Liebes Küken

Marieluise Fleißers Briefwechsel 1925-1974

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Wissen um den Wert der eigenen Arbeit und die Angst vor den unerbittlichen öffentlichen Stimmen, manchmal stolz abwartend, manchmal inständig bittend, so zeigt sich Marieluise Fleißers Ringen um Anerkennung in ihrem Briefwechsel. Er zeigt die Autorin in den vielen wechselvollen, teils geschäftlichen, teils privaten, teils aus beidem gemischten Beziehungen. Immer ist sie darauf bedacht, den Kopf oben zu behalten, höflich aber bestimmt ihre Sorgen und Wünsche vorzutragen. "Faktisch habe ich doch eine Riesenreklame für meine Vaterstadt gemacht, da ich eine begeisterte Ingolstädterin bin". So in einem offenen Brief nach Ingolstadt, dessen Bürgermeister und viele andere angesehene Leute Fleißers Drama "Fegefeuer in Ingolstadt" tief beleidigt zur Kenntnis nahmen und sich lauthals beschwerten. Der Bürgermeister allerdings hatte das Stück weder gelesen noch gesehen.

Mit wachsendem Ärger liest man die Briefe des frühen Geliebten Hellmuth Draws-Tychen, und überrascht nimmt man zur Kenntnis, welch naiven Wortverdreher sich die Schriftstellerin in Josef Haindl zum Mann gewählt hat. Anpassung um materiell zu überleben und immer wieder der unbändige Wunsch, frei zu sein für die Arbeit. Das "Existierenmüssen", wie sie 1973 an den Hamburger Dramaturgen Wend Kässens schreibt, habe ihr den Hahn für viele neue Projekte abgedreht. Gleichzeitig aber hat auch gerade dieser Zwang sie umso mehr zu einer gesellschaftskritischen Autorin gemacht. "Die Zielrichtung auf das Gesellschaftliche hin war instinktiv, sie wurde nicht bewusst angestrebt. Ich habe lediglich beobachtet, erlebt, Druck gespürt, mich innerlich zu befreien versucht von diesem Druck".

Marieluise Fleißer war auch immer eine Anteil nehmende, mitfühlende Person trotz der Klarheit ihres Urteils. So schreibt sie an Therese Giehse, wie bekümmert sie ihr bei der letzten Begegnung vorgekommen sei. Oder sie setzt sich ein für Peter Stein, der 1968 auf Initiative von August Everding die Münchner Kammerspiele verlassen sollte. So wie sie ein untrügliches Gespür für die eigene schriftstellerische Größe hat, entgeht ihr auch die Begabung anderer nicht.

Vielseitig, widersprüchlich, menschlich warm und stolz, so zeigt sich Marieluise Fleißer in diesem Briefwechsel.

Titelbild

Marieluise Fleißer: Briefwechsel 1925-1974.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Günther Rühle.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
740 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-10: 3518397818

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