Weltenbummlerin und Grenzgängerin

Lieve Joris begegnet der Welt - Pam Houston nur sich selbst

Von Sabine BoomersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Boomers

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Magie, ein wenig Melancholie und viel Gelassenheit schwingen in Lieve Joris unaufgeregten Erzählungen mit, in denen sie ihren Lesern eine Fremde eröffnet, eine "in sich geschlossene Welt, in die die Asphaltstraße einen Sprung machte." In Einklang mit einer mehrdeutigen Welt und der Ausbreitung interkultureller Kommunikation entwirft Joris ein changierendes Mosaik von Zentrum und Peripherie, in dem die Auswirkungen des Kolonialgeschehens zumindest untergründig stets präsent sind, bringt mit bemerkenswerter Souveränität die viel zitierten 'Stimmen der Anderen' zum Ausdruck, ohne dabei sich selbst als Reisende, Gesprächspartnerin oder Autorin zu verleugnen. Die als Nachfolgerin des famösen Reisefabulisten Bruce Chatwin gepriesene Autorin scheint sehr viel näher an das Faszinosum 'Fremde' heranrücken zu können als der Luxusnomade. Und sie gibt sich um vieles bescheidener, wenn sie sich einen Schritt weiter in das 'Herz der Finsternis' wagt und uns mit ihren Phantasmagorien konfrontiert, beispielsweise wenn irgendwo in Afrika ein Wald wieder zum Leben erwacht, der, wie Joris schreibt, "in meiner Erinnerung weit zurücklag, der afrikanische Wald aus meiner Jugend, in dem Tamtams trommelten und Männer in Baströcken um ein brodelndes Gebräu in einem schwarzen Kessel tanzten. Ich schloß die Augen, um die Bilder zu vertreiben." Doch solche Passagen, in denen die Autorin den Blick ihrer Leser auf ihr Selbst richtet, sind selten in diesen eher verhaltenen Geschichten aus Trinidad, Ägypten oder dem Senegal, die in dem neuen Sammelband, "Die Sängerin von Sansibar", zusammengeführt sind und in einer schlendernden, unprätentiösen Sprache erzählt werden. Weniger als eine vorbeiziehende Reisende mutet Joris vielmehr als eine verweilende Besucherin an, die sich auf einen anderen kulturellen Lebensrhythmus einzustimmen sucht; so sehr, dass ihre Leser häufig nur en passant den Ort des Geschehens oder die Nationalität der Protagonisten erfahren.

Von einer zusehends vielstimmigen Welt wird hier erzählt, die sich durch das Reisen eröffnet und in der sich weder die westliche Welt, aber genauso wenig ihr Gegenüber zum uneingeschränkten Vertreter eines Wissens über den jeweils Anderen deklarieren kann. Ausgehend von einem Netz der Abhängigkeiten wird ein Kulturkontakt erprobt, der nicht einseitig dominiert ist, sondern einer wechselseitigen Transformation gerecht zu werden versucht. Auch Joris bedarf, wie so viele Reisende der westlichen Welt, der ethnologisch Fremden. Sie bedarf ihrer, um sich vor dem Horizont einer selbst-reflexiv gewordenen Moderne positionieren zu können, Vorbildcharaktere zu finden, alternative Weltdeutungen zu erschließen, zu schreiben. Aber indem sie ihren Gesprächspartnern auf deren alltäglichen praktischen und gedanklichen Wegen folgt, überläßt sie sich einem Fluss der Umwege, Zufälle und Alternativen. Eine sich gegenseitig erfordernde Gastfreundschaft entfaltet sich in den Dialogen: Die abendländische Reisende und ihr außereuropäisches Gegenüber - das sind zwei entrückte Subjekte inmitten einer globalisierten Welt, die beide einer Vergewisserung durch die Stimme des Anderen als Medium bedürfen, um sich - in ihrer Fremdheit, in einem inneren Dialog - beschreiben und deuten zu können.

Diese sensibilisierte Form der Präsentation ist wohl vor dem Hintergrund eines postmodernen Abschieds von der Vorstellung abgegrenzter und authentischer Kulturen zu lesen. Die atmosphärischen Texte heben jedoch ebenfalls die Zweifel und den Zwiespalt derjenigen hervor, die tradierten Riten und drängenden Modernisierungsprozessen gleichermaßen gerecht werden wollen und müssen. Die Protagonisten erzählen von der Schwierigkeit, sich von einer Vergangenheit zu lösen, die zu einem Anliegen der vorherigen Generation geworden zu sein scheint, und nicht zuletzt durch diese weiterhin - beunruhigend - gegenwärtig wirkt. Eine ruhelose Existenz im Schnittpunkt von Tradition und Moderne wird zur Debatte gestellt, ein irritiertes Leben inmitten einer Vielzahl von politischen, religiösen und mythischen Wirklichkeiten.

Dass es angesichts der Relativität der eigenen Verortungen nur um Versuche einer Annäherung gehen kann, die Beschreibung fremder Kulturen in einer Spannung zwischen Distanzierung und Redenot gefangen ist, das verdeutlichen namentlich die intensiven Porträts von Nagib Machfuß und V.S.Naipaul. Sie sind besonders gelungen, diese nacherzählten Gespräche, in denen ein mehrfach gebrochener Blick auf das Abendland und sein fremdes Anderes die Autorin, ihre Gesprächspartner und Leser gleichermaßen in eine Dynamisierung ihrer Positionen versetzt, auch wenn sie bei weitem nicht an die kühle Eleganz des literarischen Stils von Chatwin heranreichen, der stets ein gewandter Beobachter der Situation geblieben ist. Aber, anders gelesen: Gerade in der ein wenig ungelenken Sprache von Joris offenbaren sich, womöglich hinter dem Rücken der Autorin, die Hindernisse und Unzulänglichkeiten, wenn Fremdes und Eigenes sich in fließenden Grenzen vorsichtig berühren. Für die Reisende Joris mag die Frage Naipauls als Antwort gelten: "'Ich bin ein Zuhörer', sagt er, 'und du, was bist du?'"

