Moral in einer natürlichen Welt

Markus Rüthers Einführung in die Metaethik

Von Tobias GutmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Gutmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Moralische Urteile gleichen in gewisser Hinsicht der Zeit. Über diese sagt Augustinus in einem bekannten Aphorismus: „Was also ist die Zeit? Wenn mich niemand fragt, weiß ich es. Wenn ich es jemandem erklären will, der fragt, weiß ich es nicht.“ Solange man im Alltag moralische Fragen diskutiert und dabei erläutert, wieso bestimmte Handlungen geboten, andere verboten sind, weiß man, was moralische Urteile sind. Aber sobald jemand innehält und explizit nach dem ‚Wesen‘ moralischer Urteile fragt, wird es kompliziert. Was tut man eigentlich genau, wenn man ein moralisches Urteil fällt? Was heißt es etwa, zu behaupten, dass Tierversuche falsch sind? Beschreibt man mit einem solchen Urteil die Welt oder drückt man nur Wünsche oder Gefühle aus? Gibt es moralische Normen, die sich mit solchen Urteilen beschreiben lassen, tatsächlich – und wenn ja, wie kann man sie erkennen?

Das Ziel der Metaethik besteht darin, Antworten auf solche Fragen zu finden, und darum beschreibt Markus Rüther diese Disziplin sehr treffend als Wissenschaftstheorie der normativen Ethik. Dementsprechend stellt er in seiner Einführung verschiedene Theorietypen vor und diskutiert, was für und wider diese Theorien spricht. Ins Zentrum stellt Rüther dabei zwei sehr grundsätzliche Annahmen, die für sich genommen beide plausibel sind, jedoch widersprüchliche Implikationen haben. Die erste dieser Annahmen lautet, dass alles, was es gibt, im Rahmen der Naturwissenschaften erforschbar sei. Diese ‚Naturalismus‘ genannte Ansicht erscheint plausibel vor dem Hintergrund der großen Erfolge der Naturwissenschaften: Die Evolutionstheorie etwa lässt viele Rückschlüsse über die Entstehung des Menschen zu und trägt zur Erklärung vieler menschlicher Verhaltensweisen bei; es liegt darum nahe, sie auch zur Erklärung der Moral ins Spiel zu bringen. Die zweite Annahme lautet, dass die Moral ein normatives Element aufweist: Sie sagt uns, was wir tun sollen. Doch woher rührt diese Normativität der moralischen Urteile? Im Rahmen der Naturwissenschaften lässt sich schließlich nur herausfinden, was ist, nicht aber, was sein soll – und das hieße, dass die Moral ein Phänomen ist, das nicht im Rahmen der Naturwissenschaften erforschbar wäre. Diese Ausgangslage ist es, die – und diese Ansicht teilt der Verfasser dieser Rezension mit Rüther – im Zentrum der gegenwärtigen Diskussion metaethischer Fragen steht. Dieses Spannungsverhältnis ist darum zu Recht der Leitfaden, anhand dessen Rüther den Stand der Diskussion referiert und diskutiert.

In einem ersten Teil erörtert er den Non-Kognitivismus, den Konstruktivismus und den Realismus. Es gelingt ihm dabei, die relevanten Gemeinsamkeiten der verschiedenen Theorien des jeweiligen Typs zu benennen, ohne die Komplexität zu verschweigen, die diese bei einer genaueren Untersuchung entfalten. Zur Übersichtlichkeit trägt auch der stets wiederkehrende Aufbau der Kapitel bei: Nachdem eingangs Argumente genannt werden, die zugunsten eines Theorietyps sprechen, werden anschließend die wichtigsten Einwände, mit denen diese Theorien konfrontiert sind, genannt und diskutiert; den Abschluss bilden eine knappe Rekapitulation sowie sehr aktuelle Literaturhinweise, die offenbaren, dass sich der Autor in der vor allem im angelsächsischen Raum geführten Debatte genau auskennt. Genannt werden aber auch neuere deutschsprachige Werke, die sich der Diskussion metaethischer Fragen widmen.

Im Anschluss an die Diskussion der drei Theorietypen werden zwei sogenannte Schlüsselkontroversen erörtert, die ihren Ausgang von den eingangs genannten Grundannahmen des Naturalismus bzw. der Normativität der Moral nehmen. Es handelt sich dabei zum Ersten um die Debatte darüber, wie es zu verstehen ist, dass moralische Urteile paradigmatischerweise mit einer Motivation einhergehen, entsprechend dieser Urteile zu handeln: Muss man hier auf psychologische Entitäten wie etwa Wünsche oder Bedürfnisse rekurrieren, oder können auch bloße Überzeugungen motivieren? Die zweite Kontroverse betrifft die Frage, ob sich moralische Begriffe auf solche Begriffe zurückführen lassen, die der Erforschung durch die Naturwissenschaften zugänglich sind. Hier konstatiert Rüther ein Dilemma: Entweder muss der Naturalist akzeptieren, dass die Normativität der Moral eine Chimäre ist, oder aber zugestehen, dass seine naturalistische Grundannahme falsch ist. Auch hier diskutiert Rüther in ausgewogener Weise die Vor- und Nachteile der jeweiligen Positionen und verdeutlich, in welcher Weise diese Schlüsselkontroversen mit den drei zuvor erörterten Theorietypen zusammenhängen. Damit illustriert er in seiner Diskussion eindrücklich die wissenschaftstheoretische Einsicht, dass sich Behauptungen nicht isoliert, sondern nur vor dem Hintergrund weiterer Annahmen bewerten lassen. Etwas vereinfachend gesagt: Alles hängt mit allem zusammen, und darum muss man, um die moralische Praxis zu verstehen, der wir im Alltag so selbstverständlich folgen, ein umfassendes Bild der Phänomene und deren jeweilige Interpretation berücksichtigen; dies gelingt Rüther vorbildlich.

Ein kleiner Wermutstropfen des Einführungsbandes sind einige unklare Literaturangaben bzw. falsche Seitenzahlangaben, etwa in den Anmerkungen 65, 84 und 97; hier hätte ein weiteres Lektorat geholfen. Dass man diese Kleinigkeit erwähnen muss, um überhaupt einen negativen Aspekt zu benennen, zeigt aber vor allem, dass es sich bei dem Werk Rüthers um eine sehr gelungene Einführung in die Metaethik handelt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Markus Rüther: Metaethik zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2015.
253 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783885067092

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