Kaltes Licht, fahler Zorn

Lauren Groffs Eheportrait bleibt an der Oberfläche

Von Paul GeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Paul Geck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Anfang steht der pure Kairos: Da ist der junge College-Gott Lotto, tanzend oberhalb einer ihm huldigenden Masse aus zuckenden Leibern. Fast jedes Mädchen auf der Tanzfläche hat er schon gehabt, er, der Unersättliche, dessen Aknenarben seiner Attraktivität nur die Krone aufsetzen. Dann kommt sie, Mathilde, die große Unbekannte. Jeder kennt sie, keiner kennt sie. Ein Blick, und Lotto springt von seinem Fenstersims, kämpft sich durch die Menge, kniet vor der blonden Schönheit nieder und hält um ihre Hand an. Und sie: „Ja, klar.“

Es klingt wie ein Märchen, und so ist es auch beabsichtigt. Die junge amerikanische Autorin Lauren Groff bedient sich in ihrem Roman Licht und Zorn einer fabelhaften Gedanken- und Bilderwelt, die auf die knallige Popkultur der Neunziger- und Nullerjahre trifft. Lancelot heißt der junge Protagonist mit vollem Namen, dem wie seinem Millionärsvater Gawain nur ein Rittername angemessen ist. Mit Mathilde trifft dieser Glücksritter auf das arme Mädchen aus den Sterntalern. Bei ihm findet sie ihr Zuhause, jeder Schatten Vergangenheit wird von dem prallen Augenblick und der verheißungsvollen Zukunft eingesogen.

Nach der Heirat ziehen sie nach New York, und nach einigen harten Jahren gelingt Lotto der Durchbruch als Dramaturg. Mathilde genügt sich in der Rolle der patenten Ehefrau, die ihm den Rücken freihält. Dann ein Haus auf dem Land, ein Hündchen, frischer Kaffee, den er jeden Morgen an ihr Bett bringt. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Der Roman kokettiert mit einer geradezu lächerlich erfolgreichen Symbiose zweier Individuen, die als Paar zu einem neuen Wesen verwachsen. Der einst promiskuitive Lotto wird, wie ein Freund sagt, „so monogam, dass einem das Kotzen kommt“, ebenso Mathilde. Sicher, die kleinen alltäglichen Irritationen bleiben nicht aus. Mathilde leidet unter Lottos depressiven Verstimmungen, während er spürt, dass seine Frau ihm immer eine Fremde bleiben wird. Er nennt es das „Paradox der Ehe. Man kennt jemanden nie ganz und kennt ihn doch in- und auswendig“.

Analog könnte man über den ganzen Roman sagen, dass die Rahmenhandlung die Oberfläche darstellt, das Vertraute, eigentlich das Langweilige. Interessanter ist doch, was man nicht weiß, und so geht es im Laufe der Handlung vor allem darum, dunkle Schatten aus dem Leben der beiden ans Licht zu ziehen.

Licht und Zorn besteht deshalb aus zwei Teilen, die ursprünglich einmal separat erscheinen sollten. Jeder Charakter steht im Mittelpunkt eines Teils, Lotto in „Licht“, Mathilde in „Zorn“. Sie werden jeweils von einem schwer zu fassenden, allwissenden und distanzierten Erzähler geschildert. Nicht nur er garantiert die Einheit beider Teile, denn beide sind aufeinander bezogen, komplementieren einander – ganz wie das Paar Lotto und Mathilde. Insofern ist der Roman nicht zu vergleichen mit Gillian Flynns ebenfalls in Er- und Sie-Perspektive erzähltem Thriller Gone Girl. „Zorn“ als zweiter Teil ist nicht die schlichte Auflösung von „Licht“.

Obwohl nun beide Protagonisten auf über 400 Seiten eigens für sich unter die Lupe genommen werden, erscheinen sie dem Leser am Schluss noch genauso fremd wie zu Beginn. Sympathie will sich schon gar nicht einstellen. Ist das beabsichtigt? Zumindest enthält sich der Erzähler weithin jeglicher Wertung der Charaktere. Das, was dem Leser aus Figurenreden an Charakterisierungen Lottos und Mathildes angeboten wird, ist geradezu stereotyp. Lotto ist „Licht“, ohne Falschheit, naiv und gutmütig. Mathilde dagegen verdankt ihre „Defizite an Güte“ einer dunklen Kindheit, sie ist kalt und gefühlsarm. Ein Freund bemerkt gegen Ende des Buches, dass sich ihr Äußeres seltsam verändert habe. Sie antwortet: „Das liegt nur daran, dass ich nicht mehr lächele. Ich habe so viele Jahre nicht zugelassen, dass mich jemand ohne mein Lächeln sieht. Ich hätte schon viel früher damit aufhören sollen. Ist unheimlich entspannend.“ Diese schematische Sprache tut ihr übriges, den Holzschnitt einer Person, nicht aber ihr Wesen aus Fleisch und Blut vor Augen zu malen. Lottos Charakter ist so kalt und eindimensional wie eine Neonröhre, und selbst Mathildes lodernder Hass lässt den Leser fröstelnd zurück.

Darum bleibt das Potenzial der Erzählung, die Tiefen einer Ehe auszuloten, unausgeschöpft. Aus vermeintlichen Untiefen wird lediglich hervorgeholt, was schablonenhaften Charakteren in einer schablonenhaften Ehe entspricht.

So ist der Roman über weite Strecke eine recht freudlose Angelegenheit. Gelungen ist die paradoxe Darstellung der ehelichen Einheit zweier Fremder. In ihrer Danksagung am Ende des Buchs bemerkt die Autorin, die selbst von unfassbarem „Glück“ in der eigenen Ehe spricht, dass sie eigentlich „vom Heiraten“ gar nichts hielte. Wenn auch Geschichte und Charakterzeichnungen blass bleiben – sollte es dies gewesen sein, was Lauren Groff in Licht und Zorn darstellen wollte, es wäre ihr gelungen.

Titelbild

Lauren Groff: Licht und Zorn. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Stefanie Jacobs.
Hanser Berlin, Berlin 2016.
432 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783446253162

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