Jagd auf dem Kiez

In „Das Schattennetz“, dem vierten Teil ihrer Malin-Brodersen-Reihe, lässt Anette Hinrichs die Ermittlerin erneut in Hamburg nach einem Mörder suchen­­ – Klischees inklusive

Von Fenya HentschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fenya Hentsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein neuer Fall für Kommissarin Malin Brodersen: Kurz nacheinander werden in Hamburg eine transsexuelle Prostituierte und ein Geschäftsmann erstochen. Das Besondere dabei ist, dass der Täter die Gesichter seiner Opfer verdeckt. Zunächst führen die Spuren das Ermittlungsteam ins Hamburger Rotlichtmilieu. Allerdings erschweren Sprachbarrieren und die Angst, ausgewiesen zu werden, schnell die Ermittlungen.

Doch dann geschieht ein dritter Mord, und diesmal wird es persönlich, da der Tote ein Kollege der Kommissarin ist. Malin macht sich Vorwürfe, da sie am Abend zuvor mit ihm verabredet war. Dieses Treffen hat sie über ihre privaten Probleme vergessen und bemerkt erst am Tatort, dass das Opfer versucht hat, sie telefonisch zu erreichen. Die Ermittlerin beginnt auf eigene Faust nachzuforschen und stößt auf eine Spur zum organisierten Verbrechen. Dabei dringt sie immer weiter in ein Netz aus Lügen, Gewalt und Korruption ein. Schon bald ist auch ihr eigenes Leben in Gefahr und sie muss sich fragen: Wem kann sie noch trauen?

Die Handlung von Das Schattennetz scheint zunächst alles zu haben, was einen guten Krimi ausmacht. Sie basiert aber auf allzu vielen Klischees. Ein Mord in Hamburg muss natürlich an einer Prostituierten begangen werden, damit die Kommissare dann im Rotlichtmilieu ermitteln können. Die Spur führt auf den Kiez, in die Welt der Prostitution und der Drogen. Dort wird hartnäckig geschwiegen, aus Angst vor den großen Bossen, welche die Unterwelt der Hansestadt kontrollieren und deren Einflüsse bis ins Polizeipräsidium reichen. Auch die Hauptfigur entspricht dem stereotypen Bild einer Kommissarin. Ihre Arbeit steht immer an erster Stelle, ihr Privatleben kommt erst danach. Deshalb vergisst sie auch häufiger Verabredungen mit ihrem festen Freund Thies Conradi. Bei ihrer Arbeit ist die Kommissarin zielstrebig und entschlossen, im Privaten beweist sie dagegen kaum Rückgrat. So möchte sie nicht mit Thies in eine gemeinsame Wohnung ziehen, traut sich aber nicht, ihm dies zu sagen. Scheinbar kann sich Malin mit Thies keine gemeinsame Zukunft vorstellen, die Beziehung beenden möchte sie aber auch nicht. Stattdessen vergräbt sich die Ermittlerin in ihrer Arbeit, um ihren Problemen zu entkommen.

Die Handlung des Romans bietet nicht viel Spannung, da ab der Hälfte des Romans klar ist, wer die Morde begangen hat. Nur die Frage nach dem Tatmotiv wird erst gegen Ende beantwortet. Das überraschende Tatmotiv ist einer der wenigen Höhepunkte der Handlung. Der Leser bekommt im Laufe des Romans nicht nur tiefe Einblicke in das Leben von Malin, auch das Privatleben des Mörders wird ausführlich beleuchtet. Dies ist die große Stärke des Krimis. Durch die verschiedenen Sichtweisen kann das Verhalten der Figuren nachvollzogen werden, die dadurch an Tiefe gewinnen und mit fortschreitender Seitenanzahl immer besser greifbar werden. Das führt dazu, dass gerade die Kommissarin, doch eigentlich die Identifikationsfigur, dem Leser unsympathisch wird.

Das Schattennetz enthält keine detaillierten Tatortbeschreibungen und kann deshalb auch von solchen Krimiliebhabern gelesen werden, die keine brutalen und blutigen Szenen mögen. Der Roman ist in sich geschlossen, die Figuren werden so gut eingeführt, dass man die Vorgänger nicht kennen muss, um die Handlung zu verstehen. Das Buch kann also auch außerhalb der Reihe gelesen werden. Die Vorzüge des Romans, die tiefen Einblicke in die Psyche der einzelnen Figuren, gehen leider auf Kosten der Spannung. Hierzu kommen die vielen Klischees, wie eine starke, entschlossene Kommissarin, die sich nur für die Arbeit interessiert und deshalb auch keine funktionierende Beziehung aufbauen kann. Paradoxerweise ist es der Täter, welcher an dieser Stelle das Mitleid des Lesers erregt. Fast schon verletzlich porträtiert, möchte man ihm, statt ihn zu bestrafen, lieber helfen und Trost spenden. Mitfühlen anstatt mitdenken ist die Maxime des Romans. Wer also emotionalisierte Kriminalliteratur ohne großen Anspruch mag, dem sind mit Das Schattennetz entspannte Abende auf der Couch garantiert. 

Titelbild

Anette Hinrichs: Das Schattennetz. Kriminalroman.
Leda Verlag, Leer 2018.
288 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783864122118

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