Medien und ihre Menschen

Sabine Trepte und Kollegen legen mit „Medienpsychologie“ ein lesenswertes und auch für Nicht-Psychologen verständliches Buch über die vielfältigen psychologischen Verknüpfungen von Mediennutzung und deren Nutzern vor

Von Martin JandaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Janda

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wirft man einen Blick in die Vergangenheit journalistischer Diskurse, könnte man den Eindruck bekommen, dass das Kompositum der Wörter „Medien“ und „Psychologie“ einen über alle Maßen traurigen Forschungsbereich referenziert. Denn Medienpsychologie scheint stets nur im Zusammenhang mit der Medienwirkungsforschung aufgrund sozial unerwünschter oder gar tragischer Ereignisse öffentlich in Erscheinung zu treten: Stumpften Horrorfilme in den 1970er und 1980er Jahren die Zuschauer angeblich emotional gegenüber ihrer Umwelt und Mitmenschen ab, so gerieten spätestens mit dem Amoklauf zweier Schüler an der Columbine Highschool im Jahr 1999 endlich Heavy-Metal-Musik und gewalthaltige Videospiele in den Fokus öffentlicher Debatten, da diese scheinbar ihr Publikum zu aggressiven – einschließlich mörderischen – Handlungen anstachelten. Momentan trendet eher die Kritik an sozialen Medien, da diese durch mangelnde Kontrolle dort getätigter Äußerungen und algorithmisierte Anpassung ihrer Feeds Nutzer in unreflektierten Echokammern einschlössen und zu Radikalisierung führten.

Dass Medienpsychologie allerdings mehr zu leisten vermag als sich nur an schädlichen Effekten der Mediennutzung abzuarbeiten, macht das Lehrbuch von Sabine Trepte, Leonard Reinecke und Johanna Schäwel mehr als deutlich. Denn zum einen stellt die Medienwirkungsforschung nur einen Teilbereich der Medienpsychologie dar, zum anderen kann Medienkonsum durchaus sehr positiv zu bewertende Effekte mit sich bringen.

Das erste Kapitel grundiert als Einstieg ins Thema zunächst die begriffliche Sachlage, damit die Leser wissen, was unter Medien, Psychologie und Medienpsychologie zu verstehen sei. Das zweite Kapitel führt knapp, aber für die noch folgenden Schilderungen ausreichend in die psychologische Methodenlehre ein. Dieses Kapitel dürfte vor allem für ein fachfremdes Publikum von Relevanz sein, da Methodenlehre in der Regel einen zentralen Baustein der ersten Semester eines Psychologiestudiums bildet. In diesem Kapitel lernen die Leser unter anderem, wie der Ablauf einer empirischen Forschungsstudie von Hypothesenbildung bis Datenauswertung auszusehen hat, auf welche Weise Daten erhoben werden können und innerhalb welcher Grenzen Daten zu interpretieren sind. Damit verdeutlicht dieses Kapitel zudem en passant einem fachfremden Publikum, dass Psychologie nicht das ‚Laberfach‘ ist, als das es bisweilen missverstanden wird.

Nach dieser allgemeinen psychologischen Einführung wird es in den folgenden Kapiteln schließlich forschungsnah. Da sich die Medienpsychologie mittlerweile stark ausdifferenziert hat, wären drei mögliche Perspektiven zur inhaltlichen Strukturierung denkbar, die sich aus den drei relevanten Dimensionen der Medienpsychologie ergeben: 1.) Zeitliche Relation von Mensch und Medienkonsum (Selektion, Rezeption, Wirkung); 2.) Mediengattung (Film, Videospiel, soziales Netzwerk); 3.) Psychologisches Konzept (Kognition, Emotion, Handeln). Die Autoren haben sich jedoch nicht für eine, sondern in unterschiedlicher Gewichtung für alle drei Perspektiven entschieden: In den Kapiteln 3 bis 5 wird die Forschung an Medienselektion, -rezeption und -wirkung referiert, also das Vor, Während und Nachdem des Medienkonsums; Kapitel 6 und 7 fokussieren die Forschung an computervermittelter Kommunikation und Mensch-Computer-Interaktion; das achte Kapitel setzt sich mit Lernen, Wissen und Medienkompetenz auseinander. Jedes Kapitel wird hierbei mit einem kurzen inhaltlichen Überblick eingeleitet und mit einer Zusammenfassung, Literaturempfehlungen und Fragen zur Selbstprüfung abgeschlossen. Definitionen, Merksätze und prägnante Beispielstudien sind in vom Fließtext abgesetzten Kästen zum leichteren Wiederfinden hervorgehoben.

