Zurück in McCarthy-County

Der Abschluss von Cormac McCarthys "Border-Trilogie"

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

John Grady Cole war 16 Jahre alt, als er mit seinem Freund Lacey Rawlins von Texas nach Mexiko aufbrach, um dort die Träume vom Leben in Freiheit, in der Natur und mit den Pferden Wirklichkeit werden zu lassen. Das war im Jahr 1949. Cormac McCarthy erzählte uns diese großartige Geschichte vom Ende der Kindheit und Jugend und dem brutalen Erfahren des harten Lebens und Überlebens in einem fremden Land in seinem Roman "All die schönen Pferde" (Rowohlt, 1993). Mit diesem Buch wurde er im deutschen Sprachraum einer breiten Öffentlichkeit bekannt, sein Kultstatus, den er mit dem Roman-Monument "Verlorene" (1992) erlangte, wandelte sich in den eines Erfolgsschriftstellers.

"Grenzgänger" (Rowohlt, 1995) nannte McCarthy die Geschichte des 16-jährigen Billy Parham, der neun Jahre vor den Protagonisten John und Lacey 1940 die Grenze nach Mexiko überschritt. Nach seiner Rückkehr musste er erleben, dass seine Eltern ermordet wurden. Mit seinem jüngeren Bruder, der den Mördern entkommen konnte, ritt er abermals, Rache schwörend, in das nahe und doch so ferne Land. Schon der Titel dieses Romans weist auf den Romanzyklus hin, dem beide Bücher angehören - die "Border-Trilogie". Vier Jahre nach "Grenzgänger" hat Cormac McCarthy mit dem dritten Band dieses große Projekt zu einem grandiosen Abschluss gebracht. Hierzulande musste man etwas länger warten, doch nun, sechs Jahre nach der deutschen Fassung des zweiten Teils, liegt "Land der Freien" auch bei uns vor.

Und das Warten hat sich gelohnt.

Drei Jahre sind seit John Grady Coles Abenteuer vergangen. Was er in Mexiko auf einer großen Hacienda lernte, das Zureiten wilder Pferde und seine ungewöhnliche Sensibilität für diese Tiere, ist ihm nun von Nutzen. Auf einer Ranch in New Mexico, in der Nähe von El Paso, hat er Arbeit als Cowboy gefunden. Ebenfalls auf dieser Ranch arbeitet Billy Parham, ein paar Jahre älter als John Grady. Die beiden entwickeln bald eine Nähe zueinander, eine Achtung und Wertschätzung, was den Umgang und die Arbeit mit Pferden angeht, und sie beide haben das Gefühl, etwas vom anderen zu kennen, etwas, an das nicht gerührt werden darf. Das Leben der Cowboys ist hart und unspektakulär, lediglich die Ausflüge nach El Paso oder über die Grenze nach Ciudad Juárez, in die Kneipen, Bars und Bordelle bringen etwas Abwechslung und Spaß. An einem dieser Abende sieht John Grady Cole die junge Hure Magdalena, die ihn weit über das Maß hinaus fasziniert, das Männer üblicherweise an einem solchen Ort aufbringen. Und wie schon in "All die schönen Pferde" erzählt Cormac McCarthy auch hier eine Liebes- und Leidensgeschichte, die romantischer und gefährlicher nicht sein könnte. Denn Magdalena gehört Eduardo, ihrem Zuhälter. John Grady, der zwar stur, aber auch sensibel für eine solche Situation ist, bittet Billy, bei Eduardo die Freigabe Magdalenas zu erwirken. Der jedoch macht Billy nachdrücklich klar, dass es dazu nie kommen wird. Bei einem heimlichen Treffen fasst das junge Paar den Plan, mit falschen Papieren die Grenze zu passieren. Doch es gibt eine undichte Stelle und die Drohungen Eduardos werden auf brutale Weise Wirklichkeit. Das Leben verliert für John Grady an Bedeutung; Rache und Vergeltung allein bestimmen ihn, er tut, was er tun muss. In einem grausam-schönen Ballett zweier Messerkämpfer findet "Land der Freien" seinen furiosen Höhepunkt.

McCarthy greift in diesem Buch, das ebenso wie "All die schönen Pferde" und "Grenzgänger" als eigenständiges Werk gelesen werden kann und als solches besteht, einige bekannte Motive auf. Das Jungenpaar, hier ein paar Jahre älter, die unmögliche, aufgrund der Grenzen zwischen den Kulturen nicht realisierbare Liebe, das Wolfthema aus "Grenzgänger", das hier in Form einer Hundemeute und eines einsamen Welpen variiert wird, und natürlich Mexiko und die Pferde. Doch "Land der Freien" ist melancholischer als seine Vorgänger, es ist introvertierter, beschäftigt sich weit mehr mit seinen Protagonisten, weniger mit dem Land, den Tieren, den Abenteuern. Anfangs ist man noch ein wenig skeptisch, da allein die exakten und kenntnisreichen Beschreibungen von Pflanzen, Tieren, Landschaft und Tätigkeiten noch keinen großen Roman ausmachen. Doch unmerklich baut McCarthy die Dramatik des Buches auf, streut kleine Symbole, die unausweichlich auf das Kommende hinweisen und weist den Personen mehr und mehr ihren Platz im Geschehen zu. Das alles schafft eine Atmosphäre, die den Leser beruhigt, denn nun befindet er sich auf gewohntem literarischen Gebiet, in einer sprachlich und thematisch vertrauten Umgebung: in McCarthy-County.

Titelbild

Cormac McCarthy: Land der Freien. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001.
333 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3498044729

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