Die Geburt der Kritik aus dem Spiel mit der Sprache

Zur Rückkehr von Rainer Strobelts Strittig

Von Jens LiebichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Liebich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Strittig wieder – so lakonisch, ja fast launisch kündigt sich der Nachfolger von Rainer Strobelts Prosa-Erstling Strittig an. So minimalistisch der Titel, so mehrdeutig seine Auslegung: Die Leserschaft, die noch nicht mit strobeltschen Strittlingen – so nennt der Autor seine aus nur wenigen Zeilen bestehenden Prosa-Miniaturen – in Berührung gekommen ist, mag hierin schlicht die Ankündigung von etwas noch unbestimmt Strittigem vermuten. Der bereits durch das Vorgängerbüchlein sensibilisierte Leser hört jedoch die näherkommenden Schritte des Herrn Strittig, der Kunstfigur, die bereits zwei Jahre zuvor den Blick des Lesers spielerisch auf Charme, Witz und Widersprüchlichkeiten unserer Sprache lenkte. Doch auch dem letztgenannten Leser sei geraten, noch genauer hinzuhören. Strittig wieder – oder: „Stritt ich wieder“; vielleicht gar ein „Stritt ich wider“? Der stets gleichbleibende Klang vermag die erst im Schriftbild augenscheinlich werdenden und den Sinn verändernden Unterschiede nicht wiederzugeben – und doch werden wir erst über den Klang auf mögliche Variationen aufmerksam. Somit deutet sich bereits im Titel an, was Rainer Strobelt im Vorwort ankündigt: „Wundersamer Strittig: Lässt sich erneut von der Leine, dröselt sich wieder mal auf.“

Strittig ist eben nicht allein eine Kunstfigur, er ist eine „Sprachkunstfigur“, bestehend aus der Sprache, mit der er spielt. Wenn der Autor Strittig das Wort erteilt, lässt er sprichwörtlich die Sprache von der Leine. Wird unsere Alltagssprache durch Kontexte und Konventionen zusammengehalten und somit zumindest scheinbar vereindeutigt, vermag sich die Sprache der Kunst von diesen Zwängen zu lösen, wodurch sie sich zugleich in ihre zuvor durch äußere Zwänge zusammengehaltene Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit aufdröselt. Häufig eröffnen die Strittlinge ein Spannungsfeld zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung, in dem die Orientierungsversuche des Lesers in mitunter gegensätzliche Richtungen gelenkt werden: „Nein, was ist denn wieder, Strittig? – Ja, was war wohl?“

Das Mitdenken ist Voraussetzung zum Verständnis, das Weiterdenken die Bedingung zur Erkenntnis. Darin liegt die Gemeinsamkeit zwischen dem ersten und dem zweiten Büchlein. Dabei geht es – hier wie da – nicht um das restlose Auflösen der oft zunächst rätselhaften Zeilen, sondern um die Freude am Denken und um das Erkennen des Rätsels selbst: „Forschen Schrittes betritt Strittig die Grauzone. Diesen Vorsprung Richtung Klarheit hat er nun.“

Doch neben den augenscheinlichen Gemeinsamkeiten zeichnen sich auch Veränderungen beziehungsweise Entwicklungen ab. Formal setzt das zweite Buch nahtlos am ersten an, und die Strittlinge wachsen von 65 auf 133. Es gibt nunmehr eine Unterteilung in zwei statt in drei „Strittlingsbündel“ und somit nur noch eine statt zwei Zäsuren. Diese erfolgt in Form einer Fußballgeschichte und wird mit dem 100. Strittling eingeleitet. Dass sich Strittig in dieser als Anhänger Sandro Mazzolas erweist, ist deutlich mehr als eine Hommage an die italienische Fußball-Legende aus Turin.

Schon der Untertitel des Büchleins Neue Strittlinge und eine Fußballgeschichte kündigt diese zweiseitige Geschichte an und weckt Erwartungen beim Leser. Das Fußballspiel – dies darf vorweggenommen werden – ist jedoch nur Kulisse, um scheinbar beiläufig eine doch konsequenzenreiche Erweiterung hinsichtlich der Kunstfigur einzuführen. Indem Strittig einen real existierenden Fußballer am Rande eines tatsächlich stattgefundenen Spiels beobachtet, verschmelzen literarische und reale Welt miteinander. Auch durch einige andere Strittlinge, die unter anderem Westfalen oder das Münsterland erwähnen oder lautmalerisch mit „Pütt, Pott, Ploug“ auf Ahlens ältesten Karnevalsverein anspielen, erhält die Kunstfigur Zeit- und Lokalkolorit. Dies ermöglicht wiederum Zeit- und Gesellschaftskritik – mal subtiler, mal deutlicher: „Einmal war Strittig in den Krieg gezogen. Eh er sich’s versah, saß er in einer unbemannten Drohne.“

Einige Strittlinge scheinen – im Vergleich zu denen des ersten Büchleins – einer neuen Art anzugehören, in denen das Spiel mit der Sprache auf den Ernst der Sache weist. Herr Strittig ist kein Herr Keuner, seine Kritik entsteht aus dem Spiel mit der Sprache. Doch mit dem Anklingen kritischer Töne geht Strittig wieder über die reinen Sprachspiele des Vorgängers hinaus. Somit scheinen die möglichen Les- beziehungsweise Hörarten des Titels als „Stritt ich wieder“ respektive „Stritt ich wider“ die inhaltlichen Veränderungen mit aufzugreifen. Dass unsere Zeit nicht mehr spurlos an Strittig vorüberzieht, macht gewiss das Schreiben für seinen Autor nicht einfacher und erst die – hoffentlich bald kommenden – Strittlinge 134 bis (vielleicht) 200 werden zeigen, in welche Richtung ihr Wachstum geht. Bis jetzt lässt sich sagen: Sie gedeihen prächtig.

Titelbild

Rainer Strobelt: Strittig wieder. Neue Strittlinge und eine Fußballgeschichte.
Peter Segler Verlag, Freiberg 2018.
circa 88 ungezählte, 12,80 EUR.
ISBN-13: 9783931445270

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