Tätiges Mitleid war die Richtschnur seines Lebens

Manès Sperber - ein europäischer Jude

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Germanisten, Literaturwissenschaftler und ein Schriftsteller befassen sich im reich bebilderten und mit reproduzierten Originaldokumenten ausgestatteten 6. Band des österreichischen Literaturmagazins "Profile" mit dem Schriftsteller und Essayisten Manès Sperber.

Die Publikation beginnt mit Robert Schindels "Klagenfurter Frühlingsballade", die offensichtlich nach der Lektüre von Sperbers Autobiographie "All das Vergangene" entstand, und endet mit ausgewählten Briefen an Sperber von Alfred Adler, Albert Camus, Franz Theodor Csokor, Hermann Kesten und anderen namhaften Zeitgenossen.

Ein anschauliches Bild vom Leben und Wirken des Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels des Jahres 1983, der einer breiten Öffentlichkeit vor allem durch seine Romantrilogie "Wie eine Träne im Ozean" bekannt geworden ist, gewinnt man allerdings erst, wenn man die Beiträge von Wendelin Schmidt-Dengler und Mirjana Stancic liest, zusammen mit der erweiterten Fassung der Laudatio von Siegfried Lenz, die dieser auf Manès Sperber am 16. Oktober 1983 in der Frankfurter Paulskirche gehalten hat.

Geboren wurde Sperber am 12. Dezember 1905 in Zablotow in Galizien, einem Kronland der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Damals fühlten sich dort noch die meisten Juden der chassidischen Tradition verpflichtet. "Ich bin ein europäischer Jude", sagte Sperber später einmal, "der jeden Augenblick dessen bewußt bleibt, ein Überlebender zu sein, und der nie die Jahre vergißt, in denen Jude zu sein ein todeswürdiges Verbrechen gewesen ist". Obwohl die religiösen Riten für ihn seit seinem dreizehnten Lebensjahr keine Geltung mehr hatten, so hat der Agnostiker, der "treue Ketzer" Sperber doch sein Judentum nie verleugnet.

Das Ende der Kindheit war für Sperber eng mit den Kriegserlebnissen in Galizien verbunden und mit den Erfahrungen antisemitischer Attacken in Wien, wo die Familie seit 1916 lebte. Sperber selbst verlegte seinen Wohnsitz 1927 nach Berlin. Hier trat er der KPD bei, arbeitete im Sinne Alfred Adlers als Psychotherapeut (später kam es zum Bruch mit Adler) und unterrichtete an der Hochschule für Politik und anderen Schulen. Er verkehrte mit Bert Brecht, Alfred Döblin, Arthur Koestler, Egon Erwin Kisch und Fritz Sternberg. Im Frühjahr 1933 wurde er für kurze Zeit verhaftet und musste nach seiner Haftentlassung Deutschland umgehend verlassen. Nach dem Ende des Krieges betreute er Hinterbliebene der Shoah und sah im Gedenken an die Opfer des Holocaust eines der wichtigsten Themen seines essayistischen und fiktionalen Schaffens.

Schon 1937 hatte er sich unter dem Eindruck der Moskauer Schauprozesse vom Kommunismus losgesagt und sich zum entschiedenen Antikommunisten gewandelt. Diese Wendung - Michael Rohrwasser deutet sie als eine Bekundung von Sperbers Treue zum eigenen kritischen Denken - war so konsequent und radikal, dass er sich auch um 1968 nicht mit marxistischen Devisen der politisch bewegten Jugend aufs Neue anfreunden mochte, dass er ferner in den siebziger Jahren für die westlichen Demokratien und deren Parlamentarismus eintrat, den Terrorismus scharf verurteilte und auf Distanz zu jenen ging, die als Kritiker des Status quo nach dem Vietnamkrieg tonangebend waren. Sperbers Haltung führte im Jahr 1983, in dem ihm der Friedenspreis zugesprochen wurde, wegen seines vermeintlichen Antipazifismus zu heftigen Kontroversen. Mit der damaligen, durch NATO-Doppelbeschluss und Aktionen der Friedensbewegung gekennzeichneten politischen Situation setzt sich Klaus Amann unter der Überschrift "Der postpurgatorische Optimist" auseinander.

Daneben beleuchtet Wilhelm Hemecker das schwierige Verhältnis zwischen Freud, Adler und Sperber, während Anne-Marie Corbin-Schuffels über Manès Sperbers Tätigkeit als Redakteur und Herausgeber der Zeitschrift "Die Umschau" berichtet, die in den ersten Nachkriegsjahren in der französischen Besatzungszone zur Entnazifizierung beitragen sollte.

Sperber, der nach dem Krieg in Paris seine endgültige Heimat gefunden hatte und dort am 5. Februar 1984 gestorben ist, war nicht nur Zaungast und zufälliger Zeuge, meint Wendelin Schmidt-Dengler in seinem Beitrag "Die Religion des guten Gedächtnisses". Vielmehr sei er von jungen Jahren an in das Zeitgeschehen so intensiv involviert gewesen, dass er an zahlreichen Widersprüchen, die durch sein Engagement bedingt waren, zu tragen hatte. Siegfried Lenz wiederum sieht das Motiv von Sperbers Schreiben und Handeln im "tätigen Mitleid", das ihn gezwungen habe, Geschichte nicht nur zu erdulden, sondern selber mit zu gestalten und alles dafür zu tun, "dass wir uns selber Schicksal seien." "Er handelte", so sagte Lenz in seiner Laudatio, "mit der Legitimation des Zeugen überall da, wo er Vernunft und Wahrheit bedroht sah."

Titelbild

Wilhelm Hemecker / Mirjana Stancic: Ein treuer Ketzer - Manès Sperber - der Schriftsteller als Ideologe.
Herausgegeben von Wilhelm Hemecker und Mirjana Stancic.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2000.
142 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3552049894

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