Frankfurt in Flammen - Kayankaya ist zurück

Jakob Arjouni steigt tief ins hessische Großstadtmilieu ein

Von Anja WiegeleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Wiegele

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diejenigen Leser, die noch nie einen Krimi von Jakob Arjouni in den Händen gehalten haben, werden sich schon über den Untertitel seines neuen Buches "Kismet - Ein Kayankaya-Roman" wundern. Hinter Kayankaya verbirgt sich kein indisches Reisgericht oder eine südamerikanische Baumfrucht: Kemal Kayankaya ist der Held auch des neuen Buches, der Profession nach deutsch-türkischer Privatdetektiv, lonesome rider des Frankfurter Großstadtdschungels, sympathischer Griesgram, der auch in der aussichtslosesten Lage nicht mit flotten Sprüchen geizt.

Wie in den drei vorangegangenen Kriminalromanen, von denen zweifellos sein Erstlingswerk "Happy Birthday, Türke" der bekannteste sein dürfte, wühlt Kayankaya das Frankfurter Rotlichtmilieu ordentlich auf. Eigentlich fängt alles ganz harmlos an: Kayankaya hockt mit seinem Kumpel und Mitstreiter Slibulski im Wandschrank eines Restaurants und plaudert über den Genuss von hessischem Handkäs. Doch was so belanglos anfängt, nimmt einige Minuten später seinen dramatischen Lauf: Es kommt zu einem Handgemenge mit zwei Schutzgelderpressern, die im Restaurant ihren Tribut fordern; Schüsse fallen, zwei Männer sinken blutverschmiert zu Boden. Kayankaya und Slibulski haben die Schießerei überlebt - die Ganoven werden erst einmal im Wald verscharrt. Doch von nun an wird der Privatdetektiv - nicht zuletzt durch seine Neugier und unfehlbare Art, Problemen eben nicht aus dem Weg zu gehen - in den Strudel der Ereignisse gerissen. Schon bald macht er die schmerzhafte Erfahrung, dass er es nicht mit den üblichen Schutzgelderpressern zu tun hat, sondern mit einem fanatischen Ring von Kriminellen, die ihre Finger in noch düsteren Geschäften haben. Die selbst ernannte "Armee der Vernunft" - ein international agierender Verbrecherring, angeführt von deutsch-kroatischen Mafiabossen - schreckt nicht vor Menschenhandel, Korruption und anderen düsteren Geschäften zurück. Um an ihr Ziel zu gelangen, ist ihnen jedes Mittel recht: Erniedrigung, Misshandlung und gar Mord stehen auf der Tagesordnung. Besonders pikant: Auch Exportgeschäfte verdorbener Lebensmittel in Länder der Dritten Welt gehören zum Repertoire der Bande.

Kayankaya gerät durch seine provokative Art von einer Schwierigkeit in die nächste - und bewegt sich durch diesen Sumpf doch wie ein Stehaufmännchen. Schließlich kennt er die Frankfurter Szene wie seine Westentasche. Am Ende bleibt er der Gewinner - wie sollte es anders sein bei Helden seines Formats. Dabei erinnern seine Methoden an Rambo. Aus einer Zwickmühle kann er sich nur befreien, indem er mit einer funkelnagelneuen BMW-Limousine durch die langen Flure eines Asylantenwohnheims steuert und schließlich brachialst eine Wand durchbricht. Spätestens hier wird die Geschichte etwas unglaubwürdig. Die Handlung verliert zugunsten der immer dicker aufgetragenen Actionszenen, das blutrünstige Finale erinnert an den finalen Endkampf zwischen Gut und Böse, den man zur Genüge aus amerikanischen Hau-drauf-Filmen kennt.

