Warten auf Rick

Marlene Streeruwitz über den Untergang des Hauses Ascher

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Untergang des Hauses Usher in Edgar Allan Poes berühmter Horrorgeschichte vollzieht sich in einer Atmosphäre unerträglicher, unentrinnbarer Düsternis. Poe verzichtet auf jede Erklärung oder Begründung, das Unheil kommt schicksalhaft. Die Geschwister Roderick und Madeline, die letzten ihres Stammes, vernichten sich gegenseitig wie unter Zwang. Er hält sie lebend eingesargt, sie erstickt ihn durch ihre Umarmung. Dann birst das Haus entzwei und versinkt im See.

Man kann "Partygirl" von Marlene Streeruwitz mit großem Gewinn lesen auch ohne Kenntnis der literarischen Verwandtschaft des Geschwisterpaares Madeline und Roderick (genannt Rick) Ascher aus Baden bei Wien. Die Parallelen zu Poe erhellen jedoch die Struktur des Romans. Da ist die "Villa", so geheimnisumwittert wie die dunkle Familientragödie in früher Kindheit, das "schreckliche Schicksal", das unentrinnbar ist wie ein Fluch und die Geschwister inzestuös aneinanderkettet bis zum furchtbaren Ende. Erklärt wird nichts, auch nicht psychologisch begründet. Da gibt es zwar die Therapeutin Dr. Mann, die bei Madeline Beziehungsunfähigkeit diagnostiziert und Emanzipation verordnet "wie Schnupfentropfen", aber es ist klar, dass sie den Kern nicht trifft.

Der Eindruck des Unentrinnbaren, bei Poe wortreich beschworen, entsteht bei Streeruwitz durch die verstörende Erzählstruktur. Der Roman beginnt "Oktober 2000. Chicago" mit dem schrecklichen Ende und steigt dann mit jeder weiteren Episode tiefer hinein in die Vergangenheit, zurück bis "Juni 1950. Baden", nicht allerdings in der üblichen analytischen Technik, die im Rückblick aufdeckt, erklärt und Sinn stiftet. Zwar wird Madeline im Lauf des Romans immer jünger, aber es wird keine Entwicklung sichtbar; die Episoden erklären nicht, sondern zeigen das immer gleiche Elend; nirgends taucht der Ort auf, wo noch alles gut war, und durch das an den Anfang gestellte furchtbare Ende ist jede Zukunftshoffnung blockiert.

Trotzdem bringt "Partygirl" großen Lese- und Lustgewinn. Marlene Streeruwitz hat sich mit ihren zerhackten und verdrehten Sätzen ein ganz eigenes, kraftvolles, erstaunlich modulationsfähiges Sprachinstrument geschaffen. Erzählt wird konsequent aus Madelines Perspektive, in einer Art innerem Monolog, der angestoßen wird von der jeweiligen Situation und Umgebung - der trüben Atmosphäre einer chemischen Reinigung in Chicago oder dem Treiben der halbseidenen Gesellschaft im Ferienhaus auf Kreta oder der Schickeria-Kneipe in Wien. So entstehen Szenen von großer Unmittelbarkeit und nicht ohne Komik. Madeline erscheint durchgängig in lähmender Defensive gefangen. Sie hat keinen Beruf und eigentlich nichts zu tun. Sie ist nicht dumm, aber nicht in der Lage nachzudenken; eine Frau, die ihr Leben nicht selbst in die Hand nehmen kann und ohne Bewusstsein ihres Wertes alles mit sich machen läßt. "Kein Zugang zu sich und in sich gelangen nicht möglich." Zerfließend, von immer den gleichen Panikattacken bedrängt, sucht sie fast nymphomanisch Halt bei den Männern, die sie verachtet und von denen sie verachtet wird. Der einzige Ausweg scheint die Flucht. Immer will sie weg, wegfahren, von einem Land ins andere, immer in Verfolgung oder Erwartung von Rick. Allein ist sie nichts.

Marlene Streeruwitz erhält für ihr bisheriges Werk den diesjährigen Walter-Hasenclever-Literaturpreis der Stadt Aachen. In "Partygirl" bietet sie erneut eine brillante Darstellung weiblicher Lebenswirklichkeit. Dabei geht es nicht um feministische Anklage. Die Männer sind zwar fast durchweg abstoßend, grob, geil und rasen mit dem Auto herum. Sie sind aber nicht klar erkennbar die Wurzel des Übels. Was eher ins Auge springt ist die völlige Verständnislosigkeit zwischen Männern und Frauen und das Unheil, das daraus erwächst. Beide, der männliche wie der weibliche Teil des schicksalhaft verstrickten Geschwisterpaares, gehen gleichermaßen unter in dem Fall des Hauses Usher.

Titelbild

Marlene Streeruwitz: Partygirl. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
416 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3100744268

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