Die alten Probleme im neuen Design

„Der kleine Vampir“ als 3D-Animationsfilm

Von Niels PenkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Niels Penke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jede filmische Adaption tritt in Konkurrenz zu ihrem literarischen Vorbild. Und sie ist notwendigerweise Interpretation, die Szenen und Figuren selegiert, und den offenen Imaginationsangeboten des Textes ein konkretes Aussehen verleiht. Keine Verfilmung des Kleinen Vampirs war bislang Angela Sommer-Bodenburgs Romanvorlagen allzu treu. Allerdings konnte sich die deutsch-kanadische Koproduktion von 1985 dennoch nachhaltig in der Fan-Gunst behaupten, weil sie den Figuren ihre Eigenheiten beließ und in ein atmosphärisch stimmiges Setting stellte. Sowohl Atmosphäre als auch Textnähe haben mit den weiteren Verfilmungen stetig abgenommen. Uli Edels Kinofilm aus dem Jahr 2000 war lediglich noch „frei nach“ den Büchern von Angela Sommer-Bodenburg, für die Nicholas Waller das Drehbuch sowie den Roman zum Film geschrieben hat.

Auch für Der kleine Vampir 3D hat Waller die Vorlage verfasst. Die Regisseure Richard Claus (der bereits die 2000er Verfilmung koproduzierte) und Karsten Kiilerich haben seine Neuerzählung in einen Animationsfilm verwandelt. Dieser sticht zunächst als merkliche Aktualisierung ins Auge; die erzählte Welt ist an der Gegenwart ihres Publikums neu ausgerichtet: Familie Bohnsack reist mithilfe eines Navis in den Schwarzwald. Zunächst sind es aber die alten Probleme in neuem Design. Das Vampirfaible des Sohnes ist den Eltern suspekt, dieser hingegen fühlt sich unverstanden. Aber auf den Urlaub in einer entlegenen Burg freuen sich alle. Parallel dazu befindet sich ein großes Vampirfest in Vorbereitung, das anlässlich des dreihundertsten dreizehnten Geburtstags des kleinen Vampirs Rüdiger stattfinden soll, das aber vom Vampirjäger Geiermeier gestört wird. Dieser setzt zum entscheiden Schlag an, um die gesamte „Sippe“ – einer der häufigsten Begriffe in Buch und Film – der von Schlottersteins zu erledigen. Die derart in Gang gesetzte Handlung, die sich als Flucht, Verfolgungsjagd und Behauptungskampf entwickelt, führt schließlich Anton und die Vampire zusammen. Gemeinsam gelingt es ihnen, ihren jeweiligen Eltern Tatsache und Nutzen ihrer Freundschaft mit der anderen Spezies verständlich zu machen – und letztlich auch Geiermeiers Vernichtungsprojekt zu verhindern.

Das Kernpersonal ist mit Sommer-Bodenburgs Büchern weitestgehend identisch, ihre animierten Avatare jedoch ebenso weit von diesen entfernt wie die eben skizzierte Handlung, die sich nur einiger entfernt ähnlicher Versatzstücke bedient. Es ist eine neue Erzählung, die nur noch wenig mit dem gemein hat, was 1979 mit dem ersten Der kleine Vampir-Roman in die Welt kam. Zwar bleiben – zumindest in der deutschen Übersetzung – die Namen erhalten, doch die Charakterzeichnungen sind komplett neu gestaltet. Das betrifft allgemein die erkennbaren Wandlungen im Hinblick auf Kindlich- und Niedlichkeitsvorstellungen, die sich im Aussehen der Figuren äußern, aber auch in ihren Eigenschaften und verlorengegangenen Ambivalenzen. Im selben Maße wie Rüdiger seine Widersprüchlichkeit als extrem egoistischer Einzelgänger einbüßt, der von seiner Familie nicht loskommt und daher besonders nach Freundschaft sucht, verliert auch Anna ihre Widerständigkeit. Schwankte sie in Sommer-Bodenburgs Büchern stets zwischen feministischem Selbstbewusstsein und dem nur schwer erfüllbaren Traum hingebungsvoller romantischer Liebe, so ist Anna im Jahr 2017 zur Nebenfigur herabgesunken, die außer durch ihre Zuneigung zu Anton kaum noch Kontur besitzt.

