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In Doris Janshens "Blickwechsel" suchen Geschlechterforscher direkten Augenkontakt

Von Christiene SipkemaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christiene Sipkema

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Glaubt man Doris Janshen, Direktorin des Essener Kollegs für Geschlechterforschung, so sind die Zeiten, in denen sich Männerforscher und Frauenforscherinnen feindlich gegenüberstanden, definitiv vorbei. Als Grundlage für diese These dient ihr die Jahrestagung des Kollegs von 1998, deren Referate sie nun in einem Sammelband dokumentiert und kommentiert.

Doris Janshen legt Wert darauf, dass eine Annäherung von Frauen und Männern nicht länger bedeuten soll, die Kardinalsfrage nach dem besseren Geschlecht zu beantworten, vielmehr müsse endlich eine Basis geschaffen werden, auf der ein neuer Dialog zwischen maskulinen und femininen Theorien, Weltbildern und Auffassungen entstehen kann.

Ganz im Sinne eines Gesprächs sind dann auch die einzelnen Kapitel gestaltet. Zu insgesamt vier unterschiedlichen gesellschaftlichen Themenbereichen äußern sich jeweils eine Frauenforscherin und ein Männerforscher. Dabei werden zunächst die für das bessere Verständnis von Geschlechterforschung notwendigen Grundlagen behandelt, bevor sich wiederum andere ausgewählte Autorinnen und Autoren ausführlich in ihren Aufsätzen den Bereichen "Körper und Geschlecht" oder auch "Zivilisation und Politik" widmen können.

So unterschiedlich die beiden Forschungszweige in ihrer Entstehungs- und Wirkungsgeschichte auch sind und so vorsichtig die Herausgeberin sich zum Ausgangspunkt der Dokumentation auch äußert, so gründlich und umfassend wird in den Beiträgen diskutiert: "Mit diesem Versuch [eines Dialoges] wird demnach Neuland beschritten, ja, es darf sogar behauptet werden, daß Frauenforscherinnen und Männerforscher noch nie so dialogfähig waren wie in der Gegenwart. Doch wir stehen am Anfang." Dabei hat man selten das Gefühl, althergebrachte Klischees würden lediglich aufgewärmt und nur neu abgeschmeckt. Selbstkritik und Innovation scheinen immer im Vordergrund zu stehen. Gegenseitige Anschuldigungen fehlen gänzlich, stattdessen ist man(n) bzw. frau bemüht, Gemeinsamkeiten ausfindig zu machen, die als Basis für eine zukünftige Kooperation dienen sollen.

So weit, so herrlich/fraulich. Doch haben sich auch die ewig Unverbesserlichen eingeschlichen: Eva Kreiskys Beitrag zum Thema "Zivilisation und Politik" glüht vor ,Schwanz-ab-Feminismus', wie er in den siebziger Jahren üblich war. Man wundert sich, was ihr Beitrag nun eigentlich in einer explizit neuartigen Dokumentation zu suchen hat. So sagt sie mit feministischer Ernsthaftigkeit: "Männliche Überlegenheit und Härte speist sich in modernen Gesellschaften auch aus dem Universum des Sports. Sportmetaphern in der Politik sind verbale oder non-verbale Codes, die Frauen nicht unbedingt vertraut, oftmals sogar nur fremd sind, und die deshalb frauenexklusiv wirken. Unter den meisten Männern werden diese Codes freilich verstanden. Dies verbindet und vergemeinschaftet sie." Seltsam eigentlich, aber das von ihr eingestreute Beispiel "Gelbe Karte für rot-grün" versteht meine Oma perfekt, auch ohne jemals Fußball gemocht zu haben.

Ingeborg Stahrs Beitrag macht Kreiskys Platituden wieder wett. Sie greift den heute aktuellen Begriff der Pluralisierung auf und bezieht ihn auf den Stellenwert des Körpers in der Gesellschaft. Sie kann mit ihren Ausführungen als zentrale Autorin des Werks gelten, da sie weniger theoretisch als vielmehr realitätsnah Probleme, die sowohl ,Frau' als auch ,Mann' hinsichtlich ihrer körperlichen Identitätsfindung und Selbstwahrnehmung betreffen, aufzeigt. Bei Stahr heißt es abschließend: "Die Dekonstruktion der bipolaren Geschlechterordnung erlaubt dem Individuum in diesem Sinne, die vielfältigen Facetten seiner körperlichen und geschlechtlichen Identität und seines Selbst wahrzunehmen und in der Einheit des Leibes neu zu verorten." Was für Stahrs Abschlussthese gilt, trifft auf die gesamte Dokumentation zu. Es soll darum gehen, bisher gültige Sichtweisen von Männlichkeit bzw. Weiblichkeit aufzulösen, damit der Versuch unternommen werden kann, gemeinsame Theorien zu entwickeln, die dem gegenwärtigen Verständnis von Geschlecht näher kommen.

Doris Janshen hat eine differenzierte, gewollt heterogene Wahl getroffen. Man kann der Herausgeberin nur zustimmen: "Die Ergebnisse sind vielfältig, ermuntern theoretisch und empirisch zu Differenzierungen, die dualistische und polarisierende Konstrukte von Geschlecht weit hinter sich lassen."

Titelbild

Doris Janshen (Hg.): Blickwechsel. Der neue Dialog zwischen Frauen- und Männerforschung.
Campus Verlag, Frankfurt 2000.
214 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3593364425

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