Mondäne Liebesspiele

Katrin Hollands Roman „Man spricht über Jacqueline“ von 1930 ist in einer Neuausgabe erschienen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der von Magda Brinkmann und Nicole Seifert herausgegebenen Reihe von Romanen von Frauen, die seit zwei Jahren bei Rowohlt im wohlfeilen Taschenbuch erscheint, ist nun ein weiterer Text der Weimarer Republik erschienen: Katrin Hollands Man spricht über Jacqueline (1930 in der Erstausgabe). Der zweite Roman also aus den kurzen, literarisch goldenen Jahren der Weimarer Republik, in denen ja auch Marieluise Fleißers Mehlreisende Frieda Geier (1931), Irmgard Keuns Gilgi, eine von uns (1931) und Das kunstseidene Mädchen (1932), Vicki Baums Menschen im Hotel (1929) oder etwa Anna Seghers‘ Aufstand der Fischer von St. Barbara (1928) erschienen, um nur einige Highlights zu erwähnen.

Katrin Holland (geboren als Heidi Huberta Freybe, wohl 1910–1981) ist im Vergleich zu diesen Autorinnen eher unbekannt, was allerdings angesichts dessen, dass sie bei Erscheinen des Romans erst 20 Jahre alt war, bis 1933 kein weiterer großer Roman in Deutschland erschien und sie anschließend ins Exil ging, kaum wundert. Die literarische Karriere Hollands startete erst mit zahlreichen Publikationen bei Orrell Füssli in Zürich und erreichte schließlich mit dem Pseudonym Martha Albrand in den USA ihren Höhepunkt – erst im Spionage-, dann im Krimigenre. Dass es unter solchen Umständen am literarischen Ruf hapert, kann kaum wundern, ist aber alle Aufmerksamkeit wert. Das Nachwort zum nun erschienenen Roman von Magda Birkmann ist nicht zuletzt deshalb auch hervorzuheben, weil es einige Fehler des Wikipedia-Eintrags korrigiert.

Hollands Text wurde – so Birkmann – zuerst in der Ullstein-Tageszeitung Tempo in Fortsetzungen gedruckt (nicht in Die Dame), bevor er dann 1930 in der Gelben Reihe bei Ullstein erschien, in der vor allem Unterhaltungsliteratur veröffentlicht wurde. Die Publikationsorte des Textes zeigen recht deutlich an, als was er in seiner Zeit gesehen wurde: Als moderne Unterhaltung, die Gegenwartsthemen so aufarbeitete, dass sie breit rezipiert werden konnten und sollten. Tempo war dafür das richtige Blatt, und die Gelbe Reihe der angemessene Ort.

Der Roman erfüllt denn auch gleich solche Erwartungen: Im Zentrum steht eine im Kloster aufgewachsene, vermögende junge Frau, Jacqueline Mamroth, genregerecht Jack genannt, die sich in der mehr oder weniger sorgenfreien mondänen Gesellschaft die Zeit vertreibt. Ein Girl also, dass das Leben genießt und sich um Konventionen nicht scheren muss, weil es finanziell unabhängig und – die Eltern sind tot – ungebunden ist. In welcher Liga dieser Traumroman spielt wird erkennbar, wenn es um die Schauplätze geht und um Ausstattungen: Wohin auch die Reise geht Berlin, London, Paris, an die Urlaubsorte in den Alpen oder am Mittelmeer, das Cabriot kommt mit. Wohnungen und Häuser mietet oder kauft man, wie man sie braucht. Was kostet die Welt?

Jacks Ruf eilt ihr voraus, sie ist mit allem und jedem befreundet, ihre Liebschaften wechselt sie ständig und weiß, sich in den gehobenen Kreisen zu bewegen. Hier ist man schön, sportlich, gut gekleidet, geht auf Reisen, fährt Automobil, trifft sich zu Tee und anderem, gibt sich also den Genüssen, die das Leben zu bieten hat, hin, ohne dass das Konsequenzen hat. Ein Filmleben, das für das Debut einer wohl zwanzigjährigen Autorin immerhin erstaunlich gut durchgearbeitet ist.

Jack gehört mithin genau zu den Frauen, die Rachilde – eine der Protagonistinnen der frühen Frauenbewegung – in ihrem 1928 in Frankreich erschienenen Manifest gegen den Feminismus so heftig verabscheute: junge Frauen, die alles haben wollen und das auch noch bekommen, gelten ihr nicht als emanzipiert. So kann frau sich irren.

