Mein Herz ist bewegt und ich habe keine Worte dafür

Die zweibändige Auswahl von Schillers Briefen 1772-1805 in der Bibliothek deutscher Klassiker

Von Arnd BeiseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Arnd Beise

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Irgendwer hat einmal gesagt, bei Schillers Briefen handle es sich durchweg um eine Art Geschäftskorrespondenz, ganz gleich, ob es sich um Verlagsverhandlungen oder Heiratspartien handle, um literaturtheoretische Überlegungen oder freundschaftliche Erinnerungen. Wie jedes Pauschalurteil ist auch dieses natürlich maßlos übertrieben, doch ist es insofern wahr, als dass Schiller zu keinem Zeitpunkt sich selbst in einem Brief ganz gab. Von der empfindsamen und romantischen Briefkultur war er meilenweit entfernt. Rückhaltlose Herzensergießungen sucht man bei ihm vergebens. Briefe waren bei Schiller nicht Selbstzweck, und der Gedanke an eine Publikation führte ihm beim Schreiben der Episteln offenbar auch nicht die Feder, jedenfalls intendierte er sie nicht als Kunst-Werke. Vielmehr scheinen seine Briefe größtenteils aus einem augenblicklichen Mitteilungsbedürfnis geboren zu sein oder aus der Notwendigkeit einer Verständigung über Probleme, darin wirken sie mitunter recht zeitgenössisch.

Wie kaum ein anderer Klassiker der deutschsprachigen Literatur dürfte Schiller das Fehlen des Telefons als Mangel empfunden haben, wenn er denn eine Ahnung von der Möglichkeit fernmündlichen Gesprächs hätte haben können. Oft drückte ihn das Gewissen wegen nicht erledigter Korrespondenz. Bis zuletzt musste er immer wieder Entschuldigungen anbringen: "Daß ich Ihren vorlezten Brief unbeantwortet ließ kann ich nur durch eine Flut von Zerstreuungen, Geschäften und Vorfällen, worunter auch Traurige waren entschuldigen. Es begegnet mir leider oft bei dem besten Willen, mich ein[er] solchen Nachläßigkeit schuldig zu machen, es ist die alte Klage meiner intimsten Freunde und also, wie Sie sehen, kein Beweis meiner Lieblosigkeit", so am 15. November 1802 an die junge Dichterin Louise Brachmann.

Als er am 15. November 1789 endlich einmal zehn Briefe nacheinander erledigt hatte, war ihm "ordentlich leichter ums Herz, daß einige der schwersten Schulden abgetragen sind." Die Unzulänglichkeit des Mediums Brief war Schiller gerade in persönlichen Verhältnissen nur zu bewusst. In einem elften Brief, den er an jenem Tag an die zwei geliebten Schwestern Caroline von Beulwitz und Charlotte von Lengefeld schrieb, bedauerte Schiller zwei frühere Briefe: "Ich habe euch zweymal nach einander so düstre und unruhige Briefe geschrieben. Sie waren der Abdruck meiner damaligen Geistesstimmung, aber ich finde doch, daß ich sie nicht hätte fortschicken sollen. [...] Das ist überhaupt ein übler Umstand beym Briefeschreiben. Das Gemüth ändert sich schneller, als der Brief an Ort und Stelle kommt, und man weiß den andern in einem Irrthum, den man ihm selbst gegeben hat, ohne ihn sogleich wieder daraus reissen zu können." Hätte Schiller nur ein Telefon gehabt! Er hatte aber keins, und daher musste er Brief um Brief schreiben, um sich zu erklären.

Um so mehr muss man bedauern, dass seine Briefe keineswegs so vollständig überliefert sind, wie es zu wünschen wäre. Gerade in sogenannten Herzensdingen fehlt uns so manches Zeugnis. Sei es, weil frühe Liebschaften ohne Ahnung, dass sie einem künftigen Klassiker begegneten, Schillers Werbe-Zettel wegwarfen; sei es, weil Schillers Tochter später im 19. Jahrhundert vermeintlich indezente Dokumente vernichtete, die dem Ruf des als idealistischen Klassiker inthronisierten Vaters nicht nur ihrer Meinung nach hätten schaden können.