Ganz anders: Pam Houston, die sich gedrängt sieht, ihre "Wildnis im Herzen" in vielerlei abenteuerlichen Vereinzelungstaten unter Beweis zu stellen. Hier geht es um das Wollen, das Alleinsein, die Gefahr und das Ich - und das alles ganz GROß geschrieben. In ihren rund 25 Episoden sucht sich die Heldin und Erzählerin preiszugeben - gegenüber einer zur Übermacht stilisierten Natur, sei es in den Rocky Mountains, den Anden, in Bhutan oder in Alaska, und gegenüber ihren Lesern, denen im Rekurs auf psychoanalytische Versatzstücke die Aufregungen der Houstonschen Vita nähergebracht werden sollen.

Die Sicherheit des bürgerlichen Alltagslebens und die Unsicherheit ihrer unerquicklichen Kindheit stetig anprangernd, ist hier eine Heldin unterwegs, die ihre Leser akribisch über ihre Leistungen informiert. "Vierzig Wildwasserfahrten, dreitausend Meilen durch unberührte Natur, dreiundvierzig Länder auf fünf Kontinenten", und vieles mehr und das alles in nur fünf Jahren. Dann auch noch das: "Zweimal wurden Suchtrupps nach mir ausgesandt." Mehr noch: "Viermal wurde ich aufgefordert, mich auf eine Notlandung vorzubereiten!" Die Heldin hat es schwer, ihr Weg führt sie über Berge, durch Wüsten, in Stromschnellen, manchmal in Begleitung schwacher und überraschter oder aber wilder und schweigsamer Männer, deren Verpanzerungsstrategien sie sich zu eigen macht. Und, nicht zu vergessen, die besten Begleiter schlechthin, entweder auf Reisen dabei oder aber irgendwo treulich wartend: die zahlreichen Hunde, denen mehrere Erzählungen gewidmet sind und in deren Psyche Houston sich trefflich zu versetzen mag. Wie die Autorin, so ihr Hund: "Fred brüstet sich damit, ein absolut autonomer Hund zu sein."

Schnell erkennbar denn auch, dass im Mittelpunkt der Gratwanderungen die Realisierung individueller Autonomie steht. Pam Houstons risikomaximierte Reisen zielen auf die Erfahrung eines besonderen Kicks, auf eine Steigerung der Erlebnisintensität und dies ist explizit an das Erleben von Ängsten und deren Meisterung gebunden. Mit dieser Lust am Widerfahrnis wird geschickt demonstriert, inwieweit intra-individuelle Kontrolle über das eigene Leben sowie die soziale und natürliche Umwelt erlangt werden kann. Die Autorin wendet ihre nomadische Unruhe zu einem Arbeitswillen, der sich nach dem Motto 'schneller-höher-weiter' austobt und gleichzeitig in einem beflissenen Training der Langsamkeit bekämpft wird. Die agonal ausgerichtete Begegnung mit der Natur, mit Anderen ist ein Kampf gegen sich selbst, der zumindest episodisch zu einer Entmündigung des Subjekts führen soll. In maximalen Gefahrensituationen auf sich gestellt, erlebt die Abenteuerin, die an nichts glaubt als an sich selbst, einen flüchtigen Sinnzusammenhang, findet im mimetischen Anschmiegen an ihr Widerfahrnis zu einer Übereinstimmung von objektiven Gegebenheiten und individuellem Schicksal.

Bedauerlich, diese Aufführung einer Semantik der Innerlichkeit mittels explizit performativer Formulierungen wie "Ich habe erlebt/gemacht/getan": Denn es ist nicht zu übersehen, dass die Autorin an einer geradezu sympathischen Sucht der Unruhe leidet, die sie in einem der letzten Kapitel mit eher bilderreichen Beschreibungen "aus fünf Kontinenten" zum Ausdruck zu bringen vermag. Zumindest hier zeigt es sich - neben der Sucht eines lebensgefährlichen Abenteuertums, an dem Houston so hart arbeitet, es aufzugeben - die Suche nach einem Anderen, das nicht nur "a little more about me", so der amerikanische Originaltitel, zu sein verspricht, sondern "meine tiefe Sehnsucht nach dem Unbekannten und Unerwartetem, das zu jeder Reise dazugehört, meine Begeisterung, beim Anblick unaussprechlicher Schriftzüge auf der Nase eines ausländischen Flugzeugs oder wenn mein Paß nach frischer Tinte riecht."

Lieve Joris und Pam Houston, das sind zwei Reisende, die sich in entgegengesetzte Richtungen zu bewegen scheinen. Doch was ihnen gemeinsam ist, das ist eine drängende Suche nach angemessenen Strategien des In-der-Welt-Seins. Zweifelsfreie Antworten finden sich bei beiden nicht, stattdessen kann bei ihnen nachgelesen werden, wie es sich lebt, und reist und schreibt, wenn die Konfrontation mit Fremdheit zu einem existenziellen Thema des Lebens kultiviert wird.

Titelbild

Pam Houston: Die Wildnis im Herzen. Aus d. Amerikan. v. Ulrike Wasel u. Klaus Timmermann.
Piper Verlag, München 1999.
283 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3890291384

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Lieve Joris: Die Sängerin von Sansibar. Reiseberichte aus einer magischen Welt. Aus d. Niederländ. v. Maurus Pacher.
Malik Verlag, München 2000.
216 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3890291481

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