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Das IX. Symposium der Internationalen Assoziation von Philosophinnen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon lange begnügen sich feministische Philosophinnen nicht mehr damit, den männlich geprägten Kanon zu kritisieren oder der manifesten und latenten Frauenfeindlichkeit klassischer Texte nachzuspüren. Längst haben sie einen eigenen philosophischen Diskurs entwickelt, sind mit innovativen Philosophemen in der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie ebenso wie in der Ethik und der Ästhetik hervorgetreten. Dabei hat sich feministische Philosophie nicht etwa zu einer eigenständigen philosophischen Disziplin verselbstständigt - das wäre nicht nur wegen der damit verbundenen Randständigkeit und Ghettoisierung verfehlt -, sondern sie hat sich zu einer die philosophischen Disziplinen übergreifenden Methode entwickelt. Im Zuge dieser Entwicklung haben sich verschiedene, einander oft genug widerstreitende 'Schulen' herausgebildet, so dass es verfehlt wäre, von der einen feministischen Philosophie zu reden.

Im Herbst des Jahres 2000 wurde die Innovationskraft und Virulenz feministischen Philosophierens einmal mehr unter Beweis gestellt. Mehr als 140 Referentinnen aus über zwanzig Ländern fanden sich zum IX. Symposium der Internationalen Assoziation von Philosophinnen ein, das vom 11. bis 14. Oktober an der Universität Zürich stattfand. Die sechs Hauptbeiträge liegen nun zusammen mit 92 Referaten als Buch mit dem Titel "Wissen Macht Geschlecht" vor. "Wissen Macht Geschlecht, Geschlecht macht Wissen", erläutern die Herausgeberinnen Birgit Christensen und Sidonia Blättler das Motto des Symposiums. Die drei Begriffe benennen nicht nur "zentrale Themenfelder" feministischer Philosophie und Theorie, sondern stehen in "wechselseitigen Konstituierungsprozesse[n]", die in "Feldern der Macht" stattfinden. Der unter dem Schwerpunktthema "Perspektiven der Gerechtigkeit" stehende Tagungsband gewährt nicht nur Einblicke in die Vielfalt und Fruchtbarkeit gegenwärtigen feministischen Philosophierens, sondern auch so manche Einsichten. Neben dem umfangreichen Schwerpunkt enthält der Band eine Fülle weiterer Rubriken: "Ethik und Moral", "Politik und Recht", "Sprache, Diskurs, Macht", "Konzeptionen von Geschlecht", "Geschichte der Philosophie" sowie "Rationalität, Erkenntnis und Wissenschaft". In den sechs Hauptbeiträgen melden sich einige der namhaftesten Philosophinnen deutscher und englischer Sprache zu Wort. So zieht Herta Nagl-Docekal 30 Jahre nachdem Philosophinnen begannen, "ihr Fach mit dem Faktum der vielfältigen Benachteiligung von Frauen zu konfrontieren", eine Zwischenbilanz "feministisch motivierte[n] Philosophieren[s]" und Herlinde Pauer-Studer greift in die kontroverse Diskussion um Autonomie als mögliches feministisches Ziel ein, indem sie sich für eine "autonomy-oriented political theory" stark macht. Alison M. Jaggar übt "feminist critique of the alleged southern debt" und vertritt die Auffassung, "that strong feminist reasons exist for cancelling much of the dept allegedly owed by developing countries". Brigitte Weisshaupt widmet sich in einem äußerst intensiven Text "Begriff und Metapher des Weiblichen", und gelangt zu einer Kritik an Derridas "Weibliche[m] als Metapher für das Nichtfestlegbare". Weiblichkeit, so die Autorin, sei weder ein "logozentrisch identifizierbares (universelles) Eines", noch sei sie eine "Metapher im Sinn einer erneut über das Bild und die Bildbeschreibung inszenierten Einheitlichkeit". Vielmehr handele es sich zugleich um eine "tradierte Anthropologie" als auch um einen "offene[n] anthropologische[n] Entwurf". Angelika Krebs begründet in einem argumentativ gründlich strukturierten und begrifflich genauen Beitrag, warum feministische Philosophie nicht auf Gleichheit setzen sollte. Nachdrücklich kritisiert sie, dass die Vertreter des Egalitarismus "'Allgemeinheit' mit 'Gleichheit'" verwechseln und plädiert für einen "feministischen Humanismus". Die Vergewaltigung von Frauen sei beispielsweise "kein Problem von Ungleichheit", also nicht darum problematisch, "weil Männer vergleichsweise selten vergewaltigt werden". Vielmehr sei sie ungerecht, weil sie "einen für jeden Menschen schrecklichen Verstoss gegen die leibliche Integrität" darstellt; also weil sie inhuman ist.

