Wohltönende Verlockung

Durs Grünbein Gedichte aus 13 Jahren, gelesen auf CD

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einige Verse haben sich mit der Stimme der Dichter in unser Gedächtnis eingeprägt, nicht immer zu beider Vorteil. So hören und wissen wir also, dass Gottfried Benn des Englischen nicht mächtig war und trotzdem immer wieder englische Wörter in seine Reime zwang (nevermore/Ohre). Das Pathos seiner Tonlage schrammt überdies hörbar am Kitsch entlang. Eher befremdlich klingt auch die brüchige Stimme der jungen Ingeborg Bachmann. Paul Celan gar ist so ergriffen vom eigenen Vers, dass er vernehmlich um Fassung ringt.

Durs Grünbein ist weit entfernt von diesen Fallen des Vortrags. Seine durchweg sachliche Lesart entspricht exakt dem scharf sezierenden Blick seiner Gedichte, der lakonisch und bisweilen sarkastisch über eine lyrische Trümmerlandschaft wandert. Seine sparsamen Betonungen werfen Schlaglichter auf bisweilen überraschende Details oder heben die zyklische Struktur der Gedichte hervor. Grünbeins Gedichte sind in hohem Maße Verständigungstexte, sie haben, wie Helmut Böttiger, der Autor des Begleitbuches, schreibt, "den Charakter einer vorläufigen Definition". In der stoischen Pose des Vortragenden entfaltet sich zwar keine Werkaura, wohl aber eine Rhetorik des Wissens, die eine Brücke bis in die Antike schlägt.

Das recht umfangreiche Booklet führt die Gedichte gewissenhaft ein, erklärt ihre Herkunft und Formeigenheiten und weist höchst einleuchtend die Referenztexte nach, auf die sich der poeta doctus in vielen Fällen bezieht. Trotzdem ist es bedauerlich, dass die Gedichte, die angefangen vom ersten Band "Grauzone morgens" (1988) bis zu noch unveröffentlichten Texten aus der Gegenwart reichen, selbst nicht abgedruckt sind, weshalb sie hier auch nur schwerlich zitiert werden können. Bedauerlich deshalb, weil das gesprochene Wort naturgemäß flüchtig ist, zum anderen aber auch, weil im Vortrag etwa das zersplitterte Zeilenbild, das die für Grünbeins zentrale Poetik des Fragments widerspiegelt, nicht erkennbar wird. Das Hörbuch ist also lediglich eine Ergänzung zum Geschriebenen oder aber eine wohltönende Verlockung zur Lektüre.

Titelbild

Durs Grünbein: Das Ohr in der Uhr. Gedichte aus 13 Jahren. 1 CD. Gelesen vom Autor.
Der Hörverlag, München 2001.
72 Minuten, 15,90 EUR.
ISBN-10: 3895845140

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