Das Wort, die Frau und die Erotik

Gioconda Bellis Texte über das Schreiben, Widerstand und Revolte, Feminismus und weibliches Verlangen erscheinen zur rechten Zeit auf Deutsch

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gioconda Belli zählt zu den bekanntesten Schriftstellerinnen Lateinamerikas. Wie Sergio Ramírez feststellt, hat ihr Werk die nicaraguanische Literatur unvergänglich gemacht. Ihre über 20 Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. In Deutschland wurde die Autorin 1988 mit ihrem Roman Bewohnte Frau bekannt, der von Widerstand und Leidenschaft erzählt – zwei Themen, die Bellis Leben und Werk maßgeblich prägen.   

Wie auch ihr Kollege Ernesto Cardenal – Poet, Priester und politischer Aktivist, der schnell zur Symbolfigur der Revolution wurde – schließt sich auch Belli mit 23 Jahren der Sandinistischen Befreiungsfront an, der Guerilla, die 1979 die Diktatur von Anastasio Somoza besiegt und die Macht in Nicaragua übernimmt. In den 1970er Jahren geht sie ins Exil nach Mexiko und Costa Rica, wird in Abwesenheit wegen subversiver Tätigkeiten zu Haft verurteilt. Mit dem Sieg der Sandinistischen Revolutionäre kehrt sie nach Nicaragua zurück. Als sich der ehemalige Revolutionsführer und heutige Präsident Daniel Ortega allerdings vom Revolutionsführer zum autoritären Herrscher wandelt, distanziert sie sich Anfang der 1990er Jahre von der Bewegung. Doch Belli kämpft weiter, nicht zuletzt auch als Aktivistin für Frauenrechte.  

Der Band Ich bin wie ein weites Land versammelt neben Essays und Gedichten sogar ein Manifest, das Manifest der Partei „Partido de la Izquierda Erótica (PIE)“ – „Partei der Erotischen Linken. In den kulturkritischen und autobiografisch geprägten Texten –  im Vorwort verweist Belli auf Doris Lessings Aussage, jeder Roman sei autobiografisch, auch wenn es scheint, als habe er mit dem, der ihn schreibt, nichts zu tun –  reflektiert Belli über Heimat, Solidarität, Rebellion und Widerstand, Massenkultur und kommerziellen Erfolg, über weibliche und nationale Identität, feministische Standpunkte und Erotik. Im erzkonservativen und katholischen Nicaragua der 1970er Jahre sorgten ihre erotischen Gedichte für einen Skandal. Als „Vaginalpoesie“ verschrien, empörte man sich darüber, dass eine Frau über den männlichen Körper als Gegenstand ihres Verlangens sprach, sich als Subjekt des eigenen Erotismus – wie Belli in ihrem Essay Landschaften der Erotik schreibt – und nicht als Objekt betrachtete. In den Essays geht es aber auch um Schminkrituale einer sich zur Eitelkeit bekennenden Mutter, die die Anschauung ihrer eigenen Mutter, nämlich Schönheit als Grundpfeiler der weiblichen Identität, in sich trägt (Die Identität: sich seiner selbst bewusst werden) oder um poetologische Reflexionen einer Autorin, die Schreiben als ihre „Berufung“ betrachtet:

Ich glaube, wir Schriftsteller werfen eigentlich nur wie polierte Spiegel das zurück, was tagtäglich um uns herum geschieht, die andauernde Erschaffung und Wiederschaffung der Wirklichkeit, an der wir alle teilhaben. Allerdings muss man auch sagen, dass das geschriebene Wort, wenn es diese Wirklichkeit neu erschafft, auch an ihrer Veränderung beteiligt ist.

Einer der gelungensten Essays nimmt eine kalifornische Schlingpflanze zum Ausgangspunkt für Reflexionen über Liebe und Abhängigkeit: Liebe erklärt Belli zum abhängigsten aller Gefühle. Sich zu verlieben, bedeutet letztlich seine Autonomie aufzugeben: „Zu lieben ist deshalb vielleicht der mutigste Ausdruck von Vertrauen, der uns menschlichen Wesen in unseren persönlichen Beziehungen abverlangt wird.“  

Bellis kluge, anschauliche und aufmunternde Texte geben vor allem Mut: Unerschrocken, entschlossen und kühn – so fühlt man sich nach ihrer Lektüre. Außerdem bereit, den Kampf anzutreten, auch gegen männliche Autoritäten:

Wir haben Männer ertragen, die gut reden können […]. Keiner von ihnen hat es geschafft, etwas Vernünftiges zu tun, und wir, die Frauen, sind es leid, für die Scherbenhaufen all dieser unfähigen, korrupten, betrügerischen , billigen, teuren Regierungen zu bezahlen, die ihr Amt missbrauchen und die Verfassung missachten.

Liest man diese Zeilen aus dem Manifest der Partei „Partido de la Izquierda Erótica (PIE) – Partei der Erotischen Linken“ könnte die Botschaft im Hinblick auf Trump, Bolsonaro, Putin oder Johnson in Corona-Zeiten aktueller nicht sein. Was wir in dieser Krise brauchen, ist Bellis unschlagbarer Optimismus: „Das Unmögliche zu wollen, ist nie falsch. Es ist eine Art und Weise, die triste Wirklichkeit herauszufordern, die uns so oft mutlos zu machen droht.“

Schade nur, dass der schmale Band lediglich eine Auswahl der Essays aus dem spanischsprachigen Original mit dem schönen und aufschlussreichen Titel Rebeliones y revelaciones (2018) enthält sowie – so heißt es – „ergänzende Texte“. Hier hätte man sich etwas mehr Transparenz gewünscht: Woher stammen die einzelnen Texte? Und wann wurden sie genau geschrieben? Trotz der facettenreichen Zusammenstellung von Texten unterschiedlicher Genres wirkt das Interview Bellis mit Julio Ortega in der Mitte des Bands etwas deplatziert. Auch der Titel der deutschen Übersetzung, Ich bin wie ein weites Land – der auf Bellis gleichnamiges Gedicht verweist – klingt in der deutschen Übersetzung im Vergleich zu Rebeliones y revelaciones fast ein bisschen kitschig. Doch genug Kritik: Wir sollten uns lieber freuen, dass Bellis Texte mit dieser Ausgabe einem nicht spanischsprachigen Publikum zugänglich gemacht werden!

Titelbild

Gioconda Belli: Ich bin wie ein weites Land.
Ausgewählt und aus dem Spanischen von Lutz Kliche.
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2020.
144 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783779506294

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