Hingegen hat eine der beständigsten Nebenfiguren eine deutliche Aufwertung erfahren. Dadurch, dass die Verfolgungsjagd das Geschehen hauptsächlich bestimmt, steht Vampirjäger Geiermeier mit einem neuen, allerdings noch immer vertrottelten Assistenten, stärker im Fokus. Er wird als Enttäuschter vorgestellt, der als „Maschine aus Hass“ und Apokalyptiker seinen wahnhaften Kampf gegen die Vampire führt (und darüber selbst zum ‚psychischen‘ Vampir an seinem Gehilfen wird). Dabei verfügt er über ein riesiges Waffenarsenal, das auch den Ghostbusters und Inspector Gadget wohlangestanden hätte. Besonders diese Hochrüstung trägt zur Gestalt des Films bei, da sie mit Beschleunigung notwendig einhergeht: Flugzeuge, Hubschrauber, Squads und Bomben bieten Anlass zu schnellen Bildfolgen bei Jagden zu Land und in der Luft sowie effektvollen Explosionen. Da diese im Zentrum stehen, kann kaum jene Bedächtigkeit aufkommen, welche die Bücher Sommer-Bodenburgs und die erste Serienverfilmung auszeichnet. Das mag auf die Erwartungen und Wahrnehmungsgewohnheiten eines heute kindlichen Publikums zugeschnitten sein, lässt aber in der Gesamtheit wenig von dem übrig, wofür der kleine Vampir bekannt und beliebt geworden ist. Solche Wandlungen werden zwar auch im Film deutlich, wenn der statischen und langweiligen Vampirwelt, in der nichts geschieht, außer dass sich in ihr ewige Wiederholungen der stets gleichen Abläufe ereignen, die immer schneller werdende Menschenwelt gegenübersteht, die eben aufgrund von Fortschritt unter den Bedingungen der Zeitlichkeit dynamisch ist. Im Normalfall sind diese Welten getrennt; in der vorgeführten Film- beziehungsweise Romanhandlung aber können die von Anton und Rüdiger vollzogenen Grenzüberschreitungen kooperativ legitimiert werden: So wie sie ihre Eltern gemeinsam überzeugen, dass Akzeptanz und Zusammenarbeit sinnvoll sind, besiegen sie auch Geiermeier durch vereinte Kräfte – und entkommen so zumindest zeitweilig beide ihrer ursprünglichen Lebenswelt.

Im Film wird das Happy End durch den von Phoebe Givron-Taylor gesungenen Schlusssong By Your Side etwas überstrapaziert, macht aber abschließend noch einmal deutlich, was den Film und den Roman von Angela Sommer-Bodenburgs 21-bändiger Serie unterscheidet. Anstelle facettenreicher Figuren, subtilen Humors und konsistenter atmosphärischer Dichte setzen Waller respektive Claus und Kiilerich auf Effekte, die der ursprüngliche Stoff nicht braucht. Klar kann den Pressestimmen zugestimmt werden, dass der Film „liebevoll animiert“, spannend, witzig und „charmant synchronisiert“ ist, aber das kann vermutlich nur diejenigen wirklich begeistern, die dem kleinen Vampir zum ersten Mal begegnen und die nicht mit dem Eindruck zu ringen haben, dass bei dieser Adaption Wesentliches verlorengegangen ist.

Der kleine Vampir 3D
Niederlande, Deutschland, Dänemark, Großbritannien 2017
Regie: Richard Claus, Karsten Kiilerich.
Produktion: A. Film, Ambient Entertainment GmbH, Cool Beans, Rothkirch Cartoon Film, Storm Post Production, Telescreen
Länge: 83 Minuten
Kinostart: 26. Oktober 2017

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Titelbild

Angela Sommer-Bodenburg / Nicholas Waller: Der kleine Vampir. Das Buch zum 3D-Film.
Übersetzt von Leonard Thamm.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
226 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783499217883

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