Generationenporträt einer Flapper

Zelda Fitzgeralds Erzählungen sind erstmals auf Deutsch erschienen

Von Sandra FolieRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Folie

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zelda Fitzgerald ist keine Unbekannte, und doch verdankt sie ihren Ruhm nicht in erster Linie ihrem Schreiben, sondern ihrem berühmten Ehemann Francis Scott Fitzgerald. Als „erste amerikanische Flapper“, Prototyp der emanzipierten jungen Frau der 1920er-Jahre, lieferte sie ihm die Inspiration für zahlreiche seiner Figuren. Diesen Protagonistinnen der Weltliteratur setzt Zelda in ihren Erzählungen eine ganze Palette von ebenso widersprüchlichen wie reizvollen (Anti-)Heldinnen entgegen.

Die talentierte Ms. Fitzgerald

„Sie war das amerikanische Mädchen, das den amerikanischen Traum lebte und in diesem Traum wahnsinnig wurde“, schrieb Nancy Milford in ihrer bahnbrechenden Biographie Zelda. Dieser Traum beinhaltete weit mehr als nur Ehefrau und Muse von F. Scott Fitzgerald zu sein. Zelda wollte selbst etwas schaffen und arbeitete zeitlebens daran, ihrer eigenen Kreativität Ausdruck zu verleihen. Frances („Scottie“), die Tochter der Fitzgeralds, sprach vom Unglück ihrer Mutter, mit der Begabung zu schreiben, zu tanzen und zu malen geboren worden zu sein, ohne je die Disziplin erlangt zu haben, ihre Talente für anstatt gegen sich arbeiten zu lassen. Mag sein, dass Zelda aus ihren Talenten kaum ökonomisches oder kulturelles Kapital schlagen konnte; die Disziplin, diese zu fördern und auszubilden, besaß sie jedoch sehr wohl, wovon ihre professionelle Ballettausbildung ebenso zeugt wie ihr künstlerisches und schriftstellerisches Œuvre.

Zelda hat bereits zu ihren Lebzeiten publiziert: zwischen 1922 und 1934 erschienen zahlreiche Zeitschriftenartikel, Erzählungen und ihr einziger Roman Ein Walzer für mich. Dabei schaffte sie es nie, aus dem Schatten ihres Mannes herauszutreten, der ihr erklärte, sie sei eine drittklassige Schriftstellerin. Dieses Urteil hielt ihn jedoch nicht davon ab, gelegentlich Passagen aus ihren Briefen und Tagebüchern ‚auszuborgen’ oder seinen Namen unter ihre Geschichten zu setzen.

Elf Erzählungen Zelda Fitzgeralds sind nun erstmals auf Deutsch erschienen – laut Manesse-Verlag ein „Sensationsfund“. Gefunden wurde im Nachlass jedoch lediglich das undatierte Typoskript einer Erzählung (Andere Namen für Rosen), und diese findet sich bereits in den Gesammelten Werken (1991). Ein Vierteljahrhundert später immer noch mit einer Sensation zu werben, erweist sich als ebenso lauer wie unnötiger Marketingstreich. Zeldas Geschichten können sehr gut für sich selbst sprechen – dank Eva Bonnés hervorragender Übersetzung nun auch auf Deutsch.

Das Ritz als Heterotopie

Wenn etwas ganz bestimmt nicht hinter den fliederfarbenen Buchdeckeln steckt, dann ist es jenes unbeschwert mondäne Flair, das der Titel Himbeeren mit Sahne im Ritz verspricht; entlehnt ist er aus der zweiten Erzählung, deren Protagonistin Gay im Japanischen Garten des Ritz Himbeeren mit Sahne verzehrt. Dieses Bild dient nicht ausschließlich dazu, Gay einen Rahmen von Glanz und Glamour zu verleihen. Der Rahmen, das nach außen hin Sichtbare, ist vielmehr bereits das Eigentliche: „Das Auffälligste an Gay war ihre Art; man hatte fast den Eindruck, sie spiele sich selbst.“ Fast. Gay passt deshalb perfekt in diese Umgebung, weil sie „so leicht und luftig“ ist wie jene Himbeeren mit Sahne, die sie genießt; so „dekorativ und unterhaltsam“ wie jener künstlich angelegte Hotelgarten, in dem sie sitzt. Es geht hier und in vielen Erzählungen nicht nur und vielleicht nicht einmal vorrangig um Rebellion oder Emanzipation, wie Felicitas von Lovenberg im Nachwort nahelegt, sondern um Langeweile und Resignation. Folgeerscheinungen, die insbesondere dann auftreten, wenn eine Vorstellung von Freiheit mit Schönheit erworben, mit Ruhm verwechselt und mit Geld beschwichtigt wurde. Als Gay an der Geburt ihres Kindes stirbt, heißt es, sie lebe weiter

in den vielen ruhelosen Seelen, die auf ihrer mondänen Wallfahrt über die Kontinente ziehen, […], die sich nach Stabilität und Pflichterfüllung sehnen, ohne recht daran zu glauben; in allen Menschen, die eine Schiffsreise zu einer ungezwungenen Angelegenheit mit Abendgarderobe und Diamantschmuck machen und das ‚Ritz’ zu dem, was es ist.