Theoretisch ist das Buch sehr breit aufgestellt. Jedes Kapitel wartet mit zwischen drei bis sieben Unterkapiteln auf, in denen jeweils mindestens eine neue Theorie, Modell oder Konzept kurz vorgestellt wird, das als Grundlage für die hiernach präsentierten Befunde diente. Erwartungsgemäß leidet unter einer solchen theoretischen Breite die praktische Tiefe: In den vorgetragenen Beispielbefunden finden sich selten die in der Primärliteratur obligatorischen Angaben zu experimentellen Designs, Datenerhebungsmethoden, Stichprobengrößen und Signifikanzniveaus – ebenfalls fehlende Angaben zu Effektstärken lassen sich hingegen auch damit erklären, dass diese bereits in der Primärliteratur nicht ausgewiesen werden. Für Studenten, die mehr erfahren und sich in die Untiefen der Forschung stürzen möchten, bietet jedoch das vierzigseitige Literaturverzeichnis einen überschäumenden Quell an Primärliteratur.

Das reiche Literaturverzeichnis ist freilich ein Ergebnis der hervorragenden Recherche der Autoren, die mit wenigen Ausnahmen aktuelle Studien ab der Jahrtausendwende herangezogen haben. Bezüglich der Quellen wäre es jedoch erfreulich gewesen, wenn sich die Autoren bei den literarischen Verweisen nicht allzu sklavisch an die APA-Richtlinien gehalten hätten. Mag der übliche, auf Autor und Jahreszahl beschränkte Verweis bei Artikeln sinnvoll sein, so verfehlt er seine Nützlichkeit bei Monografien – hier wären zusätzliche Seitenangaben sehr hilfreich, da das Auffinden von referenzierten Passagen mit Zunahme der Seitenanzahl mühseliger wird.

Neben diesen beiden formalen sei der Vollständigkeit halber noch ein inhaltlicher Kritikpunkt zu erwähnen. Denn obwohl das Buch einen Reigen an mittlerweile klassischen als auch neueren Theorien, Modellen und Konzepten heranzieht und darstellt, blieb das General Learning Model (GLM) von Buckley und Anderson völlig unerwähnt. Dies ist umso irritierender, da zum einen dessen ‚Vorgänger‘, das General Aggression Model (GAM) von Anderson und Bushman, Einzug ins Buch gefunden hat. Zum anderen bringen die Autoren mit dem GAM die Schwierigkeiten der Forschung an langfristigen, negativen Effekten von Videospielen nahe und entheben die bloßen Gewaltdarstellungen in Videospielen ihrer Verantwortung als monokausale Erklärung für eine mögliche langfristige Aggressivitätssteigerung: Derartige negative, aber eben auch positive Effekte von Videospielen und anderen Medien deuten sich als Resultat von komplexen Lernprozessen an, so dass es erfreulich gewesen wäre, das auch namentlich neutralere GLM einzubeziehen.

Diese als verzeihlich zu bezeichnenden Kritikpunkte ändern jedoch nichts daran, dass das Buch eine eingängig lesbare und dank der guten Auswahl an Literatur eine gelungene Einführung in das Thema Medienpsychologie bietet, die Komplexität und Breite des Forschungsfelds vermittelt und den aktuellen Forschungsstand aufzeigt. Ob der zahlreichen Theorien und Konzepte, die unter anderem aus den Feldern der Sozial-, Persönlichkeits-, Emotions- und Lernpsychologie entstammen, lässt sich das Buch sogar als geeignete Einstiegslektüre für allgemein an Psychologie Interessierte werten.

Titelbild

Sabine Trepte / Leonard Reinecke / Johanna Schäwel: Medienpsychologie.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2021.
289 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783170391543

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