Salute Barbaren

Neue Gedichte von Volker Braun

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf einem Hügelgrab, einem Tumulus, steht im Titelgedicht dieses Lyrikbands Cäsar. Unter seinen Füßen die Toten der Vorgeschichte, blickt er auf eine seiner Schlachten. Noch ist Rom im Aufstieg begriffen. Schon aber ist die Rede vom "Angstschweiß / Eines Großen der Geschichte macht", und der "BELLUM GALLICUM" ist der "gewohnte Golfkrieg": Rom steht hier für die westlichen Industrieländer, die die Welt gegenwärtig beherrschen. Krieg ist das Normale, und die Angst nimmt den kommenden Sieg der Barbaren vorweg.

Fast genau in der Mitte des Gedichts ein harter Schnitt: "So entstehen Weltreiche / Ich sah sie fallen / Auf seinen Knochen stehnd dem Führerbunker". Das Ich konstatiert den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums, dessen deutscher Vorposten sich nie von der faschistischen Vorgeschichte zu lösen vermochte. Auf die Wende, einen "Lidschlag der Geschichte gegen die Verblendung", der zu keiner Befreiung führte, blickt das Ich ebenso vom Totenhügel wie Cäsar auf einen seiner vergeblichen Siege. Um so deutlicher der Kontrast, den der Schlußvers setzt: "Eine Minute in Meiner Zeit" nur dauerte die Hoffnung von 1989. Cäsar war für einen Moment Zuschauer seiner Schlacht, doch blieb er selbst dann engagiert; seine Angst ist auch ein Zeichen von Leben. Das Ich hingegen, das so abgeklärt die Jahrhunderte überblickt, vermag zwar die Niederlage zu relativieren. Erkauft ist dies allerdings durch mehr oder minder freiwillige Isolation: "Warum soll ich Mode werden / In der Wegwerfgesellschaft / Das Stadion voll letzter Schreie Ideen / Roms letzte Epoche des Unernsts", heißt es zum Schluß des Bandes.

Das ist weniger gefragt als festgestellt. Eine solche Abkehr von Entwicklungsperspektiven fand sich in Brauns Werk bislang allenfalls punktuell. Bis in die 80er Jahre hatte Braun nach Ansätzen gesucht, den Sozialismus in der DDR zu reformieren. Gerade in den offiziell heruntergespielten Widersprüchen sah er die Chance für eine produktive Veränderung. Zwar gab Braun dieses Ziel nie auf, doch wußte er immer weniger, wer das Neue, Bessere herbeiführen sollte. Die Hoffnung wurde abstrakt; immer öfter hatten Weiblichkeit, die Dritte Welt, überhaupt: das Leben, die Natur sie zu personifizieren. Intertextuelle Bezüge besonders in der kurz vor 1989 entstandenen Lyrik sollten Geschichtlichkeit gewährleisten, doch verhinderte die überaus dichte Zitatstruktur eine historische Tiefenschärfe eher, als daß sie sie beförderte. Die Folgen der Wende von 1989 schließlich, die Braun zunächst als Chance begriff und deren Notwendigkeit er bis heute betont, erschwerten ihm die Arbeit vollends, denn stofflich und wirkungsstrategisch hatte die DDR die Grundlage seiner Arbeit bedeutet.

Braun erschrieb sich in den 90er Jahren vor allem als Autor komprimierter Prosa ein Verhältnis zur gewandelten Gesellschaft; die wichtigsten seiner publizistischen Äußerungen nach 1989 sind nun wieder zugänglich in dem Band "Wir befinden uns soweit wohl. Wir sind erst einmal am Ende." (1998). Im vorliegenden, zum sechzigsten Geburtstag Brauns erschienenen Buch sind nun seine zwischen 1995 und 1997 entstandenen Gedichte versammelt.

Quantitativ ist die Ausbeute schmal, und mehrere der Texte waren bereits verstreut publiziert. In der Zusammenstellung erschließt sich jedoch ein dichtes Gewebe motivischer Verweise. Indem Braun unterschiedliche Autorhaltungen zu geschichtlichen Vorgängen erprobt, wird der produktive Ansatz der Einzelgedichte deutlich.

Der Band ist dreiteilig aufgebaut. Der umfangreiche Mittelteil "Stoff zum Leben 4" bezieht sich schon durch seinen Titel auf frühere Gedichtgruppen, die Braun in seine Lyrikbände seit "Training des aufrechten Gangs" (1979) integriert hatte. Wie in den älteren Sammlungen verwendet Braun eine außerordentliche Vielfalt meist freier Formen. Das Spektrum reicht von fast parabelartigen Kurzgedichten über Prosablöcke bis hin zu Langgedichten, die Braun als "Material" bezeichnet: In ihnen sind historische Reminiszenzen, vielfältige Zitate, Zeitkritik und Reflexion des literarischen Sprechens kaum vermittelt ineinander geschoben. Verglichen mit früheren "Material"-Gedichten und überhaupt Brauns Lyrik der 80er Jahre zeigt sich hier wie auch sonst in "Tumulus" eine vereinfachte Struktur; die Widersprüche, von denen Braun auch heute noch erhofft, daß sie das Bestehende aufsprengen, treten um so deutlicher hervor.

Vielfältig sind die Perspektiven, die das Ich einnimmt; es dürfte sich um Sichtweisen auch des Autors handeln. Als Metropolentourist etwa sieht das Ich sich jenseits jeder Entwicklung, "noch in der Montur / Des Touristen ein Arbeitsloser lungernd / In den last-minute-Ländern". Der Gegenpol findet sich im Langgedicht "Plinius grüßt Tacitus": Der Naturforscher Plinius, mit dem das Ich sich vergleicht, fährt "mitten in die Katastrophe" des Vulkanausbruchs, in der er umkommen wird: "Die Risiken der politischen Aschenbahn, warum / Wollte er es genau wissen".

Die Außenteile bestehen aus jeweils nur einem Text. Das Prosagedicht "Traumtext" eröffnet den Band mit der Zuversicht, daß Geschichte wieder möglich ist: "Nach dem zweiten oder dritten Treffer erwache ich, in der ungewohnten fantastischen Gewißheit eines neuen Tags." Das Schlußgedicht "Lagerfeld" parallelisiert das dekadente Rom unmittelbar vor der Bürgerkriegsperiode der Soldatenkaiser mit der gegenwärtigen Ersten Welt. Der von Schönheit gebannte Modeschöpfer Lagerfeld nimmt die Barbarei wahr, zieht aber daraus keine Konsequenz. Dem entspricht die Umkehrung seines Namens: die "Feldlager", die innerhalb und außerhalb der Grenzen des Imperiums schon für die kommenden Kämpfe errichtet sind.

"Tumulus" schließt mit der Ankündigung eines weiteren Kampfs, der das Ich einbezieht: "Sehn Sie nun das Finale ICH ODER ICH / Salute, Barbaren". Nichts ist vom Feldherrenblick des Titelgedichts geblieben. Braun verbindet die eigenen Widersprüche mit dem Zerfall auch der gegenwärtigen Weltordnung. Er verzichtet nun auf falsche Hoffnungen.

Titelbild

Volker Braun: Tumulus.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
42 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 351841027X

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