Das Ritz fungiert als Metapher für eine Krisenheterotopie, einen jener Orte, die nach Michel Foucault „für Individuen vorbehalten sind, welche sich im Verhältnis zur Gesellschaft und inmitten ihrer menschlichen Umwelt in einem Krisenzustand befinden.“

Auf solche Individuen, deren kleinster gemeinsamer Nenner das auf der Suche sein ist, treffen die Leser_innen. In Das Mädchen aus einfachen Verhältnissen wird ein Generationenporträt gezeichnet:

Unzählige junge Amerikaner haben der Realität nicht mehr entgegenzusetzen als den Wunsch, sich von den Träumen und Erwartungen ihrer Eltern zu befreien; der älteren Generation hat es gereicht, Kinder zu haben und ihnen eine Farm zu vererben, doch der jüngeren bleibt nur das Gefühl der beschränkten Möglichkeiten. Ihr ist die Klarheit abhanden gekommen, die für ein erfolgreiches Leben maßgeblich ist. Sie unterdrückt ihr Jammern und schluckt ihren Stolz herunter, doch auf das erste Scheitern folgt unweigerlich das große Schmollen.

Ausgangspunkt, Verlauf und Ziel der Suche fallen in den einzelnen Erzählungen bzw. für deren Protagonistinnen sehr unterschiedlich aus. Die einen beginnen oben, die anderen unten. Manche kommen an, die meisten ganz woanders und bei einigen endet die Geschichte noch vor der Suche.

Brathuhn mit Bier im Wirtshaus

Der Klappentext verspricht den Leser_innen, sie würden „in das glamouröse, schillernde, unstete Bühnenuniversum der Tänzerinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen“ hineingeworfen. Es ist vom Broadway, von Tüllkleidern und von Opulenz die Rede. Erzählungen wie Die erste Revuetänzerin, Das Mädchen, das dem Prinzen gefiel, Mädchen mit Talent und Das Mädchen und der Millionär lösen dieses Versprechen zumindest teilweise ein. Das Repertoire an Frauenschicksalen ist jedoch ein weitaus breiteres.

Die erste Erzählung Unsere Leinwandkönigin hebt mit einem unbekümmert durch New Heidelberg strömenden Mississippi an, „wild entschlossen, die dort ansässigen Ladys und Gentlemen von ihren Waschfrauen, Schlachtern und Müllmännern zu trennen, die klamm und stillos am gegenüberliegenden Ufer hausten.“ An diesem Ufer wohnt auch Gracie Axelrod, deren Geschichte sich – in kontrastreicher Analogie zum Titel des Erzählbandes – auch ganz gut unter der Überschrift „Brathuhn mit Bier im Wirtshaus“ fassen ließe. Die junge Frau brät im Wirtshaus ihres Vaters nachtein nachtaus Hühnchen, bis eines Tages, zusammen mit dem völlig betrunkenen örtlichen Kaufhausbesitzer, der eigentlich nur Abteilungsleiter ist, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft hereinstolpert.

Eloise ist ebenfalls ein ambitioniertes „Mädchen aus einfachen Verhältnissen“. Sie beginnt als Nanny zu arbeiten, um Geld für eine Schauspielschule in New York zu sparen: „Doch für Eloise war Tatkraft ein Gottesgeschenk, auf das man warten muss wie ein Gefangener auf die Gerichtsverhandlung“. Im Gegensatz zu Gracie oder auch Harriet, dem „Südstaatenmädchen“, deren beider Geschichten im Hafen der Ehe und in „mehr als bescheidenem Wohlstand“ enden, landet Eloise in der „Position des hübschen Mädchens“ in der örtlichen Fabrik, die, so die Erzählstimme, „vielleicht […] für manches hübsche Gesicht […] der richtige Ort“ ist.

Selbstredend ein zynischer Mensch

Die Erzählungen enden nie in Aufruhr, sondern, wie auch immer sie ausgehen, meist in einer gelassenen Akzeptanz. Die Happy Ends sind nicht happy bzw. überzeugend genug, um in schwelgerisches Träumen zu verfallen; die tragischeren Ausgänge nicht tragisch genug, um kathartische Tränen zu entlocken; „was bleibt einem Menschen letztendlich auch zu tun, als zu lieben und am Leben zu bleiben, wenigstens sieht die Tradition es so vor“, heißt es gegen Ende der letzten Erzählung Andere Namen für Rosen.

Mit Empathie und Mitleid wird äußerst sparsam umgegangen. Die Kommentare changieren zwischen beißendem Sarkasmus und unentschiedener Ironie, vorzugsweise in geistvolle Aphorismen Wilde‘scher Manier verpackt – Stilmittel eines „selbstredend“ zynischen Menschen. Als solchen gibt sich die einmal auktorial, dann wieder aus der Ich-Perspektive erzählende Stimme zu erkennen. Dass diese sprachlichen Feinheiten auch im Deutschen transportiert werden, ist die Leistung der Übersetzerin Eva Bonné. Die deutsche Übersetzung liest sich durchwegs flüssig und gut; das heißt, bis auf einen markanten Schnitzer in der ersten Erzählung, als der betrunkene Geschäftsführer des Kaufhauses „vornüber[zu]kippen“ [im Engl.: to keel over – umkippen] droht, „wenn man nur die Gewichte aus seinem runden Bauch“ entfernt – eine schwerkraftbedingte Unmöglichkeit.

Himbeeren mit Sahne im Ritz bietet weit mehr als die Paratexte versprechen und auch weit weniger. Das soll nicht heißen, dass jene Leser_innen, die sich durch Cover und Klappentext angesprochen fühlen, nicht auf ihre Kosten kämen; vielmehr, dass Zelda Fitzgeralds erfrischend unaufgeregte Erzählungen das Potential haben, auch jene anzusprechen, die offenbar nicht die primäre Zielgruppe darstellen.

Titelbild

Zelda Fitzgerald: Himbeeren mit Sahne im Ritz. Erzählungen.
Mit einem Nachwort von Felicitas von Lovenberg.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Eva Bonné.
Manesse Verlag, München 2016.
220 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783717524007

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