Allen Zeitläuften zum Trotz sind aber rund 2.200 Briefe von Schillers Hand überliefert; 890 davon sind in den beiden Bänden, mit denen die zwölfbändige Schiller-Ausgabe im Deutschen Klassiker Verlag schließt, versammelt, darunter 28 Briefe, die erstmals in einer Gesamtausgabe erscheinen. Es verdient hervorgehoben zu werden, dass anders als sonst in der Bibliothek deutscher Klassiker die Briefe hier nicht in modernisierter, sondern in originaler Schreibung geboten werden. Die Edition basiert auf den entsprechenden Bänden der Nationalausgabe (erschienen 1956-1992), sind hier aber zum Teil erstmals ausführlich kommentiert.

Der Kommentar ist das größte Verdienst der Ausgabe. Allerdings lässt auch er gelegentlich zu wünschen übrig. So schreibt der junge Schiller 1784 an den Intendanten des Mannheimer Nationaltheaters, dass er hoffe, "der teutschen Bühne mit der Zeit durch Versezung der klaßischen Stüke Corneilles, Racines, Crebillons und Voltaires auf unsern Boden eine wichtige Eroberung zu verschaffen"; im Kommentar finden sich dazu ausschließlich die Vornamen und Lebensdaten der französischen Dichter, die man in jedem Lexikon und darüber hinaus auch noch im kommentierten Personenregister der Ausgabe selbst nachschlagen kann. Stattdessen hätte eine Erläuterung hierher gehört, für welche Theaterästhetik diese Namen stehen, welche Bedeutung die Berufung auf diese klassizistischen Autoren im Kontext der in Deutschland geführten poetologischen Debatten hatten und welche Hoffnungen Schiller persönlich mit der Übersetzung der "klaßischen Stüke" verband. In solcher Hinsicht aber ist der Kommentar allzu häufig allzu knapp. Auch die Nachworte in den beiden Bänden sind sehr knapp ausgefallen und erfüllen ihre Aufgabe, Schiller als Verfasser von Briefen einlässlich zu charakterisieren, nicht. Gerade weil Schiller nicht als einer der Großen dieser Gattung gilt - das "Schiller-Handbuch" von 1998 zum Beispiel kennt keinen Artikel zu diesem Thema -, wäre die vorliegende Ausgabe der geeignete Ort gewesen, den Autor einmal epistolografisch genauer unter die Lupe zu nehmen.

Am enttäuschendsten aber ist die Tatsache, dass es sich abermals um eine Ausgabe von Briefen handelt, die Schiller geschrieben hat - und nicht um eine integrierte Auswahlausgabe des Briefwechsels. Daran fehlt es nämlich im Gegensatz zu mehr oder weniger umfangreichen Editionen der Briefe Schillers. Zwar übertrifft die vorliegende Ausgabe alle anderen Auswahleditionen quantitativ weit, was aber nicht unbedingt einen qualitativen Vorteil bedeutet. Ich frage mich, ob nicht auch die straffer ausgewählten Ausgaben von Streitfeld/Žmegac (1983) oder Koopmann (2000) einen guten Eindruck des ganzen Schillers vermitteln.

Es lässt sich nicht bestreiten, dass anders als etwa bei Lessing (der innerhalb derselben Bibliothek deutscher Klassiker 1987 bis 1994 eine dreibändige Ausgabe des Briefwechsels erhielt) Schillers Briefwechsel nicht immer dialogischen Charakter hat. Wilhelm von Humboldt hatte schon 1830 in der Vorrede zur Ausgabe seines eigenen Briefwechsels mit Schiller betont, dass Schillers Gespräch und alle seine Arbeiten in erster Linie von "angestrengter Selbstthätigkeit" zeugen, und auch "seine Briefe zeigen dieß deutlich". Zwar war Schiller ein geselliger Mensch und unterhielt sich leidenschaftlich gern, doch seine Briefe haben eine Tendenz zum räsonierend Abstrakten, zur Reflexion statt zur "Herzensergießung". Häufig vertröstet er Adressaten auf ein späteres Gespräch: "Ueber das Einzelne hoffe ich Sie selbst zu sprechen, dieß sind nur meine Empfindungen über das Ganze", heißt es einmal.

