Wunden wie bunte Schuppen

Maria Bidians Roman „Das Pfauengemälde“ changiert gekonnt zwischen gegensätzlichen Emotionen

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein halbes Jahr nach dem Debütroman Wir sind hier für die Stille der 35-jährigen Autorin Dorothee Riese nimmt uns wieder eine junge Frau mit auf die literarische Reise nach Rumänien. Wieder ein erzählerischer Erstling, wieder eine Handlung mit autobiografischem Fundament, und wieder eine Suche nach den eigenen Wurzeln.

Die Protagonistin Ana ist jung, hübsch und erfolgreich in der Filmbranche tätig. Der Tod ihres Vaters (er wurde in der Hütte eines Professors in Rumänien aufgefunden) markiert eine Zäsur. Sie erlebt Angstschübe und kann nicht mehr fliegen. Folgerichtig macht sie sich per Bahn auf die Reise nach Rumänien, in die Heimat des Vaters und damit auf die Suche nach dem „Rumänienhaus“ und dem von vielen familiären Legenden umwobenen Pfauengemälde.
Autorin Maria Bidian (Jahrgang 1988) studierte in ihrer Geburtsstadt Mainz Literaturwissenschaft und Philosophie sowie später in Hildesheim Literarisches Schreiben. Sie lebt und arbeitet in Berlin und im rumänischen Sibiu, wo sie ein altes Bauernhaus renoviert.

Als innerlich gebrochenen und gedemütigten Mann, der in Rumänien Philosophie studiert hatte und in Deutschland als der arme Rumäne behandelt wurde, hat Ana ihren Vater kennengelernt.

Wenn ich die ganzen Geschichten nur aus meinem Körper herausschütteln könnte, dachte ich und sah mich auf der Terrasse stehen, die alten Wunden fielen wie bunte Schuppen von meiner Haut. Aber was war ich dann noch, ohne die vielen Geschichten?

Trotz ihrer deutschen Mutter leidet auch Ana unter dem Stigma des Migrationshintergrunds. In einer Kindheitserinnerung heißt es: „Als die Lehrerin meinen Namen vorlas, öffnete ich den Mund, aber sie sagte nur: ‚Da fehlt ein N‘, schrieb etwas auf ihr Papier und las weiter.“

In Rumänien begibt sich die erwachsene Ana auf Spurensuche, erfährt von einem Onkel, der als junger Mann erschossen wurde, hört Erinnerungen von Tanten, Großmüttern und Cousins und Cousinen. All die Berichte der weit verzweigten (und dadurch bisweilen auch etwas unübersichtlichen) Verwandtschaft finden in Nicu, Anas Vater, das Bindeglied. Unter Diktator Ceausescu wurde er als anti-kommunistischer Widerstandskämpfer im Gefängnis gefoltert und musste auch ein knüppelhartes Arbeitslager erdulden.

Die Ich-Erzählerin erlebt aber auch eine ganz andere Seite Rumäniens, von der Maria Bidian leidenschaftlich zu erzählen weiß. Ana lernt rumänische Dichterinnen und Dichter kennen und schätzen, sie besucht Tanz-Clubs, wird mit Bräuchen und regionalen Speisen bekannt und genießt bunte Familienfeste in Rumänien. Trotz dieses leicht folkloristischen „Touchs“ hält Maria Bidian die erzählerische Balance und lässt ihre Erzählung nicht in den Kitsch abgleiten. Sie schafft es immer wieder, die Erzählmotive stringent miteinander zu verknüpfen – die Rekonstruktion der eigenen Wurzeln, die Suche nach dem familiären Erbstück, das titelgebende mysteriöse Pfauengemälde, und die Erkundung der väterlichen Biografie.

Als sie ihren zuletzt stark introvertierten Vater Nicu bei der Arbeit mit seinen geliebten Briefmarken beobachtete, heißt es: „Oft sah ich ihn spät am Abend mit der Pinzette darüber gebeugt sitzen, als könnten die bunten Papierstücke das zurückbringen, was er verloren hatte: seine Heimat, seinen Wohlstand, seine Anerkennung.“

Das Pfauengemälde changiert in seinem Erzählton wohl dosiert zwischen Melancholie und Lebensfreude, zwischen Trauer über familiäre Verluste und wieder gewonnener Lebensfreude.

Am Ende des Romans resümiert Protagonistin Ana vielsagend: „Es stimmte, ich hatte einen Abschluss gefunden, aber zu Ende war es nicht.“

Titelbild

Maria Bidian: Das Pfauengemälde. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2024.
Online-Ressource, 320 Seiten (epub),
ISBN-13: 9783552075320

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