50 Tage und Nächte Nichts

Über Martin Suters Roman "Ein perfekter Freund"

Von Tim HeptnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tim Heptner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 33-jährige Starreporter Fabio Rossi hat einen Schlag gegen den Kopf bekommen und infolge dessen jegliche Erinnerung an die letzten fünfzig Tage seines Lebens verloren. Fassungslos muss Rossi registrieren, dass er mittlerweile ohne Freundin und Arbeit ist. Seine Existenz steht also Kopf - aber weshalb? Der Journalist wird notgedrungen zum Ermittler in eigener Sache.

In seinem dritten Roman erweist sich Martin Suter als souveräner Handlungsmechaniker, der die verengte Perspektive seines amnesiegeschädigten Protagonisten straff anspannt. Geschickt gestreute Indizien nähren einen ungeheuerlichen Verdacht: Wollte sein bester Freund Lukas, der ihm schon die Freundin ausgespannt zu haben scheint, ihm auch noch eine erfolgsträchtige Story über einen Lebensmittelskandal stehlen? Dann allerdings erfassen Rossi Zweifel: Könnte es sein, dass ausgerechnet er, der idealistische Journalist, sich bei seinen Recherchen über lebensgefährliche Krankheitserreger in Schweizer Schokolade an schnöder Genussucht und Habgier angesteckt hätte?

Originell sind Verbrechen, Täuschung und Selbstverrat zu einer detektivischen Suchbewegung verwoben, die zugleich von der Genesung der Hauptfigur handelt. Endlich kündigt sich auch eine Katharsis an, als Rossi die vergessene Verwandlung in einen korrupten Zyniker ganz einsehen kann. Doch diese Selbsterkenntnis, soviel sei verraten, ist von einer aufdringlichen Unentschiedenheit und mündet in ein fragwürdig nihilistisches Finale: Denn zunächst bietet Lukas Freitod dem Helden die Gelegenheit, Reporterruhm und Liebesglück vollständig zurückzugewinnen. Rossi wiederum schreibt dem als Leiche endlich perfekt gewordenen Freund Lukas die Autorschaft über seine eigene Story zu, in der die Öffentlichkeit über die Praktiken der rücksichtlosen Schokomafia informiert wird. Rossi selbst verschwindet lieber mit dem Schweigegeld und seiner Freundin in ein italienisches Hotel "mit hängenden Gärten und einem Lift direkt zum Meer hinunter." Suter konterkariert hier insofern ein Modell der Aufklärung, als der daran beteiligte Journalist sich einfach namentlich aus der gesellschaftlichen Verantwortung lösen darf und nach der Erkenntnis seines sittlichen Fehlverhaltens zudem eine explizit materielle Belohnung und private Bestätigung erhält.

Allenfalls in einer Überzeichnung der Figuren und Schauplätze äußert sich eine Kritik, die jedoch viel zu sanft ausfällt. Ein stark gegenständliches Erzählen ist dabei tonbestimmend. Plastische Beschreibungen von Phänomenen der modernen Kommunikations-, Einrichtungs-, und Beziehungskultur werden aneinandergereiht und verleihen der Romanwelt eine stilisierte Banalität, an der sich das Entfremdungsdilemma der beschädigten Hauptfigur mitunter satirisch bricht. Ähnlich wie in seinen für die N. Z. Z. geschriebenen Minisatiren, buchstabiert Suter auch in "Ein perfekter Freund" ein Verzeichnis zeittypischer Oberflächlichkeiten. Im Roman verliert sich jedoch der Reiz dieses Verfahrens, wovon auch einige originelle Nebenfiguren - ein monströs übergewichtiger Psychotherapeut oder eine karibische Prostituierte mit Heimweh - nicht ablenken können. Der Leser ermüdet auch am gleichförmigen Stil, dem dramaturgische Betonungen unbekannt sind. Krimifreunde werden an dem spannenden Plot Freude haben. Im Ergebnis enttäuscht jedoch die Gefälligkeit, mit der sich die Erzählung auf den Opportunismus der undurchsichtigen Hauptfigur einlässt und vorhandene Provokationschancen vergibt.

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Martin Suter: Ein perfekter Freund. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2002.
338 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3257860838

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