Späterhin nahmen die Briefe sogar etwas Monologisches an, wurden zu Essays, weswegen sie zum Teil nicht hier erscheinen, sondern in Band 8 der Ausgabe ("Theoretische Schriften"), wie die ästhetischen Briefe an den Herzog von Augustenburg oder die sogenannten Kallias-Briefe an seinen Freund Christian Körner. "Aber ich bemerke, daß ich anstatt eines Briefes eine Abhandlung zu schreiben im Begriff bin", fällt er sich 1794 einmal selbst in die Parade.

Aber auch wenn er nicht räsonierte, ist das Monologische insofern nicht zu übersehen, als die Briefe meistens ziemlich ichbezogen sind. An Körner schreibt er einmal: "Mein heutiger Geburtstag erinnert mich, daß ich Dir lange nicht geschrieben habe". In diesem Zusammenhang ist Schillers Klage über Goethes "ungewöhnlichen Grad" an "Egoismus" (zu einem Zeitpunkt geäußert, als die beiden noch nicht befreundet waren) geradezu komisch zu nennen. Da hatte ein Egomane ganz offensichtlich seinen Meister in einem noch größeren gefunden. Übrigens sind Schillers Briefe an Goethe nicht so egozentrisch wie die anderen.

Ansonsten dominiert, vor allem natürlich in den dürftigen frühen Jahren, die Sorge ums eigene Fortkommen, später dann die Sorge um das eigene Werk und die gemeinschaftlich mit Goethe betriebene Literaturpolitik, ihr "Commercium". Alles, was ihn nicht unmittelbar anging oder gerade interessierte, wird relativ flüchtig abgehandelt. Gleichwohl oder gerade deshalb wüsste man häufig nur zu gern, was genau eigentlich im vorausgehenden oder nachfolgenden Schreiben des Briefpartners oder der Briefpartnerin gestanden hat und wie diese auf Schillers Mitteilungen reagierten. Man kann in dieser Ausgabe nicht nachvollziehen, was Schiller meinte, als er am 17. Oktober 1796 an den Freund Körner schrieb: "Diesen Augenblick erhalte ich Deinen Brief, der mir große Freude macht" (im Kommentar wird man auf Band 36/1 der Nationalausgabe verwiesen, in der man sowieso alle Briefe von und an Schiller nachlesen kann).

Macht denn die einseitige Lektüre von Schillers Briefen heutigen Leserinnen und Lesern "große Freude"? Manchmal schon. Auf jeden Fall lernt man Friedrich Schiller zwar nicht intim, aber ganz gut kennen: den gewieften Geschäftsmann zum Beispiel, der zwar gegenüber seinem Verleger von sich behauptet, eine "Scheu vor allem Mercantilischen" zu haben (13. Oktober 1801), was aber nicht stimmt, wie man seinen in jeder Hinsicht professionellen Geschäftsbriefen ablesen kann; oder den gleichzeitig nüchternen und begeisterbaren, schlüpfrigen und verklemmten Anbeter schöner und geistreicher Frauen; in den frühen Jahren besonders den leicht wirklichkeitsfremden "Enthousiasmus" des aufmüpfigen Karlsschülers und stürmerischen Theaterdichters; gelegentlich den witzigen Anekdotenerzähler; später den außerordentlich fleißigen Journaleur und akademischen Historiker, sowie besonders in den Weimarer Jahren auch den - manchmal augenzwinkernden - Intriganten.

