Lebenswerk im Dienste Döblins: Zum Tod des Literaturwissenschaftlers Anthony W. Riley

Anthony W. Riley, der seine literaturwissenschaftliche Arbeit ein viertel Jahrhundert lang in höchst produktiver Weise der Edition von Alfred Döblins Werken widmete, ist Anfang April dieses Jahres im Alter von 74 Jahren gestorben. Der gebürtige Engländer studierte in Manchester, Freiburg und Tübingen. 1958 schloss er sein Studium mit einer von Friedrich Beißner betreuten Dissertation über Thomas Mann ab, lehrte danach zeitweilig in London am Queen Mary College und wurde 1962 nach Kanada an die Queen's University Kingston, Ontario, berufen. Er war Präsident der "Canadian Association of University Teachers of German" und Mitglied der "Royal Society of Canada". Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt er 1989 als erster Wissenschaftler den neu gestifteten Konrad Adenauer-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung.

Mitte der siebziger Jahre übernahm er die Aufgabe, die Edition der 1960 von Walter Muschg begründete Werkausgabe Alfred Döblins fortzuführen und auf eine philologisch solide Basis zu stellen. Das von ihm geleitete Projekt wurde zu seinem Lebenswerk. Er konnte es zusammen mit einer kleinen Gruppe von Koeditoren, bei deren Wahl er eine glückliche Hand hatte und die er kompetent beriet, weitgehend abschließen. 37 Bände umfasst die Ausgabe heute. Acht davon hat Riley selbst kritisch ediert und kommentiert, darunter Döblins frühe Prosa, seine Autobiographie Schicksalsreise sowie zahlreiche kleine Schriften und journalistische Publikationen des Autors. Die Edition hat, bedingt durch oft schwierige Umstände, gewiss ihre Schwächen. Ihr Konzept ist für die Benutzer nicht leicht zu durchschauen, und die einzelnen Bände sind sehr unterschiedlich angelegt. Die große Stärke dieser Ausgabe liegt jedoch darin, dass Riley mit ihr pragmatisch, flexibel, durchaus konsequent und insgesamt mit Erfolg ein sinnvolles Ziel verfolgte: nämlich das, wie er in einem der letzten Bände formulierte, "gesamte Oeuvre Alfred Döblins auf wissenschaftlich gesicherter Textgrundlage wieder zugänglich zu machen." Im Vergleich zu vielen anderen, vielleicht insgesamt kohärenter angelegten und akribischer durchgeführten Editionsprojekten, im Vergleich zumal mit den Unzulänglichkeiten von Ausgaben so bedeutender Autoren wie Thomas Mann (was sich erst jetzt ändert) oder Sigmund Freud (was sich so schnell nicht ändern wird) ist diese ohne große Unterstützung durch öffentliche Gelder vorgelegte Döblin-Ausgabe eine bewundernswerte Leistung. Für sie haben wir Anthony W. Riley zu danken.

Thomas Anz

Besprechungen zu Bänden der Döblin-Edition in literaturkritik.de:

Tod und Textverderbnis.
Einblicke in die literarische Kriegsberichterstattung anlässlich der Neuedition von Alfred Döblins Wallenstein-Roman / Von Thomas Lehr
Ausgabe 03-2002

Mosaiksteine für ein Gesamtbild.
Zu zwei neuen Bänden der Döblin-Werkausgabe / Von Kai Köhler
Ausgabe 03-2002

Das 20. Jahrhundert in Literatur gefasst.
Die Vitalität Alfred Döblins, seine"Kleinen Schriften III" und frühere Bände der Werk-Ausgabe / Von Thomas Anz
Ausgabe 06-2000