In the Mood for Poetry
Jim Jarmusch erzählt in dem Film „Paterson“ von der alltäglichen Schönheit im Leben eines dichtenden Busfahrers
Von Dominik Rose
Wer sich das Sammelsurium an schrägen Außenseitern, orientierungslosen und entfremdeten Herumtreibern vergegenwärtigt, das Jim Jarmuschs Filme seit jeher bevölkert, kann sich über den verblüffend alltagstauglichen, nahezu Zen-mäßig in sich ruhenden Paterson (Adam Driver) nur wundern: Jeden Morgen weckt seine innere Uhr ihn um kurz nach sechs, gefolgt von einem zärtlichen Plausch mit seiner impulsiven und vor Einfällen sprühenden Frau Laura (Golshifteh Farahani), mit der Paterson eine harmonische Beziehung nach der Gleichung sich anziehender Gegensätze führt. Anschließend beginnt sein Arbeitstag als Busfahrer in einer Stadt in New Jersey, die so heißt wie er selbst und die in ihrer Geschichte berühmte Dichter wie William Carlos Williams, dessen Hauptwerk Paterson der Heimatstadt gewidmet ist, und Beat-Poet Allen Ginsberg hervorgebracht hat.
Dass Paterson selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit sein Notizbuch hervorholt, um Gedichte zu verfassen, ist einer jener dramaturgischen Einfälle, die wohl nur ein derart lakonischer Regisseur wie Jim Jarmusch auf seine nonchalante Art rüberbringen kann, ohne dass es überstrapaziert oder prätentiös wirkt. Nach dem Abendessen mit seiner Frau nimmt Paterson Lauras heißgeliebten Hund Marvin, eine Englische Bulldogge, mit auf seine abendliche Tour, die ihn stets zu einem Abstecher in Docs Bar führt, wo sich die Gestrandeten der Stadt wie der an Liebeskummer leidende Everett (William Jackson Harper) und seine verflossene Flamme Marie (Chasten Harmon) einfinden, bevor er wieder heimkehrt zu Laura, die in der Zwischenzeit in einem Anfall von schöpferischem Schaffensdrang möglicherweise das Haus komplett umgestaltet oder sich als Countrymusikerin oder passionierte Muffin-Bäckerin ausgetobt hat – was der stoische Paterson mit dem unerschütterlichen Wohlwollen eines Liebenden akzeptiert.
Dann beginnt ein neuer Tag, und mit ihm die banalen kleinen Rituale, die ihm erst seine charakteristische Struktur geben. Keine Frage, Paterson ist mit sich und seinem Leben in Einklang. Der Umstand, dass es sich um ein ziemlich gewöhnliches, unspektakuläres und im Grunde wenig kinotaugliches Dasein handelt, fällt gar nicht ins Gewicht. Es geht Jarmusch weniger um eine plotgetriebene Dramaturgie klassischer Art, sondern um eine filmische Meditation über die Bedeutung von Poesie in einem ganz alltäglichen Leben. Sein Held, wunderbar nuanciert und mit sparsamen Mitteln von Adam Driver verkörpert, findet Schönheit in den kleinen Dingen, einer auf dem Küchentisch herumliegenden Streichholzschachtel etwa, den Unterhaltungen seiner Fahrgäste oder dem improvisierten Rap eines Mannes im Waschsalon (Gastauftritt Method Man vom „Wu Tang Clan“). Seine Gedichte, von US-Dichter Ron Padgett verfasst, laufen parallel zu Patersons aus dem Off gesprochenen Worten Zeile für Zeile als Schrift über die Leinwand, was auf sehr schöne Weise verdeutlicht, wie sehr Patersons Kunst sein Leben durchdringt.
Bei all der Harmonie und inneren Ruhe, die der Film ausstrahlt, kippt er doch nie ins Banale oder Betuliche. Hinter all der Schönheit, die es zu entdecken gibt, lauert zugleich immer auch die Gewissheit ihrer Vergänglichkeit. Ein vor Liebeskummer halb wahnsinniger Besucher in Docs Bar, die Angst Patersons vor dem Verlust seiner Frau, die er an einem schicksalhaften Abend in einem seiner Gedichte thematisiert, der heruntergekommene Charme der halbverfallenen Industriebauten, durch die Paterson nach Feierabend schlendert, schließlich der tragische und dabei denkbar banal zustande kommende Verlust seiner Gedichte, von denen der zu wenig pragmatisch denkende Held keine Kopie besitzt. Aber ähnlich wie sein Regisseur Jim Jarmusch macht auch Paterson bei aller Enttäuschung kein Drama daraus, denn auf der nächsten Parkbank findet sich gewiss eine verwandte Seele, womöglich aus dem fernen Japan, und überreicht dem Hobbydichter ein neues Notizbuch.
Der Film folgt seiner Hauptfigur über einen Zeitraum von acht Tagen und entwickelt dabei einen entschleunigten Rhythmus, der mit seinen kontemplativen Momenten eine Art Antithese zur hypernervösen Gegenwart unseres digitalen Zeitalters darstellt. Die distanzierte Ironie, mit der Jarmusch viele seiner Filmfiguren zu betrachten pflegt, weicht diesmal einer geradezu warmherzigen Anteilnahme – keine Frage, der dichtende, ein Smartphone verweigernde Held liegt ganz auf der Linie seines Regisseurs. Überhaupt ist Paterson in seinem referenziellen Charakter, den vielzähligen kulturellen Bezügen und Anspielungen, an denen insbesondere Film- und Literaturliebhaber ihre helle Freude haben dürften, ein geradezu prototypischer Jim-Jarmusch-Film geworden.
Paterson, USA 2016. Regie: Jim Jarmusch. Darsteller: Adam Driver, Golshifteh Farahani, Barry Shabaka Henley, Rizwan Manji, Chasten Harmon, William Jackson Harper, Masatoshi Nagase, Nelly. 118 Minuten.