Gleichwohl überzeugt "Kismet" durch exakte Szene-Schilderungen. Die Nähe zum Geschehen erreicht Arjouni nicht zuletzt durch seine brillanten Dialoge, die spritzig, dabei manchmal frivol und großspurig ausfallen. Zudem hat der Autor einen feinen Sinn für deutsche Dialekte. Man scheint selbst mit am fettverkrusteten Tresen des Adria-Grills zu stehen und dem hessischen Wirt beim Palavern zuzuhören. Ruppig gibt er zu verstehen: "Ich glaab, mer hawwe genuch geredt. Des Bier geht uff misch. Machen se, dass se fottkomme." Auch Berliner Schnauzen mischen sich ein: "Was is dit, na, was is dit?" Kurz und treffsicher werden auch kleine Szenerien jenseits der Krimihandlung skizziert, so beispielsweise das Interieur von zweifelhaften Kaschemmen. Im Falle des "Adria-Grills" betritt man einen Raum, dessen Dekoration aus einem "Paar verstaubter Fischernetze und zwei verblichenen Dubrovnik-Plakaten an den Wänden" besteht. Beinahe liebevoll wird das Milieu einer Großstadt gezeichnet - mit all ihren Macken und Unliebsamkeiten, aber doch voller Dynamik, Esprit und versteckten Zärtlichkeiten. Die präzise Schilderung der gesellschaftlichen Realität, von verkrachten Existenzen, kleinen Fischen, Drogendealern, leichten Mädchen und allen, deren Lebensweg eben nicht kerzengerade verlaufen ist, lässt Arjounis Krimi atmen und erhält ihn lebendig.

Im Gegensatz zu vielen anderen seiner schreibenden Kollegen hat Jakob Arjouni das Problem der Ausländerfeindlichkeit auch in seinem neuen Buch zum Thema erklärt. Er beschreibt die alltäglichen Konflikte des deutsch-türkischen Detektivs, lässt ihn immer wieder auf verschiedenste Charaktere treffen, die ein unnormales Verhältnis zu seiner Staatsbürgerschaft haben und deshalb allzu oft extrem reagieren. Neben der Haupthandlung werden anekdotenhaft die Geschichten zweier konträrer Charaktere aufgebaut. Zum einen wäre da Kayankayas Nachbar, der ausländerfeindliche Gemüsehändler, der vor Jahren einmal für die Republikaner kandidierte und mittlerweile einen reservierten Umgang mit dem Detektiv pflegt - das allerdings erst, seitdem er die "Ostler" zum neuen Feindbild erklärt hat.

Auf der andern Seite steht der Charakter der ebenso gebildeten wie naiven Islamforscherin, die den sonst eher auftragslosen Kayankaya aufgrund seiner Staatsbürgerschaft bevorzugt. Voller Verständnis für sein "orientalisches Temperament" und mit herzzerschmelzender Toleranz für jegliche Form von sozialer Ungerechtigkeit feilscht sie - der Tradition nach - mit Kayankaya um sein Honorar - und wird mächtig über den Tisch gezogen.

Mit dem Gespür eines Suchhundes wühlt Arjouni in den dunklen Ecken gesellschaftlicher Realität in Deutschland und weiß sie pointiert in Worte zu fassen. Klar ist: Menschen wie seine "Frau Beierle" und den Gemüsehändler gibt es massenweise in Deutschland. Deren Problem ist der normale und alltägliche Umgang mit Menschen, deren Namen anders klingen. Dass am Ende beider Verhalten vom "coolen Detektiv" geahndet wird, erscheint übertrieben. An dieser Stelle wird zu sehr polarisiert, wieder erscheint der Held unnahbar und kaltschnäuzig. Vielleicht kann man den Action-Helden noch akzeptieren, Kayankaya jedoch als Robin Hood, der gegen die soziale Ungerechtigkeit kämpft und hierbei auch nicht immer mit sauberen Methoden arbeitet? Das ist wohl zu dick aufgetragen.

Trotz der zu stark gezeichneten Figur Kayankayas ist Jakob Arjouni ein überaus unterhaltsamer und dabei intelligenter Krimi gelungen, der mit amerikanischen und britischen Vorbildern durchaus konkurrieren kann. Very well done, Mr. Arjouni!

Titelbild

Jakob Arjouni: Kismet. Ein Kayankay-Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2001.
265 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 325706263X

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