Jacks Leben plätschert nun auch munter vor sich hin, bis sie dem Mann ihres Lebens begegnet, Michael Thomas. Der sieht gut aus, kommt grad aus Afrika zurück (eine gescheiterte Ehe), ist ledig, hat Geld und nur den Schönheitsfehler, dass er von den Neuen Frauen und deren Lebenswandel nichts hält. Er hätte also gern was Traditionelles, Festes und Treues zur Frau. Ein Profil, dem Jack nun völlig widerspricht.

Was tun? Am besten man verleugnet die Vergangenheit, das Gerede, das eine J. Mamroth umgibt, schreibt Jack ihrer Schwester June zu, die es praktischer Weise gibt und die bis dahin in der mondänen Gesellschaft nicht von sich hat reden machen. Sehr praktisch. Die Schwester spielt auch mit. Die Ehe wird eingegangen und gelingt solange, bis Michael Jacks Schwester June kennenlernt, die viel eher seinem Beuteschema entspricht und die sich flugs in den Mann der Schwester verliebt et vice versa. Soll heißen, der Betrug Jacks fliegt auf, Michael ist pissed und trennt sich, die tief enttäuschte Jack nimmt sich – standesgemäß – mit einem Reitunfall das Leben.

Eine Riesenschmonzette? Keine Frage. Dabei schließt Holland mit dem Text an eine Reihe von Romanen an, die das Thema Liebe mehr oder weniger unbehelligt von wirtschaftlichen Erwägungen behandelt wissen wollen. Ruth Landshoff-Yorcks Romane gehören dazu und auch Texte wie Wilhelm Speyers Charlott – etwas verrückt (1927). Was die Popularität des Konzeptes demonstriert und auch darauf verweist, dass es eine genauere Betrachtung verdient.

Aber anders als es Magda Birkmann in ihrem Nachwort meint, hat der Text mit den Romanen etwa Fleißers oder Keuns wenig bis gar nichts zu tun. Selbst der Vergleich mit Joe Lederers Das Mädchen George (1928) ist nicht treffend. Und zwar vor allem deshalb, weil die Protagonistinnen dieser Romane sich eben nicht nur mit der Frage auseinandersetzen müssen, was sie mit der „wahren Liebe“ anfangen sollen, sondern auch noch, wie sie überhaupt in einer Gesellschaft bestehen sollen, die ihnen wenig Sicherheit bietet und in der sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, und in einer männlich dominierten Welt ihren Platz finden sollen. Das Traumspiel Hollands, das ja durchaus amüsant gemacht ist, spielt nicht in derselben Klasse, was hier vor allem sozial gemeint ist. Ihre Katastrophe – hier mit maximalem Ausgang – suspendiert genau gesehen sogar das Konzept des Textes, soweit es hier um die Konfrontation des Girl-Typus mit der Realität der Partnerbildung gehen sollte. Fleißers Frieda Geier lebt auch ohne Gustl Amricht weiter, Gilgi trennt sich von ihrem Martin und bricht schwanger nach Berlin auf, Doris aus dem „Kunstseidenen Mädchen“ entscheidet sich für die Kameradschaft, um nicht in der Prostitution zu enden. Sie können und wollen sich allesamt das Ende Jacks nicht leisten, erst recht nicht in der Fassung des Romans – wie Birkmann berichtet, sollen die beiden Verfilmungen denn auch das Happy End gewählt haben, das Ehepaar söhne sich in beiden Fassungen am Ende aus. Wahre Liebe triumphiert – was am Ende auch langweilig ist.

Wie immer in den Ausgaben der Reihe wurden historische deutschsprachige Texte auf die neue Rechtschreibung umgestellt und Fehler stillschweigend korrigiert. Statt der Kennzeichnung nicht gewünschter Bezeichnungen, von der Verlag und Herausgeberinnen nicht abweichen wollen (der Effekt ist, das kann nur wiederholt werden, kontraproduktiv), ließen sich – wenn schon denn schon – unbedenkliche Formen verwenden wie Schwarze, Afrikaner oder etwa „unstetes Leben“ für „Zigeunerleben“. Die Texte werden eh aus ihrer historischen Gestalt gelöst, da kann man auch in dieser Art eingreifen, wobei sich eine Kennzeichnung empfehlen würde. Die Forschung mag sich dann an die historische Ausgabe halten, auch wenn die nicht gut greifbar ist.

Titelbild

Katrin Holland: Man spricht über Jacqueline.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2024.
221 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783499016011

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch