Auf der (vergeblichen) Suche nach dem Sinn

Victor Pouchet entführt seine Leser/innen in „Warum die Vögel sterben“ auf eine nicht enden wollende Flussfahrt

Von Evi RohdeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evi Rohde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Scharen toter Vögel fallen entlang der Seine vom Himmel und niemand interessiert sich sonderlich dafür – außer einem Pariser Studenten, der sofort Nachforschungen zur Ursache dieses apokalyptischen Szenarios anstellt.  Victor Pouchets Debütroman Warum die Vögel sterben, übersetzt von Yvonne Eglinger, liefert damit einen eigentlich spannenden Ausgangspunkt, der aktuelle Bezüge zum globalen Artensterben, ein dystopisches Setting oder wenigstens eine fesselnde Charakterentwicklung vermuten ließe. Doch in dem Roman passiert nichts dergleichen.

Die Leser:innen werden mit einem Protagonisten konfrontiert, der davon erzählt, wie er ziellos durchs Leben treibt: Er kann und will seine Doktorarbeit nicht beenden, ist Single und hat kaum Kontakt zu seiner Familie – da kommt ihm dieser ungewöhnliche Vogelregen natürlich gelegen. Fanatisch stürzt er sich in Verschwörungstheorien über dieses beunruhigende Phänomen, das sich ganz in der Nähe seines alten Heimatorts in der Normandie ereignet hat.

Dass Victor Pouchet nicht nur Autor ist, sondern auch Literaturwissenschaft lehrt, wird schnell offensichtlich, wenn er die Interpretation für die Besessenheit seines Erzählers schon im zweiten Kapitel einfach selbst liefert: Natürlich sucht dieser nicht wirklich nach der Todesursache der Vögel, sondern vielmehr nach der Versöhnung mit seiner eigenen Vergangenheit. Unter dem Vorwand von Recherchezwecken begibt er sich auf eine Flusskreuzfahrt die Seine hinab und begegnet allerlei merkwürdigen Gestalten. Ein pensionierter Rüstungsingenieur, eine begehrenswerte Vizekapitänin, ein musizierender Alkoholiker und eine verrückte Prophetin kreuzen seinen Weg und bleiben dabei leider genauso stereotyp, farblos und flach wie der Ich-Erzähler selbst.

Das Einzige, das Interesse an dem Protagonisten wecken könnte, ist die Tatsache, dass er und der Autor sich einen Namen teilen. In einem Interview berichtet Pouchet, dass er das Ziel hatte, ein autoportrait bestiaire, eine Art Selbstportrait in Form naturhistorischer Betrachtungen, zu schaffen. Dieses ambitionierte Vorhaben wird allerdings unter der willkürlichen Aneinanderreihung von trockenen Rechercheergebnissen begraben. So verliert sich Pouchet beispielsweise über zwanzig Seiten hinweg in der Zusammenfassung des Lebens eines vermeintlichen Vorfahren, wobei er nur alle paar Seiten daran denkt, einen humorvollen Satz einzuwerfen, der aus diesem endlosen Wikipedia-Artikel heraussticht.

Pouchets ausschweifende Schilderungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Selbstfindungs-Odyssee des Erzählers erfolglos bleibt. Auch der langersehnte Plot-Twist auf den vorletzten Seiten schafft es nicht, die Leser:innen aus der gähnenden Leere an Handlung zu reißen. Ebenso scheitert der Versuch einer ansprechenden Aufmachung des Romans: Was die halbherzig eingebauten Diagramme zu den Verschwörungstheorien in dem Buch verloren haben, bleibt genauso unklar, wie die Tatsache, warum auf dem deutschen Cover sieben verschiedene Specht-Arten zu sehen sind, obwohl es in dem Roman um tote Stare und Krähen geht.

Warum die Vögel sterben ist ein Roman, der Antworten verspricht, aber letztendlich keine liefert. Eine Road Novel, die versucht, eine originelle Metapher für die Suche nach dem Sinn im eigenen Leben zu sein. Ob es sich dabei wirklich um den von der französischen Presse enthusiastisch gelobten Geniestreich handelt, bleibt fraglich, denn mangels Spannungsbogen und rotem Faden schafft Pouchet es nicht, das Interesse seiner Leser:innen aufrecht zu erhalten.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2020 entstanden sind und gesammelt in der Septemberausgabe 2020 erscheinen.

Titelbild

Victor Pouchet: Warum die Vögel sterben. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Yvonne Eglinger.
Berlin Verlag, Berlin 2019.
191 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783827013774

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