Nicht in jedem Punkt zu überzeugen vermögen Hilge Landweers Ausführungen über die von ihr behaupteten Evidenzen von Recht und Unrecht. Und das nicht einmal in erster Linie deshalb, weil sie es unternimmt, diese Evidenzen zu begründen - womit sie die quer durch sämtliche philosophischen Schulen vertretene Auffassung stillschweigend unter den Tisch fallen lässt, der zufolge Evidenz den Gegensatz zur diskursiven beziehungsweise methodisch entwickelten Erkenntnis bildet, also nicht begründbar ist. Nun muss Landweer das allgemeine Verständnis von Evidenz natürlich nicht teilen. Da sie den Begriff offenbar in einem ganz eigenen Sinn verwendet, so wäre es jedoch hilfreich, wenn sie explizit machen würde, was sie darunter versteht.

Evidenzen von Recht und Unrecht, so Landweer jedenfalls, gründen "primär auf Gefühlen". Worum es ihr geht, ist das Primat des Gefühls von Recht und Unrecht gegenüber seiner reflexiven beziehungsweise rationalen Begründung nachzuweisen. Denn eine "stärkere Orientierung an der Gefühlsbasis des Rechts" könne dazu beitragen, "dass die aus dem Lot geratenen feministischen Relevanzsysteme" sich wieder neu und hinsichtlich der Bereitschaft zu politischem Engagement "realistischer" gruppieren können. Landweers zentrale These lautet daher, "dass Evidenzen des Gefühlslebens sowohl notwendige als auch hinreichende Bedingung für Evidenzen über Recht und Unrecht" seien. Zwei Gefühle seien in diesem Zusammenhang relevant: die "moralische Scham" und der "gerechten Zorn". Sicher handelt es sich bei diesen beiden Gefühlen um anthropologische Konstanten, die von allen Menschen unabhängig von ihrer jeweiligen Kultur empfunden werden. Als solche sind sie kulturinvariant. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle Menschen bei den gleichen Anlässen moralische Scham oder gerechten Zorn empfinden. Vielmehr wäre leicht aufzuzeigen, dass dies gerade nicht der Fall ist. Wie evident auch immer die einander widerstreitenden moralischen Gefühle jeweils subjektiv erscheinen mögen, ihr Streit ist nur mit Hilfe vernünftiger Reflexion zu entscheiden. Landweers Argument, der zweite Teil ihrer These treffe zu, "weil faktisch unzweifelhaft Gefühle vorkommen, die genau die Eigenschaft haben, solche Evidenzen zu liefern", ist also nicht triftig. Plausibel bleibt nur der erste Teil der These, dem zufolge die Gefühle der moralischen Scham und des gerechten Zorns notwendige Voraussetzung begründeter moralischer Urteile sind. Nicht einleuchtend ist hingegen, dass sie darüber hinaus deren hinreichende Bedingung seien.

