Postskriptum

Ivan Stanev schreibt lyrische Briefe vom Schwarzen Meer

Von Charlotte IndenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Charlotte Inden

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als "Epistulae ex ponto" wurden seine Briefe aus der Verbannung bekannt: Publius Ovidius Naso verstarb nach zehn Jahren im Exil am Schwarzen Meer. Mit einem Auszug einer dieser Briefe leitet Ivan Stanev sein Werk ein, das er "Postskriptum" nannte. Und eine Nachschrift zu Ovid ist es ebenso wie ein PS für Stanju Stanev.

Es gibt Dinge, die bleiben in der Familie. Photographien zum Beispiel. Die Bilder, die Ivan Stanevs zwanzig Briefe illustrieren, stammen von Stanju Stanev. Er photographierte das Schwarze Meer im Januar 1963, erfahren wir. Ein Stanev bannte auf Zelluloid, was er sah, und ein anderer Stanev verfasste nun die Verse zu fremder Erinnerung. Die Stanev'schen Briefe vom Schwarzen Meer.

Ivans Verse tarnen sich der Form halber als Briefchen. "Erster" oder "zehnter" steht darüber, das "PS" immer darunter. Doch innerhalb dieses festen Rahmens ist alles in Auflösung begriffen. Keine vollständigen Sätze, kein vollständiges Schriftbild, Zeilenumbrüche, die Kunstworte und Kunststücke bewirken. Sie sehen schön aus, diese Briefchen, das feststehende "PS" ist erwartet, lässt das Auge ruhen und bringt Ordnung in das inhaltliche Chaos.

Bringt uns auch Farbe. Denn "schwarz" ist roter Faden in den Briefen und obligatorisch für ihre Postskripta. Und bringt dort auf den Punkt, was wir uns zusammenlesen müssen.

Bilder fangen uns ein, die lose zusammenhängen, Gefühle wie Einsamkeit, Verzweiflung und Sehnsucht vermitteln. Wir treffen auf einen Heimatlosen in den Stanev'schen Briefen, der an der Küste des Schwarzen Meeres sitzt und den Tod als Erlösung erwartet. Einen Exilanten sehen wir, der uns immer mehr an jenen römischen Dichter erinnert, auch wenn sein Name nie fällt.

Doch kein zweiter Christoph Ransmayr schreibt. Unser lyrisches Ich lebt im Heute und Jetzt, im Zeitalter des Asphalts und der Photographien. Ist nicht Ovid, fühlt aber, wie Ovid vor zweitausend Jahren vielleicht gefühlt haben mag. Oder wie Stanju. Oder jemand anderes. Am Ufer des Schwarzen Meeres.

"Der Strand unter Eis / platten begraben. Die Brücke kippt unter die Eis / schollen. Ich ließ mich dort knipsen. Spaßes / halber. Von einem Passanten. Das Bild darfst Du / behalten. Der Typ im schwarzen Bären / fell, das bin ich."

Lesen wir. Die Worte passen zu den Bildern, die Bilder zu den Worten, hier ist kein Medium nur schmückendes Beiwerk. Auch wenn Ivan sich die Photos passend textete, verlieren sie nicht ihre eigenen Gesichter. Losgelöst von Ivans Versen, würden Stanjus Aufnahmen einfach ihre eigenen Geschichten erzählen. Hier aber greifen zwei Kunstwerke ineinander, Bild und Text erhalten durch ihre Komposition Facetten, die sie ohne einander nicht besäßen.

Stanjus Bilder sind wunderbar in Reihe gebracht und zwischen schwarze Deckel gebunden. Das ist ihre Geschichte: Von weitem sehen wir den vereisten Pier ins Meer ragen. Am Negativ wurde gebastelt, organische Formen von irgendwas fließen über den Pier, verwehren den Blick, das Bild ist mehr Kunstprodukt als Landschaftsdarstellung. Dann werden wir näher geführt. Sehen aber immer noch nur wilde Landschaft von Eis und Schnee, deren Linien erstarrtes Leben sind. Dann stehen wir an der Spitze des Piers, Meer vor uns, neben uns. Jetzt sehen wir den Mann im schwarzen Bärenfell. Er steht im Gegenlicht, wird gesichtslos. Und ist dann verschwunden. Pier und Strand liegen unberührt in Eis und Schnee.

Allein dies ist eine Geschichte der Einsamkeit in Schwarz und Weiß, wir wollen gar keine Farben, doch mit Ivans Versen werden die Kälte und ihre Schönheit mit dem inneren Aufruhr eines Menschen erwärmt. Wenn der Exilant stirbt, verschwindet der Mann im Fell.

Keine weitere "Letze Welt" ist dieses Werk von Ivan Stanev. Aber was macht es, wenn die Idee geliehen ist, Ivans Wortkonstrukte und Bilder sind herrlich neugeschöpft und unabgenutzt. Und was man nicht so alles mit dem kleinen Wörtchen "schwarz" anstellen kann. Oder mit Schwarz auf Photopapier.

"PS / Der Mensch und die Eis / zeit. Abgelichtet. Schwarz / auf weiß."

Titelbild

Ivan Stanev: Postskriptum.
Juliettes Literatursalon, Berlin 2000.
53 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3932955005

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