Publizistik im Exil

Beiträge aus interdisziplinärer Sicht. Festschrift für Ursula E. Koch

Von Gerhard MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hatte sich in den letzten Jahrzehnten um die ab 1933 vertriebenen und geflohenen Journalisten und ihre Aktivitäten im Exil vor allem die Germanistik, die Literaturwissenschaft gekümmert, so muss den Kommunikationswissenschaften eine Zurückhaltung attestiert werden. Diese Forschungslücke will der vorliegende Band zwar nicht füllen, wohl aber "Schlaglichter auf einzelne Aspekte der Exilpublizistik und ihres zeit- wie kommunikationsgeschichtlichen Umfeldes" werfen; so der Herausgeber im Vorwort. Anschließend heißt es - und ich zitiere wieder, um bei dem knappen zur Verfügung stehenden Raum doch das Wichtigste zu verdeutlichen: "Die Ansätze sind sehr unterschiedlich, die Perspektive [ist] interdisziplinär."

25 Autorinnen und Autoren aus Germanistik, Geschichts- und Kommunikationswissenschaft haben Beiträge geliefert, manche gehen zurück auf das Münchner Kolloquium "Eine Folge der ,Machtergreifung' 1933. Deutsche Journalisten, Publizisten, Schriftsteller und Verleger im Exil (1993-1945)", Ludwig Maximilians Universität am 25. Juli 1998, veranstaltet von Markus Behmer und Ursula E. Koch.

Der Band ist in zehn thematische Abschnitte gegliedert, deren Inhalte hier nur skizziert werden können.

In "Überblick zum deutschen Exil 1933 - 1945" beschreibt Horst Möller in kurzen Zügen, aber kompetent und mit quantitativen Angaben die "Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland". Dieser Beitrag wäre für alle am antifaschistischen Exil Interessierten, gerade für Studierende, empfehlenswert. - Dass ca. 2100 Publizistinnen und Publizisten nach 1933 Deutschland verlassen mussten, erfährt man allerdings hier wie in dem Sammelband sonst leider nicht. Möller spricht von "ungefähr 5.500 Gelehrte[n], Schriftsteller[n], Künstler[n] und Publizisten"; in diesem Punkt hätte man auf Marita Billers empirische Studie "Exilstationen" (1994) zurückgreifen können.

Zwei Beiträge gelten dem "Exilland Frankreich": Pierre-Paul Sagave befasst sich mit "Sanary, Hauptstadt der deutschen Literatur im Exil" und Pierre Albert mit der französischen Untergrundpresse.

In "Exilerfahrungen I: Publizisten" werden in biographischen Studien betrachtet: Fritz Heymann (Julius H. Schoeps), Hermann Schwab (Guy Stern) und Lida Gustava Heymann (Susanne Kinnebrock). Alle drei Beiträge sind lesenswert, besonders letzterer, der die Frauenrechtlerin und Pazifistin Heymann (1868 - 1943) und ihre Vita als "genuin weibliche Exilerfahrung" thematisiert. Nach 1939 gab sie ihr "Prinzip der unbedingten Gewaltlosigkeit" auf, und 1941 äußerte sie sich eindeutig: "die Gewaltmethoden des Faschismus und Nationalsozialismus [sind] durch pazifistische Mittel heute nicht mehr zu überwinden" - "Exilerfahrungen II: Zeichner" gilt Benedikt Fred Dolbin, Max Lingner und Walter Trier, behandelt von Hans Bohrmann, Thomas Knieper und Maike Furbach-Sinani.

Die politische Publizistik steht im Zentrum der folgenden Abschnitte, "Propagandaaktivitäten deutscher Emigranten Ost und West" und "Perspektiven für Deutschland aus dem Exil". Zunächst werden in instruktiver Weise die Tätigkeiten von Exilanten im Rahmen der Kriegspropaganda behandelt (Heinz Starkulla jr. und Klaus Kirchner),anschließend vergleicht Rudolf Stöber die "Deutschlandberichte der SoPaDe" mit Sebastian Haffners "Germany. Jekyll & Hyde", und Markus Behmer untersucht die Debatte um Leopold Schwarzschild (Stichwort "Der Tag danach").

Der folgende Abschnitt wechselt wohl überlegt die Perspektive: "Positionen in Deutschland während der NS-Diktatur". Patrick Rößler untersucht das Bauhaus und die Zeitschrift "die neue linie", Stefanie Averbeck und Arnulf Kutsch befassen sich mit Ernst Roselius und Peter Patzelt mit dem NS-Funktionär Hans Hinkel. Danach analysiert Bernd Sösemann (dies für mich der erhellendste Text) die Wirkungsmöglichkeiten des Hellmuth Freiherrn von Rauschenplat alias Fritz Eberhard (1896 - 1982), der einerseits für die Stuttgarter "Sonntags-Zeitung" schrieb, andererseits für die Exilzeitschrift "Sozialistische Warte". Der Vergleich zeigt, "daß in einer Diktatur in einem öffentlichen Medium nicht unzweideutig opponiert werden" kann; wohl aber ist von einem "journalistischen Widerstand" zu sprechen, der "intellektuelle Destruktionsarbeit" leisten kann.

Abschließend wird der Zeit nach Kriegsende gedacht: "Problematische Rückkehr - Remigranten in Ost und West". Kurt Koszyk behandelt Exil- und Nachkriegspresse, und Klaus Arnold und Jürgen Schlimper gehen den Biographien von Leo Bauer alias Rudolf Katz bzw. von Hans Teubner nach.

Die Würdigung Ursula E. Kochs aus Anlass ihres 65. Geburtstages steht am Ende. Persönlich gehaltenen Beiträgen von Dieter Hanitzsch, Pierre-Paul Sagave und Detlef Schröter folgen das Schriftenverzeichnis der Geehrten sowie - und hier wäre für Exil-Wissenschaftler eine Menge zu bibliographieren - ein "Verzeichnis der von Ursula E. Koch betreuten akademischen Abschlußarbeiten".

Der gut komponierte, für Studierende wie auch für Fachkundige nützliche (leider nicht ganz fehlerfreie) Band wird abgerundet durch Abbildungs- und Autorenverzeichnis sowie ein willkommenes Personenregister.

Titelbild

Markus Behmer (Hg.): Deutsche Publizistik im Exil 1933 bis 1945. Personen - Positionen - Perspektiven. Festschrift für Ursula E. Koch.
LIT Verlag, Münster 2000.
440 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3825846156

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