Besonderes Interesse dürfte den unter der Rubrik "Konzeptionen von Geschlecht" versammelten Referaten zukommen, denn nicht umsonst betonen die Herausgeberinnen, dass in der feministischen Theorie heute "nichts weniger als der Gegenstand ihrer selbst" in Frage steht: "Die Kategorie 'Frau' und die Legitimität dieser Kategorie als Grundlage von Politik". Genau dieser Frage, "Was 'Frau' bedeutet", widmet sich Eva Waniek. Elisabeth de Sotelo wendet sich hingegen Aspekten der Geschlechterdifferenz in psychoanalytischen Texten zu, Linda Fisher beleuchtet "[t]he Character of Sexual Difference" und Charlotte Annerl kritisiert, "dass die Kategorie 'Gender' deshalb in Schwierigkeiten" komme, weil sie mit der Kategorie 'sex' "näher verbunden" sei, "als die feministische Kritik wahrhaben möchte". "Alles Äußere, Sichtbare menschlicher Lebensführung", so Annerl, sei entweder "auf Inneres rückführbar ('sex')" oder es sei "ohne einen solchen Kern ein beliebig auswechselbares Kleid, eine blosse Äusserlichkeit ('gender')".

Dass bei all dem immer noch zu Unrecht vergessene Philosophinnen ebenso zu entdecken sind, wie auch das kritische Geschäft gegenüber der 'philosophischen' "Projizierung und Inszenierung von Männerphantasien" unabgeschlossen ist (und wohl auch bis auf weiteres unabgeschlossen bleiben wird), belegen die Beiträge von Helga Guthmann und Martha Zapata Galindo. Wie Galindo anhand von Peter Sloterdijks "Kritik der zynischen Vernunft" und der "Regeln für den Menschenpark" zeigt, artikuliert sich die "philosophische Anstrengung" des alles andere als meisterlichen Denkers auf der ZDF-Bühne in "geschlechtsspezifischen Metaphern", mit denen nicht nur die "patriarchalische Männerdominanz" reproduziert und legitimiert wird, sondern in denen sich zudem ein "misogyne[r] Habitus" ausdrückt.

Guthmann widmet sich Helene Druskowitz, die man nur deshalb nicht als zu Unrecht als vergessen bezeichnen kann, weil sie nie wirklich bekannt gewesen ist. Druskowitz, eine der ersten promovierten Philosophinnen, publizierte zunächst über englische SchrifstellerInnen. Erst später schrieb sie zahlreiche Theaterstücke und verfasste eine Reihe philosophischer Schriften. In jüngeren Jahren war sie mit Nietzsche bekannt, der sie und ihren Intellekt genau bis zu dem Moment schätzte, als sie eine vehemente Kritik seiner Schriften verfasste. Druskowitz vertrat einen Pessimismus, der denjenigen Schopenhauers mühelos in den Schatten stellt, und sie geißelte in ihrer Schrift "Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt" die Männer mit der Wut einer Valerie Solanas, die bekanntlich das "Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer" verfasste und auf Andy Warhol schoss. Druskowitz' Utopie, schreibt Guthmann also völlig Zurecht, war nicht "heiter-weiblich". "In ihrem durch und durch pessimistischem Gedankengebäude", so die Autorin, "spielen die Frauen die Rolle der 'Führerinnen in den Tod'". Mit ihrer "radikalen Forderung", die Städte nach Geschlechtern zu trennen, und mit der Verpflichtung der Frau zur Ehelosigkeit strebte die feministische Pessimistin das "Aussterben" des menschlichen Geschlechts an. In dieser negativen Erlösungsphilosophie macht Guthmann den Grund aus, warum Helene Druskowitz "unter Feministinnen nicht so populär" ist. Druskowitz' Philosophie, fährt die Autorin fort, "mag zwar nicht jederfrau Sache sein, aber sie ist wenigstens interessant. Jedenfalls hätte sie mehr Interesse verdient, als ihr bisher zugekommen ist." Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen.

Titelbild

Birgit Christensen / Angelika Baum / Sidonia Blättler / Anna Kusser / Irene Maria Marti / Brigitte Weisshaupt (Hg.): Wissen, Macht, Geschlecht. Philosophie und Zukunft der "condition féminine". IX. Symposium der internationalen Assoziation von Philosophinnen.
Chronos Verlag, Zürich 2001.
862 Seiten, 56,20 EUR.
ISBN-10: 3034005253

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