„Ein großes Experiment“

Ein Gespräch mit Kathrin Grün, Pressesprecherin der Frankfurter Buchmesse, über den digitalen Auftritt 2020

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Die Frankfurter Buchmesse 2020 wird aufgrund der Covid19-Pandemie ausschließlich digital stattfinden. Bis kurz vor Schluss hatten die Organisatoren noch an einem hybriden Konzept festgehalten, das zumindest teilweise die Atmosphäre der weltgrößten Buchmesse vor Ort hätte bewahren können. Doch die steigenden Infektionszahlen machten eine Publikumsmesse unmöglich, vor allem, weil zahlreiche teilnehmenden ausländischen Verlage mit massiven Reiseeinschränkungen hätten rechnen müssen. Auch das Gastland Kanada verschob seine Präsenz auf das Jahr 2021. Also zog man die Reißleine und konzentriert sich nun mit aller Kraft auf den digitalen Auftritt. Und obwohl die Messe natürlich von der menschlichen Interaktion lebt, ist die erzwungene Digitalisierung vielleicht auch als Chance zu sehen, neue Wege auszuprobieren – 2021 hoffentlich wieder mit Publikum. Literaturkritik.de sprach mit der Pressesprecherin der Frankfurter Buchmesse, Kathrin Grün.

Die Buchmesse 2020 wird digital. Wie bewertet die Buchmesse, als Veranstalter, diese Entwicklung?

Die Buchmesse 2020 ist ein großes Experiment für uns – wie für alle Veranstalter, die in diesem Jahr pandemiebedingt umdenken mussten. Wir haben Ende Mai ein Konzept vorgestellt, das auf drei Säulen beruhte: Eine – in enger Abstimmung mit den verantwortlichen Behörden abgestimmte – Hallenausstellung mit Fokus auf europäische Aussteller, eine große Bühne in der Festhalle, die wir gemeinsam mit der ARD und vielen anderen Medienpartnern bespielen sowie ein Literaturfestival in der Stadt – das BOOKFEST city. Die dritte Säule des Konzeptes, der digitale Teil, bildet unser internationales Fachprogramm ab und beinhaltet eine Rechteplattform und ein Matchmaking-Tool (buchmesse.de/matchmaking), wie auch ein virtuelles Festival – BOOKFEST digital (buchmesse.de/bookfest). Dass wir die Hallenausstellung aufgrund der im September verschärften Reisebeschränkungen absagen mussten, war natürlich eine große Enttäuschung. Aber unsere Aussteller haben die Möglichkeit, sich digital an der Buchmesse zu beteiligen. Mittlerweile nutzen über 4.000 digitale Aussteller aus 94 Länder das Angebot.

Was führte letztlich zur endgültigen Absage eines hybriden Konzepts, wie man es zuletzt ins Auge gefasst hatte?

Als klar wurde, dass die Aussteller aus Frankreich, Spanien, Italien, aber auch aus Österreich und vielen anderen europäischen Ländern nicht reisen werden können, haben wir uns entschlossen, die Hallenausstellung abzusagen und stattdessen den Fokus auf unser digitales und dezentrales Programm zu legen.

Es war ja nicht viel Zeit für die Planungen, vieles musste sicherlich spontan passieren, bzw, viel Improvisation war gefragt. Wie sind Sie bei der Planung vorgegangen?

Im Zentrum unserer Überlegungen stand von Anfang an die Frage – wie schaffen wir Mehrwert und Nutzen für unsere Kund*innen, die in diesem Jahr nicht reisen können? Es ging uns darum, im digitalen Raum Angebote für die Bedürfnisse der Kund*innen zu schaffen und Begegnungsräume zu eröffnen. Anders als ein Literaturfestival müssen wir immer verschiedene Aspekte bedenken: Natürlich geht es auch darum, Reichweite für Autor*innen zu schaffen, ihnen eine Bühne zu bieten; aber unsere Aufgabe ist es auch, Handelsplattformen zu schaffen. Hier haben wir auf bereits bestehende Formate zurückgegriffen, und diese weiterentwickelt. Und: wir haben uns professionelle Verstärkung geholt.

