Leben als Roman

Helmut Schanze schreibt eine Literatur- und Mediengeschichte der Romantik

Von Jana ScholzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Scholz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Das Leben soll uns kein gegebener, sondern ein von uns gemachter Roman sein“, forderte Novalis 1798. Für diese bisweilen tragische Durchdringung von Buch und Leben steht beispielhaft Johann Wolfgang Goethes Werther, dessen fatale Wirkung den Dichter dazu veranlasste, der zweiten Auflage des Briefromans die Zeile „Sei ein Mann, und folge mir nicht nach“ voranzustellen. Die „Erfindung der Romantik“ gründet dann auch auf der Idee vom Leben als Buch – so jedenfalls argumentiert Helmut Schanze in seiner gleichnamigen, 2018 im Metzler Verlag erschienenen Monografie.

Für den Germanisten und Medienwissenschaftler ist Romantik eine Kunst- und Lebenslehre, deren Gegenstand der Roman ist. Es gehe um die unterschiedlichen Praxen, die Leben erzählen; um Fiktionen, die dem Leben so ähnlich seien, dass sie als Wirklichkeit wahrgenommen würden. Wichtig ist Schanze die Unterscheidung zwischen der Romantik und dem Romantischem. Erstere ziele auf ein Medium, nämlich das romantische Buch, letzteres auf die Inhalte, genauer: den „Mythos der Selbstfindung und Selbsterfindung“. Dabei bleibt hin und wieder fraglich, welchen Mehrwert der Medienbegriff für Schanzes Romantik-Geschichte hat. Zwar betrachtet der Autor auch die Verbreitung technischer Innovationen im 19. Jahrhundert, wie beispielsweise die Lithografie, die Telegrafie und die Fotografie – doch diese stehen nicht im Mittelpunkt seiner Untersuchung und der Roman ist nicht zwingend als Medium zu betrachten, sondern vor allem als literarische Gattung.

Schanze unterteilt sein Buch in drei große Kapitel: „Tendenzen“, „Doktrinen“ und „Kein Ende“. Am reichhaltigsten ist der zweite Teil, der viele bekannte Aspekte einer Ästhetik der Romantik aufgreift, zum Beispiel die Universalpoesie, den Mythos, das Märchen oder das Lied. Schanze geht dabei weniger hermeneutisch vor – seine Werkanalysen sind rar. Sein immenses Fachwissen zeigt sich mehr in der Darstellung von Briefen, kunsttheoretischen und philosophischen Schriften. Er rekonstruiert die Romantik vor allem aus den ästhetischen Reflexionen ihrer Schulen und Netzwerke. Einige berühmte literarische Texte fehlen dabei ganz, zum Beispiel Joseph von Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts, Friedrich de la Motte Fouqués Undine oder Adelbert von Chamissos Peter Schlemihl. Gerade „Einzelgänger“ wie Jean Paul oder Bonaventura beachtet der Autor weniger oder gar nicht.

Schanze geht seine Suche nach der Erfindung der Romantik anders an, er verlässt die ausgetretenen Pfade. Im Mittelpunkt steht für ihn, der 1965 bei Theodor W. Adorno mit einer Arbeit über Romantik und Aufklärung bei Friedrich Schlegel und Novalis promovierte, die Frage nach einer Mediengeschichte. Dieser Fokus rückt auch sonst vielleicht weniger beachtete Texte in den Vordergrund, wie E.T.A. Hoffmanns Rezension von Beethovens 5. Sinfonie, zusammengefasst in einem Essay in den Fantasiestücken in Callots Manier von 1819. Darin schreibt Hoffmann, selbst Dichter und Komponist, dass Beethovens Musik zum „Wesen der Romantik“ führe. Instrumentalmusik sei zudem die romantischste aller Künste. Schanze schließt daraus, dass Musik die Rolle eines Mediums spiele, und zwar im Sinne eines Übergangs vom Endlichen ins Unendliche. Hoffmann finde das Wesen der Romantik um den Preis „des Verstummens der menschlichen Stimme“.

Die wahren Protagonisten der Monografie sind aber Novalis, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck und Johann Wolfgang von Goethe. Letzterer, zunächst Vorbild der Romantiker, hatte die Romantik später als „Krankheit“ bezeichnet. Schanze sieht jedoch in dessen Roman Die Wahlverwandtschaften das Werk eines „klassischen Romantikers“. Seine Argumentation, die er an der Romanfigur Ottilie festmacht, liest sich sehr überzeugend. Ottilie verkehre Novalisʹ Modell vom Leben als Buch, das zum Modell vom Buch als Leben werde. Denn die junge, bibliomanische Frau scheint lesend ihr eigenes tragisches Ende vorauszusehen. Gleichzeitig ist die „Penseriosa“, wie Ottilie im Roman genannt wird, einem Gemälde der Schweizer Malerin Angelika Kauffmann entsprungen, womit das lebendige Bild als romantisches Motiv angesprochen ist.

Schanzes Romantik-Handbuch, erstmals 1994 erschienen, ist bis heute einschlägig. Die Monografie Erfindung der Romantik führt nun seine germanistische und medienwissenschaftliche Arbeit aus über fünf Jahrzehnten zusammen. Sie deckt, ähnlich wie das ältere Handbuch, ein breites Spektrum an Stichworten ab, behandelt diese aber gleichzeitig mit einem hoch spezialisierten Interesse. Durchweg präzise formuliert, spricht das Buch Leserinnen und Leser an, denen es um ästhetische Positionen und Medienumbrüche der Romantik geht.

Titelbild

Helmut Schanze: Erfindung der Romantik.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2018.
434 Seiten, 49,99 EUR.
ISBN-13: 9783476047076

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