Erinnerungen? Welchen Erinnerungen?

Josephine Bakers Memoiren bei Reclam

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Josephine Baker, die große Josephine Baker: Auch heute noch, fünfzig Jahre nach ihrem Tod, gehört Baker den beeindruckendsten Showgrößen des 20. Jahrhunderts. Eben nicht nur weil sie unerhörte und schockierende Auftritte auf den Bühnen Europas absolvierte. Der Bananenrock, den sie bei ihren frühen Auftritten trug, die exaltierten Tänze, die sie zeigte, die Posen, die sie auf zahlreichen Fotografien präsentierte, die Grimassen, die sie schnitt, das ausufernde, erst Pariser, dann europäische Nachtleben, das sie bereicherte, zeigen dabei nur einen kleinen Teil des Phänomens Baker, auch wenn vieles davon bis heute ikonografischen Charakter hat. Denn Baker war darüber hinaus auch eine außerordentlich aktive Protagonistin der modernen Konsumkultur – als eine der ersten internationalen Stars promotete sie eigene Mode- und Kosmetikprodukte. Und vor allem war sie eine der wichtigsten internationalen Akteure der Emanzipation von Schwarzen, in Europa und eben in den USA, aus denen sie stammt.

1906 in St. Louis in den USA geboren, 1975 in Paris verstorben, stieg Baker als kaum Zwanzigjährige in Frankreich zu einem der bekanntesten europäischen Showstars auf. Wo immer sie auf auftrat, faszinierte sie das Publikum, so oder so.

Im Jahr 1926 kam sie auch nach Berlin, mit nicht minder großem Erfolg. Und um diesen Erfolg zu verstetigen, unternahm Baker unter anderem ein Manöver, das auf den ersten Blick für eine sich so illiterat gebende, aus prekären Verhältnissen stammende junge Tänzerin erstaunlich wirken mag, eigentlich aber ebenso konventionell wie konsequent ist: Sie veröffentlichte ihre Memoiren.

Bereits ein Jahr nach ihrem Berliner Debut erschienen die Memoiren des Schwarzen Sterns Europas in Deutschland. Das ging rasch und war konsequent, denn Baker bespielte in ihrer Karriere in beispielloser Manier alle öffentlichen Kanäle, so sehr, dass ihre Biografie, wie Dieter Kühn seinerzeit meinte, selbst in den intimsten Details öffentlich war und für die Öffentlichkeit bestimmt. Bis hin zu den Fotos aus ihrem finanziellen Niedergang, der die einstmals reiche Showgröße völlig ruiniert und niedergeschlagen zeigte, lebte Baker ihr Leben unter der Beobachtung der Öffentlichkeit und für diese Öffentlichkeit.

Die große Zahl ihrer Memoiren überraschen dennoch. Insgesamt fünf sollen es gewesen sein, die sich über die fünfzig Jahre ihrer öffentlichen Existenz verteilen. Denn ein Buch übers eigene Leben zu schreiben, um der großen Nachfrage auf Belastbares zum Biografischen nachzukommen, ist das eine, aber gleich fünf Versionen in jedem biografischen Stadium zu liefern, ist dann doch recht viel des Guten und zeugt davon, wie viel Baker vom Medium Buch hielt oder eben auch, unter welchem Rechtfertigungsdruck sie sich wähnte.

Baker ließ sich dabei immer wieder unterstützen, wie im Fall der Memorien von 1927 durch den französischen Publizisten Marcel Sauvage, der auch an einer zweiten Fassung des frühen Werks mitwirkte, die nun im Reclam-Verlag in der Übersetzung von Sabine Reinhardus und Elsbeth Ranke erschienen ist. Diese Fassung, zu der die Baker-Biografin Mona Horncastle ein Nachwort beigesteuert hat, in der sich die Angabe zu Bakers Memoirenschar findet, trägt im Deutschen den vielsagenden Titel Tanzen, Singen, Freiheit. Die Vorlage aus dem Jahr 1949 hingegen kommt mit dem wesentlichen bodenständigeren Titel Mémoires.

Das mag Anlass geben zu den meist wohlbegründeten Beschwerden über deutsche Titel, hilft in diesem Fall jedoch vielleicht dabei, ein wenig Ordnung in die Memoirenvarianten zu bringen. Nebenbei: Was deutsche Titelaberrationen angeht, hat Baker auch sonst einiges zu bieten: Der Nachdruck der frühen Memoiren von 1927 beim Fischer Taschenbuch wurde unter dem Titel Ich tue, was mir paßt verkauft, während die letzte Memoirenversion, die ihr Ehemann Jo Bouillon zusammenstellte, gleich mit zwei deutschen Titeln aufwarten kann: Ausgerechnet Bananen (West) und Ich habe zwei Lieben … (Ost) Der französische Originaltitel hingegen lautete schlicht Joséphine. Darüber kann man sich sicher gelegentlich engagiert auslassen.

Als zweite Fassung oder Weiterentwicklung eines ersten Versuchs müssen die nun vorliegenden Memoiren Bakers allein deshalb schon gelten, als die Texte von 1927 im Jahr 1949 fast flächendeckend verarbeitet, umgeschrieben und neu arrangiert wurden, neben den Fortsetzungen, die es auch darin zu finden gibt. Tanzen, Singen, Freiheit geht zeitlich über den früheren Text hinaus, weil die Jahre 1927 bis zur direkten Nachkriegszeit erst in dieser Fassung Berücksichtigung finden konnten. Dafür sind die Teile des Schwarzen Sterns Europas, die den knappen Band ein wenig aufblasen sollten, fallen gelassen worden, was dem Text insgesamt sehr gut getan hat.

