 1920er-Jahren, die Szenen in den schillernden Etablissements des nächtlichen Paris, die Darstellung der neuen motorisierten und automatisierten modernen Welt und die damit einhergehende Überforderung des Menschen, speziell des tragischen Helden Brugnon.

Innerhalb von etwas mehr als 20 Jahren hat Pierre Bost mehr als ein Dutzend Romane veröffentlicht, es ist also davon auszugehen, dass Dörlemann weitere Werke dieses nach wie vor zu entdeckenden Schriftstellers publizieren wird, man darf gespannt sein.

Titelbild

Pierre Bost: Bankrott. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen und mit einem Nachwort versehen von Rainer Moritz.
Dörlemann Verlag, Zürich 2015.
260 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783038200185

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch