Hessen kriminell

Ein Reiseführer besonderer Art

Von Arnd BeiseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Arnd Beise

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Angestiftet vom Hessischen Rundfunk machten sich achtundzwanzig Autoren auf und inspizierten dreißig Schauplätze in Hessen, an denen Kriminelle ihre Tat verübten, an ihr scheiterten oder wo die Obrigkeit ihnen das Handwerk legte. Das Vorhaben: den Tatort als "konspirativen Teilhaber" des Geschehens zum Sprechen zu bringen. Die Hoffnung: noch in der vermeintlichen Idylle den "Schauder" des Verbrechens zu verspüren.

Die Schauplätze sind über ganz Hessen verteilt: Von Grasellenbach im Süden bis Kassel im Norden, von Weilmünster im Westen bis Gersfeld im Osten. Nicht unerwartet bietet Frankfurt, Hessens statistische Kapitale des Verbrechens, die meisten Schauplätze; doch auch die alten Hauptstädte Kassel und Darmstadt, sogar das beschauliche Marburg sind mehr als einmal vertreten. Die Fälle reichen von Hagens halbmythischem Mord an Siegfried bis zum komischen Scheitern eines großangelegten Raubüberfalls am Egelsbacher Bahndamm 1996. Die meisten Fälle datieren aus der Zeit Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts sowie der jüngsten Vergangenheit.

Weit über die Hälfte der Besuche gelten Orten tödlicher Gewalt: Mordstätten oder Hinrichtungsplätzen. Es ist wohl doch vor allem der plötzliche Tod, der die "heimliche Lust am Schauder" verbürgt. Doch es gibt noch mehr: Brandstiftung aus Verzweiflung, Schändung einer bischöflichen Leiche, Raub ohne Todesfolge; auch die Hinterlassenschaften des Baulöwen und Milliardenbetrügers Jürgen Schneider werden besichtigt.

Unnötig zu sagen, daß nicht alle Beiträge von gleicher Qualität sind. Manchmal handelt es sich eher um archivalische Bestandsaufnahme als um einen literarischen Ortstermin. Einigermaßen häufig sogar scheint der Tatort nur Anlaß einer Hintergrundreportage oder eines Essays gewesen zu sein, ohne daß er darin selbst zum Thema würde. Besonders bei den jüngsten Fällen scheinen die Autoren noch zu sehr unter dem Bann der Tat zu stehen, als daß sie den Tatort wirklich hätten auf sich wirken lassen können oder wollen.

Muß erst geraume Zeit ins Land gegangen, im wahrsten Sinn des Wortes: Gras über die Sache gewachsen sein, bevor dem Ort eine beschreibare, gleichsam kriminelle Aura zuwächst? Das müssen die Leser des Bands vor Ort selbst entscheiden.

Als erster Leser fuhr der Verleger an die Tatorte und dokumentierte ihren Zustand heute. Dieter Mayer-Gürrs Fotografien der Lokalitäten sind keine bloßen Illustrationen der Texte, sondern fast durchgehend eigenständige Beiträge, die durch ihre besondere Perspektive noch den banalsten Wald- und Wiesenweg als Ort eines Ereignisses erfahrbar machen, das die gewöhnliche Ordnung der Dinge wenigstens für einen Moment irritierte.

Titelbild

Martin Maria Schwarz / Ulrich Sonnenschein: Hessen kriminell.
Jonas Verlag, Marburg 1999.
144 Seiten,
ISBN-10: 3894452536

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