Die Geister, die ich rief...

Stefano Bennis gar nicht so ferne Zukunftsvision

Von Anke AssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Assig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Welt steht kurz vor dem Untergang, das allein ist kein Grund zur Beunruhigung. Im Gegenteil, es wird gefeiert. Während sich die Geister der Unterwelt mit ihrem zerstörerischen Anführer Enoma daran machen, die Kreatur Mensch von der Erde zu tilgen, ruft der americardische Präsident die Völker zum Fest. Der Anlass ist ein überaus zynischer, nämlich der zehnte Jahrestag des "Gerechten Krieges". Erwartet und im doppelten Sinne vorgeführt werden zu diesem auf einer eigens für diesen Mega-Event zur Bühne umfunktionierten Insel alle Diener der Popularität - Stars aus dem internationalen Showbusiness, Politiker, Sponsoren und Millionen von Zuschauern. Wer nicht selbst vor Ort ist, um die "Benefizveranstaltung für die Flüchtlinge und Kinder der Gefallenen" zu erleben, bleibt dank Mondialvision garantiert nicht ausgeschlossen.

Doch natürlich geht alles schief. Was als Volksbelustigung geplant war, entwickelt sich zur Apokalypse.

Stefano Benni, einer der bekanntesten Gegenwartsautoren Italiens, entwirft - so der Verlag - eine "wilde Politsatire der unmittelbaren Zukunft". Aber schnell offenbart sich, dass die Zukunft längst von der Gegenwart eingeholt wurde, die satirischen Übertreibungen durchaus als Zeitungsmeldungen unserer Tage durchgehen könnten.

Da ist zum Beispiel M.J. Max, der Präsident des Imperiums. Längst ist der fettleibige Bewohner der "Weißen Villa" zur Marionette der Rüstungs- und Medienindustrie herabgesunken, dessen wichtigste Amtshandlung darin besteht, publikumswirksam Golf zu spielen, damit sich das Volk nicht über die x-te Intervention in fremden Krisengebieten empört. Die Fäden ziehen andere. Soldout etwa, der Propaganda-König sowie Hakarus, seines Zeichens König für Waffen und Geschäfte.

Merkwürdig bekannt kommen dem Leser auch etliche andere Figuren vor: selbstsüchtige Popstars, launige Sexsymbole und intrigante Parteichefs scheinen direkt von den "Aus aller Welt"-Rubriken bunter Illustrierter aus am unaufhaltsam vorangetriebenen Untergang mitzuwirken. Ja selbst jüngste politische Meldungen werden jäh ins Jetzt katapultiert. Nach einer Klimakonferenz kommt man zu dem Ergebnis, es gäbe weltweit weder Umweltverschmutzung noch die geringste Gefahr dadurch ausgelöster Naturkatastrophen. Nebensächlich, dass der Konferenzvorsitzende während der Augusttagung von einem zentnerschweren Hagelkorn erschlagen wird...

Doch "Geister" ist mehr als eine Karikatur des Ist-Zustandes. Neben der Welt, die unserer so unerträglich ähnlich sieht, existiert eine zweite Welt. Eine, in der Geister herrschen und das nicht ohne Folgen. Wie auch die menschlichen Charaktere tragen sie fantasievolle Namen und wie diese führen sie untereinander Krieg. Kimala, Geist des Feuers und des Wassers, liegt im Twist mit Poros, dem Geist des Wortes. Sympathisch erscheint Melinda, ein "freier Geist" und zugleich des Präsidenten heiß begehrte Praktikantin. Sie wird eines der vielen Opfer, die der Autor dem Leser darbringt. Denn letztlich ist das Buch trotz oder gerade wegen seiner Wortspielereien, seiner phantastischen Handlung und unübersehbaren Fingerzeige eine vernichtende Kritik am Gebahren der Industriestaaten. In ihrem Kriegs- und Globalisierungswahn haben sie die Erde zu Grunde gerichtet, ihre Bevölkerung entmündigt und die Naturkräfte herausgefordert. Jahrhunderte alte Hybris muss bestraft werden; so scheint es konsequent zu sein.

Doch die Geister, die der Mensch rief, sie sind unentschlossen. Soll die Kreatur leben, die zu allen Zeiten geraubt, geplündert und gemordet hat? Als der Waffenkönig kurz davor steht, die Insel samt Mega-Event zu bombardieren, fällt die Entscheidung. Hakarus, als die Verkörperung des Bösen, des ewig Uneinsichtigen, wird von den guten Geistern mit den Worten eliminiert:

"Du hast nichts gelernt, Hakarus. Ich war bei dir auf den assyrischen Streitwagen, in den Klöstern von Valamo, auf den Barrikaden von Paris, in den Baracken von Dachau. Und jedes Mal warst du grausamer..."

Gibt es Rettung? Schon naht der nächste Tornado, die Geister ziehen sich zurück. Es gibt einen Geist, gegen den auch sie machtlos sind. Den Zeitgeist.

Titelbild

Stefano Benni: Geister.
Übersetzt aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2001.
412 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3803131561

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