Können Sie beschreiben, wie genau diese digitale Messe aussehen wird? Was sind die Eckpunkte, die wichtigsten Einrichtungen, welche Konzepte wurden vom physischen ins digitale übertragen, bei welchen ging es gar nicht?

Die virtuellen Angebote ersetzen natürlich nicht das Erlebnis, das eine internationale Fach- und Publikumsmesse an fünf Tagen bietet: Die Gleichzeitigkeit, die Energie, die vielen unerwarteten Begegnungen, die sich ergeben, wenn eine ganze Branche an einem Ort zusammenkommt. Dennoch ist unser Ziel, möglichst viele Branchenakteure einzubinden: Unsere Website ist ein Schaufenster für die internationale Buchproduktion geworden; wir haben ein anspruchsvolles Fachprogramm entwickelt, bei dem Meinungsführer*innen aus allen Teilen der Erde hören werden. Und wir feiern mit BOOKFEST digital eine Premiere – über 28 Stunden Programm auf zwei Kanälen, mit Stars wie Margaret Atwood, Matt Haig, Jamie Oliver, Axel Scheffler, Elizabeth Gilbert und vielen mehr.

Auch das Gastland Kanada sollte einen umfangreichen Digitalauftritt machen, jetzt hat sich das Ganze auf 2021 verschoben. Wie wird der digitale Auftritt Kanadas nun aussehen?

Kanada wird mit über 20 digitalen Events vertreten sein: Drei literarische Mini-Dokumentationen aus Kanada bringen uns kanadische Autor*innen und ihre Themen näher, unter anderem werden wir von Kim Thúy, Esi Edugyan, David Alexander Robertson oder Jocelyne Saucier hören. Ausschnitte aus diesen Dokumentationen werden im Rahmen des BOOKFEST digital unter buchmesse.de/digitale-buchmesse/live-programm/bookfest-digital gezeigt, die Dokumentationen in voller Länge sind ab dem 14. Oktober 2020 unter werden canadafbm2020.com/de am 14. Oktober verlinkt. Besonders gespannt bin ich auf ein 60-minütiges Exklusivgespräch mit Margaret Atwood, einer der berühmtesten kanadischen Autorinnen, es wird ebenfalls im BOOKFEST digital ausgestrahlt. ARTE wird im Oktober einen Schwerpunkt zu Kanada ausstrahlen, und ist auch fast täglich mit Veranstaltungen auf der ARD-Buchmessenbühne präsent. Ein Highlight ist für mich die Begegnung von Chilly Gonzales und Malakoff Kowalski „Talking about taste“ (Freitag, 16. Oktober 2020, buchmesse.de/node/351169).

Für die Verlage ist das eine schwierige Situation, denn viele Bücher sind bereits veröffentlicht. Wie sehen Sie die Situation der Verlage?

Es sind tatsächlich rund 250 deutschsprachige Neuerscheinungen zu Kanada in 132 Verlagen erschienen, das freut mich ganz besonders. Zahlreiche Verlage haben sich entschieden, ihre Titel zu verschieben, so dass wir über viele Monate Literatur aus und über Kanada entdecken können. Die Liste aller Neuerscheinungen findet sich hier: buchmesse.de/files/media/pdf/NEL%20Kanada_September_2020.pdf

Verschieben sich dann die anderen Gastland-Auftritte auch um ein Jahr; Spanien war ja glaube ich als nächstes dran?

Ja, alle Gastlandauftritte verschieben sich um ein Jahr: Spanien wird 2022 unser Ehrengast sein, Slowenien 2023 und Italien 2024.

Meinen Sie, die Buchmesse wird aus dem digitalen Auftritt auch eine positive Entwicklung mitnehmen können? Können Sie sich vorstellen, einige der digitalen Konzepte auch in Zeiten weiter zu entwickeln, in denen Messen wieder möglich sein werden?

Wir sind zunächst einmal sehr gespannt auf das Feedback unserer Kunden: Welche Angebote funktionieren gut, wo können wir besser werden? Mittel-und langfristig werden wir überlegen, welche digitalen Elemente sich mit einer physischen Messe optimal verzahnen lassen. Beide Komponenten – das physische Element und die digitalen Angebote, sollen sich ergänzen.

Mit Kathrin Grün sprach Sascha Seiler