An seinen "vortreflichen Freund" August Wilhelm Schlegel schrieb Schiller immer mit ausgesuchter Freundlichkeit über dessen "schöne" Gedichte, die ihm stets "sehr willkommen" seien und "große Freude" machten, "wie alles was Sie mir senden" (1795-1797). Ein Jahr später gestand Schiller dem vertrauten Goethe, es sei ihm "absolut unbegreiflich", wie namentlich dieser Schlegel bei seinem sonst recht guten Urteilsvermögen die "Trockenheit seiner eigenen Werke, diese dürre und herzlose Kälte auch nur ertragen, ich will nicht sagen, schön finden kann". Andererseits fielen die Romantiker beim Lesen von Schillers Balladen vor Lachen von den Stühlen, da gab man sich damals in Jena nichts.

Köstlich ist es auch, wenn bei Schiller der Schalk durchkommt. Wiederum an Goethe schreibt er (am 30. November 1803) über seinen philosophierenden Landsmann Georg Wilhelm Friedrich Hegel, er habe den typisch "deutschen Nationalfehler", nämlich einen "Mangel an Darstellungsgabe", könne sich also nicht allgemein verständlich ausdrücken. Nun fiel ihm der in seiner Umgebung lebende klassizistische Kunsttheoretiker, Professor und Bibliothekar Karl Ludwig Fernow ein, der sich zwar verständlich ausdrücken konnte, aber wenig Substanz hatte. "Suchen Sie doch Hegeln und Fernow einander näher zu bringen, ich denke es müßte gehen, dem einen durch den andern zu helfen. Im Umgang mit Fernow muß Hegel auf eine Lehrmethode denken, um ihm seinen Idealismus zu verständigen, und Fernow muß aus seiner Flachheit herausgehen."

Obwohl es in seinem Naturell lag, lebte Schiller seine Schalkhaftigkeit nicht eben häufig aus. Meist stand die witzige Gelassenheit im lebenslangen Kampf um die materielle und künstlerische Existenz zurück. Leichtigkeit des Daseins verspürt man bei Schiller fast nie. "Ich kann mir die Resignation, die Genugsamkeit nicht geben, die eine Stärke weiblicher Seelen ist. Ungeduldig strebt die meinige alles zu vollenden, was noch nicht vollendet ist", heißt es einmal. Mit tiefem Ernst und anhaltendem Fleiß arbeitete er an seinem Œuvre, das besonders zuletzt sein eigentliches Leben zu sein schien. Während seiner Krankheit Ende 1804 war an "eine glückliche freie Thätigkeit" gar "nicht zu denken"; und doch war es ausschließlich "einige Arbeit", die ihm "über die harte Periode hinüber zu helfen" geeignet war. Also übersetzte er Racines "Phèdre", eine im übrigen von "gewißenhafter Treue" geprägte, recht gelungene Übersetzung, der man nicht anmerkt, dass sie in doloribus entstanden ist.

Viel Zeit, die ihm Ablenkung erlaubt hätte, blieb Schiller in der Tat nicht. Gesundheitlich war er zeitlebens nicht besonders stabil, gegen Ende seines Lebens war er überwiegend krank. Die "Natur hilft sich zwischen 40 und 50 nicht mehr so als im 30sten Jahr. Indeßen will ich mich ganz zufrieden geben, wenn mir nur Leben und leidliche Gesundheit bis zum 50 Jahr aushält", schrieb er am 25. April 1805 an Freund Körner. Zwei Wochen später war der erst 45-jährige tot.

Titelbild

Friedrich Schiller: Briefe 2. 1795-1805. Friedrich Schiller Werke und Briefe Bd. 12.
Herausgegeben von Norbert Oellers.
Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
1.428 Seiten, 82,00 EUR.
ISBN-10: 3618613202

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Titelbild

Friedrich Schiller: Briefe I. 1772-1795. Friedrich Schiller Werke und Briefe Bd. 11.
Herausgegeben von Georg Kurscheidt.
Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
1.340 Seiten, 82,00 EUR.
ISBN-10: 3618613105

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