Beibehalten ist jedoch der Gestus, der vor allem die Bühnenpersönlichkeit in den Vordergrund stellt, ihren Empfang in den unterschiedlichen Gastspielländern weltweit, der Erfolg beim Publikum, der Protest der bigotten Gruppen, die sich mit der provokant aufgeladenen Präsentation der schwarzen, meist weitgehend nackten Schönen nicht abfinden wollten. Auch für die Memoiren von 1949 (oder eben jetzt 2025) steht die Sensation Baker noch im Zentrum.

In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick auf den von Jo Bouillon zusammengestellten, posthum 1976 veröffentlichten Erinnerungstext, der dann schon einen anderen Fokus setzte und in dem die Erfahrungen mit rassistischen Angriffen oder Hindernissen eine deutlich größere Rolle spielten. Da mag freilich auch eine Rolle spielen, dass Baker zu diesem Zeitpunkt eben nicht nur die immerwährende Gipfelstürmerin geblieben war, sondern einen radikalen Absturz hatte erleben müssen, der sie um ihr Vermögen und um ihren Wohnsitz gebracht hatte (standesgemäß ein Schloss, das heute ein Baker-Museum beheimatet). Erst eine Intervention der Fürstin von Monaco verhinderte, dass Baker zum einen eine neue Wohnstätte erhielt und zum anderen die Chance, ihre Karriere neu zu starten. Was ihr gelang.

Aber eben nicht genug: Zu konzedieren ist nämlich auch, dass in den 1960er Jahren die afroamerikanische Emanzipationsbewegung ihren neuen Höhepunkt erreicht hatte (an dem Baker ihren Anteil hatte), was auch dazu führte, dass Bakers eigene Erfahrungen stärker in den Vordergrund rückten. Schwarz zu sein und weiblich spielte in der letzten Fassung ihrer Memorien von 1976 eine deutlich größere Rolle als noch in der nun publizierten Variante von 1949.

Dass sich Bakers Haltung in dieser Hinsicht änderte, kündigte sich aber bereits in dem nun erschienenen Text an, der im vorletzten Kapitel auch von den irritierenden Erfahrungen ihrer US-Tour nach dem Krieg berichtete: New Yorker Hotels, die den internationalen, aber eben schwarzen Star abweisen, weil sie um ihre finanzkräftige Kundschaft aus den Südstaaten fürchteten? Und eben vieles vieles mehr, das umso erschreckender ist, als auch Prominenz Baker nicht schützte.

Auffallend auch, dass Baker auf Frankreich, also auf ein Land mit einer eigenen sehr langen konfliktreichen kolonialen Vergangenheit, nichts kommen lässt, wenn sie über den in den USA grassierenden Rassismus spricht. Das ist – worauf auch Mona Horncastle hinweist –  sicherlich auch als Konzession an das Land anzusehen, das ihr ihre enorme Karriere überhaupt erst ermöglicht hat – auch wenn Baker dafür die ursprüngliche, animalische Wilde geben musste, die dem zivilisierten Amüsiereuropäer das Gefühl geben konnte, Kontakt mit dem ursprünglichen Existenzgrund zu erhalten. Dass die Franzosen auch anders mit ihren unizivilisierten Mitbürgern umgehen konnten, zeigen nicht zuletzt die Reportagen Albert Londres‘ in Afrika in Ketten (siehe Literaturkritik.de 8/2020) oder zeigt die Geschichte der Revolution in Haiti. Dass Baker durchaus einen Blick für die schwachen Seiten Frankreichs hatte, scheint auch in ihre Erinnerungen auf, allerdings nur episodisch und äußerst selten.

Zugleich hat Baker jedoch einen klaren Blick darauf, dass der US-amerikanische Rassismus extremer war, vor allem eine andere Schärfe hatte als der europäische, wie das etwa der afroamerikanische Theoretiker W. E. B. Du Bois in seinem Berichten über seine Deutschlandreise 1936 bestätigen kann. Selbst im NS-Deutschland scheint man die Umgangsformen wenigstens halbwegs gewahrt zu haben. Was nicht für das Dritte Reich spricht, sondern gegen die USA.

Bei ihrer Auseinandersetzung mit der Lage der Afroamerikaner nimmt Baker zudem kein Blatt vor den Mund, was gelegentlich irritierend wirkt: Ob ihre Klage über das Verhältnis zwischen Juden und Schwarzen in Harlem antisemitische Stereotypen aufnimmt (so meldet Horncastle) oder erst einmal nur den Konflikt zwischen wohlhabenden und abhängigen Gruppen thematisiert, kann man wohl kontrovers diskutieren. Der Umstand, zu einer diskriminierten und verfolgten Gruppe zu gehören, schützt eben leider nicht davor, andere Gruppen auszunutzen und sich an ihnen zu bereichern. Und Bakers entschiedenes Engagement gegen jede Form der Diskriminierung hat sie auch nicht vor Fehlurteilen bewahrt. Aber wer würde das für sich beanspruchen dürfen?

Was das im Fall Bakers heißt und wie sich das liest, lässt sich nun in den nun vorliegenden Memoiren nachlesen, die – zum Schluss betont eingeräumt – auch eine ungemein beeindruckende Lektüre abgeben.

 

Titelbild

Josephine Baker: ‚Tanzen, Singen, Freiheit‘. Memoiren.
Reclam Verlag, Stuttgart 2025.
281 Seiten , 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783150115220

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